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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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Ein wilder Schrei und ein wolfartiges Gebrüll begrüßte unser Erscheinen.
Die feindlichen Reiter setzten ihre Pferde in Galop und flogen uns nach wie
Windhunde den Hasen. "Wir entkommen nicht!" sagte ein Kosak und blickte
ängstlich zurück. "Gott ist barmherzig!" flüsterte 5er Andere, übrigens in ganz
hoffnungslosen Tone. Ich sah jetzt, um wieviel besser die Pferde der Verfolger
rannten. Die Entfernung zwischen uns wurde immer kleiner. Jetzt sind sie
hart an uns -- ich höre schon das Schnauben der Pferde und hastige, vom
Rennen keuchende Stimmen. "Gib Achtung!" -- Ein befiedertes Rohr mit
scharfer, bolzähnlicher Spitze schwirrte vorüber. Gleich darauf flog ein zweiter
Pfeil an mir vorbei und bohrte sich in den Sand, wo er abbrach. Wir flogen
einen felsigen Abhang hinan. "Halt, Bruder, wir entkommen doch nicht!"
Mit diesen Worten hielt der eine Kosak entschlossen sein Pferd an und sprang
zur Erde.

Im nächsten Augenblick standen schon beide Kosaken am Boden und hielten
ihre Pferde frei an langem Tschumbur. Ich blieb allein zu Pferd. Orlik
gerieth in Hitze und drängte vorwärts. Das wilde Kriegsgeschrei, das sich uns
näherte, regte ihn auf.

Als die Turkomanen unser Manöver bemerkten, machten sie gleichfalls
Halt und umringten unsern Hügel. Sie kannten die Vorzüge unsrer Waffen
zu gut, um ohne weiteres einen Angriff zu wagen, als sie keine Flüchtigen
mehr vor sich sahen, sondern Männer, die sich zu verzweifelter Gegenwehr
rüsteten. Im Schritt ritten sie um den Hügel, wobei sie sich jedoch in ehr¬
erbietiger Entfernung hielten. Die Hände pfeifenartig an den Mund legend,
riefen sie uns die nach ihrer Meinung allerbeschimpfendsten Scheltworte zu und
drohten uns von weitem mit ihren langen, biegsamen Lanzen. Ich zählte
zwanzig Pferde und achtzehn Reiter, denn zwei davon waren sozusagen doppelt
beritten, d. h. sie saßen auf einem Pferd und hielten das andere am Zügel.
Allem Anschein nach gehörten sie den Banden Sadyks an.

Die Sonne stieg immer höher und höher, wir wurden allmählich durstig.
Die Hitze mußte uns und unsere Pferde weit mehr angreifen und quälen als
die Bewegung. Der Zustand der Erwartung, in dem wir uns befanden, wurde
nachgerade unerträglich.

"Ew. Wohlgeboren!" rief mir ein Kosak zu. "Was?" entgegnete ich, ohne
mich nach ihm umzudrehen und ohne die Augen von einem hochgewachsenen
jungen Burschen abzuwenden, der sich gerade vor der Mündung meines Doppel¬
läufers auf einem mageren Schimmel tummelte. Wie gern hätte ich ihm eine
Ladung an den Kopf gefeuert! Nur mit Mühe widerstand ich der Versuchung.
"Sehen Sie den blauen Hügel dort? -- er hat einen Rücken wie ein zwei¬
höckeriges Kameel. Dort ist sie." -- "Was? Wer ist dort?" -- "Die Abthei-


Grenzboten IV. Z87S. 4

Ein wilder Schrei und ein wolfartiges Gebrüll begrüßte unser Erscheinen.
Die feindlichen Reiter setzten ihre Pferde in Galop und flogen uns nach wie
Windhunde den Hasen. „Wir entkommen nicht!" sagte ein Kosak und blickte
ängstlich zurück. „Gott ist barmherzig!" flüsterte 5er Andere, übrigens in ganz
hoffnungslosen Tone. Ich sah jetzt, um wieviel besser die Pferde der Verfolger
rannten. Die Entfernung zwischen uns wurde immer kleiner. Jetzt sind sie
hart an uns — ich höre schon das Schnauben der Pferde und hastige, vom
Rennen keuchende Stimmen. „Gib Achtung!" — Ein befiedertes Rohr mit
scharfer, bolzähnlicher Spitze schwirrte vorüber. Gleich darauf flog ein zweiter
Pfeil an mir vorbei und bohrte sich in den Sand, wo er abbrach. Wir flogen
einen felsigen Abhang hinan. „Halt, Bruder, wir entkommen doch nicht!"
Mit diesen Worten hielt der eine Kosak entschlossen sein Pferd an und sprang
zur Erde.

Im nächsten Augenblick standen schon beide Kosaken am Boden und hielten
ihre Pferde frei an langem Tschumbur. Ich blieb allein zu Pferd. Orlik
gerieth in Hitze und drängte vorwärts. Das wilde Kriegsgeschrei, das sich uns
näherte, regte ihn auf.

Als die Turkomanen unser Manöver bemerkten, machten sie gleichfalls
Halt und umringten unsern Hügel. Sie kannten die Vorzüge unsrer Waffen
zu gut, um ohne weiteres einen Angriff zu wagen, als sie keine Flüchtigen
mehr vor sich sahen, sondern Männer, die sich zu verzweifelter Gegenwehr
rüsteten. Im Schritt ritten sie um den Hügel, wobei sie sich jedoch in ehr¬
erbietiger Entfernung hielten. Die Hände pfeifenartig an den Mund legend,
riefen sie uns die nach ihrer Meinung allerbeschimpfendsten Scheltworte zu und
drohten uns von weitem mit ihren langen, biegsamen Lanzen. Ich zählte
zwanzig Pferde und achtzehn Reiter, denn zwei davon waren sozusagen doppelt
beritten, d. h. sie saßen auf einem Pferd und hielten das andere am Zügel.
Allem Anschein nach gehörten sie den Banden Sadyks an.

Die Sonne stieg immer höher und höher, wir wurden allmählich durstig.
Die Hitze mußte uns und unsere Pferde weit mehr angreifen und quälen als
die Bewegung. Der Zustand der Erwartung, in dem wir uns befanden, wurde
nachgerade unerträglich.

„Ew. Wohlgeboren!" rief mir ein Kosak zu. „Was?" entgegnete ich, ohne
mich nach ihm umzudrehen und ohne die Augen von einem hochgewachsenen
jungen Burschen abzuwenden, der sich gerade vor der Mündung meines Doppel¬
läufers auf einem mageren Schimmel tummelte. Wie gern hätte ich ihm eine
Ladung an den Kopf gefeuert! Nur mit Mühe widerstand ich der Versuchung.
„Sehen Sie den blauen Hügel dort? — er hat einen Rücken wie ein zwei¬
höckeriges Kameel. Dort ist sie." — „Was? Wer ist dort?" — „Die Abthei-


Grenzboten IV. Z87S. 4
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[0029] Ein wilder Schrei und ein wolfartiges Gebrüll begrüßte unser Erscheinen. Die feindlichen Reiter setzten ihre Pferde in Galop und flogen uns nach wie Windhunde den Hasen. „Wir entkommen nicht!" sagte ein Kosak und blickte ängstlich zurück. „Gott ist barmherzig!" flüsterte 5er Andere, übrigens in ganz hoffnungslosen Tone. Ich sah jetzt, um wieviel besser die Pferde der Verfolger rannten. Die Entfernung zwischen uns wurde immer kleiner. Jetzt sind sie hart an uns — ich höre schon das Schnauben der Pferde und hastige, vom Rennen keuchende Stimmen. „Gib Achtung!" — Ein befiedertes Rohr mit scharfer, bolzähnlicher Spitze schwirrte vorüber. Gleich darauf flog ein zweiter Pfeil an mir vorbei und bohrte sich in den Sand, wo er abbrach. Wir flogen einen felsigen Abhang hinan. „Halt, Bruder, wir entkommen doch nicht!" Mit diesen Worten hielt der eine Kosak entschlossen sein Pferd an und sprang zur Erde. Im nächsten Augenblick standen schon beide Kosaken am Boden und hielten ihre Pferde frei an langem Tschumbur. Ich blieb allein zu Pferd. Orlik gerieth in Hitze und drängte vorwärts. Das wilde Kriegsgeschrei, das sich uns näherte, regte ihn auf. Als die Turkomanen unser Manöver bemerkten, machten sie gleichfalls Halt und umringten unsern Hügel. Sie kannten die Vorzüge unsrer Waffen zu gut, um ohne weiteres einen Angriff zu wagen, als sie keine Flüchtigen mehr vor sich sahen, sondern Männer, die sich zu verzweifelter Gegenwehr rüsteten. Im Schritt ritten sie um den Hügel, wobei sie sich jedoch in ehr¬ erbietiger Entfernung hielten. Die Hände pfeifenartig an den Mund legend, riefen sie uns die nach ihrer Meinung allerbeschimpfendsten Scheltworte zu und drohten uns von weitem mit ihren langen, biegsamen Lanzen. Ich zählte zwanzig Pferde und achtzehn Reiter, denn zwei davon waren sozusagen doppelt beritten, d. h. sie saßen auf einem Pferd und hielten das andere am Zügel. Allem Anschein nach gehörten sie den Banden Sadyks an. Die Sonne stieg immer höher und höher, wir wurden allmählich durstig. Die Hitze mußte uns und unsere Pferde weit mehr angreifen und quälen als die Bewegung. Der Zustand der Erwartung, in dem wir uns befanden, wurde nachgerade unerträglich. „Ew. Wohlgeboren!" rief mir ein Kosak zu. „Was?" entgegnete ich, ohne mich nach ihm umzudrehen und ohne die Augen von einem hochgewachsenen jungen Burschen abzuwenden, der sich gerade vor der Mündung meines Doppel¬ läufers auf einem mageren Schimmel tummelte. Wie gern hätte ich ihm eine Ladung an den Kopf gefeuert! Nur mit Mühe widerstand ich der Versuchung. „Sehen Sie den blauen Hügel dort? — er hat einen Rücken wie ein zwei¬ höckeriges Kameel. Dort ist sie." — „Was? Wer ist dort?" — „Die Abthei- Grenzboten IV. Z87S. 4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/29>, abgerufen am 23.07.2024.