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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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des ganzen, doch so starken und widerstandsfähigen Organismus; alles wohl
die Folge sitzender Lebensweise und ungehöriger Kost.

Seiner Toilette sah man die ängstlichste Schonung an, der feierlich hohe
Cylinder gehörte einer längst entschwundenen Geschmacksperiode.

"Was?" fragte er, indem er langsam auf dem Sopha Platz nahm, >,Sie
sind nicht gestern beim Laube-Bankett im Kursalon des Stadtparks gewesen?
Ganz Wien war dort im schwarzen Frack und weißer Kravatte. Kein Schrift¬
steller, kein Schauspieler fehlte."

"Ach, Verehrtester," erwiederte ich, "wenn man in seiner Jugend den
Drang in sich getragen und der festen Idee gelebt hat, dem deutschen Theater
etwas zu sein, wenn man vier oder fünf bühnengerechte Dramen geschrieben,
die wohl in diversen Literaturgeschichten besprochen worden, aber für die Büh-
uendirektionen nicht vorhanden sind -- da faßt wohl in Einem ein Mißmuth
gegen Theater, Direktoren, Mimen Raum, man hat nichts Gemeinsames mehr
mit ihnen und weicht ihren Jubelfesten aus."

"So ist es!" erwiederte Kürnberger ruhevoll. "Man hat nichts Gemein¬
sames mit ihnen und weicht ihren Jubelfesten aus. Auch ich bin zu Hause
geblieben."

Ein Gespräch über das moderne Theater und über Intendanten folgte,
in welchem von beiden Seiten denselben nicht viel Gutes nachgesagt wurde.

"Sie können sich," schloß ich, "mit Erfolgen auf andern Gebieten trösten...
Noch vor wenig Jahren habe ich von mehreren Seiten Ihre letzte, Novelle
mit höchstem Lobe erwähnen hören."

"Die Welt spricht von nichts andrem!" sagte Kürnberger sehr ruhig. Und
um den Eindruck dieses, von großartigem Selbstbewußtsein zeugenden Wortes,
das mich hatte lächeln machen, zu mäßigen, fuhr er fort: "Ich habe in dieser
Novelle das gefährlichste Problem attakirt, das überhaupt existirt: Die Frage
uach dem menschlichen Gewissen. Ich habe ausgesprochen, was andere nicht
zu denken wagen. Wenn Jemand in einer volkreichen Stadt zur Mittagstunde,
wenn alles auf dem Korso promenirt, am Blitzableiter die Kathedrale hinan¬
klettert, da bilden sich natürlicherweise Gruppen, alles sieht ihm zu, das ist kein
Wunder."

Er war damit auf seine Dichtung "Die Last des Schweigens" zu sprechen
gekommen, die in dem Kreise von Kürnbergers Freunden, welche allerdings für
ihn die Welt ausmachten, viel besprochen werden mochte. Der Held der Novelle
hat einen Mord an seinem Nebenbuhler begangen, hält dies für etwas Natür¬
liches und empfindet durchaus keine Gewissensbisse. Aber er fühlt die "Last
des Schweigens". Wenn er keinen Lauscher nahe wähnt, ruft er es sich jubelnd
zu, daß er sich von seinem Rivalen befreit hat, und dies führt zu seiner Ent-


des ganzen, doch so starken und widerstandsfähigen Organismus; alles wohl
die Folge sitzender Lebensweise und ungehöriger Kost.

Seiner Toilette sah man die ängstlichste Schonung an, der feierlich hohe
Cylinder gehörte einer längst entschwundenen Geschmacksperiode.

„Was?" fragte er, indem er langsam auf dem Sopha Platz nahm, >,Sie
sind nicht gestern beim Laube-Bankett im Kursalon des Stadtparks gewesen?
Ganz Wien war dort im schwarzen Frack und weißer Kravatte. Kein Schrift¬
steller, kein Schauspieler fehlte."

„Ach, Verehrtester," erwiederte ich, „wenn man in seiner Jugend den
Drang in sich getragen und der festen Idee gelebt hat, dem deutschen Theater
etwas zu sein, wenn man vier oder fünf bühnengerechte Dramen geschrieben,
die wohl in diversen Literaturgeschichten besprochen worden, aber für die Büh-
uendirektionen nicht vorhanden sind — da faßt wohl in Einem ein Mißmuth
gegen Theater, Direktoren, Mimen Raum, man hat nichts Gemeinsames mehr
mit ihnen und weicht ihren Jubelfesten aus."

„So ist es!" erwiederte Kürnberger ruhevoll. „Man hat nichts Gemein¬
sames mit ihnen und weicht ihren Jubelfesten aus. Auch ich bin zu Hause
geblieben."

Ein Gespräch über das moderne Theater und über Intendanten folgte,
in welchem von beiden Seiten denselben nicht viel Gutes nachgesagt wurde.

„Sie können sich," schloß ich, „mit Erfolgen auf andern Gebieten trösten...
Noch vor wenig Jahren habe ich von mehreren Seiten Ihre letzte, Novelle
mit höchstem Lobe erwähnen hören."

„Die Welt spricht von nichts andrem!" sagte Kürnberger sehr ruhig. Und
um den Eindruck dieses, von großartigem Selbstbewußtsein zeugenden Wortes,
das mich hatte lächeln machen, zu mäßigen, fuhr er fort: „Ich habe in dieser
Novelle das gefährlichste Problem attakirt, das überhaupt existirt: Die Frage
uach dem menschlichen Gewissen. Ich habe ausgesprochen, was andere nicht
zu denken wagen. Wenn Jemand in einer volkreichen Stadt zur Mittagstunde,
wenn alles auf dem Korso promenirt, am Blitzableiter die Kathedrale hinan¬
klettert, da bilden sich natürlicherweise Gruppen, alles sieht ihm zu, das ist kein
Wunder."

Er war damit auf seine Dichtung „Die Last des Schweigens" zu sprechen
gekommen, die in dem Kreise von Kürnbergers Freunden, welche allerdings für
ihn die Welt ausmachten, viel besprochen werden mochte. Der Held der Novelle
hat einen Mord an seinem Nebenbuhler begangen, hält dies für etwas Natür¬
liches und empfindet durchaus keine Gewissensbisse. Aber er fühlt die „Last
des Schweigens". Wenn er keinen Lauscher nahe wähnt, ruft er es sich jubelnd
zu, daß er sich von seinem Rivalen befreit hat, und dies führt zu seiner Ent-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/286>, abgerufen am 24.07.2024.