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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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hat mit dem Deutschen nur die Sprache gemein, seine Weltanschauung aber ist
eine ganz andere, ja eine diametral entgegengesetzte. Das ist es, was die Dauer,
ja den ewigen Bestand der Monarchie verbürgt.

Kürnberger, mit seinen grunddeutschen Anschauungen, Sympathien, Ueber¬
zeugungen, war somit ganz isolirt. Er war da im "Capua der Geister" wie
ein norwegischer Findlingsblock, der sich in das schöne Donaubecken verirrt.
Er galt für einen Querkopf, während er doch nur ein nach Wien verschneiter
Nordlandsrecke war.

Man spottete über sein grandioses Selbstbewußtsein. Dies war allerdings
gewaltig. War es aber Selbstüberhebung? Er fühlte sich als Meister und
war es auch. "Jeder Mensch," schrieb er einmal, "ist berechtigt, sich so zu
taxiren, als er will, und jeder andere Mensch ist berechtigt, diese Taxe entweder
anzunehmen oder abzulehnen. Wo ist der Marktcomissär, der diese Preise
regelt? Wo? In unserem eigenen Gewissen!"

Seine Ansichten war er gewohnt mit schroffem Trotz auszusprechen. Oäi
protanuin volAus <zr arosv! war auf seinen Brauen zu lesen. Seine Wahr¬
heitsliebe kannte keine Rücksichten, seine Ueberzeugungen pflegte er mit der frap-
pirendsten Offenheit auszusprechen. Als ein bekannter Wiener Dichter, der
damals auf der Höhe seines Rufes stand, ihm ein Exemplar seines neuesten
Trauerspiels übergeben hatte, das eben einen bedeutenden theatralischen Erfolg
errungen, und sich eine Aeußerung darüber erbat, sagte Kürnberger mit der ihm
eignen Ruhe: "Ihr Stück hat mich sehr interessirt, ich habe es sogar studirt.
Es gleicht jenem Pferde, das wir in Büchern über Veterinärkunde abgebildet
finden, und das uns in Einem alle Fehler und Krankheiten beisammen zeigt,
die sonst nur bei vielen Pferden vorkommen. Man kann wirklich daran lernen."

Als sich der Trauerspieldichter entfernt hatte und einer von denen, die
anwesend gewesen, bemerkte, daß Kürnberger sich nun wohl den lebenslangen
Haß des also Gekränkten zugezogen, meinte er: "Das wäre doch sonderbar!
Der Mann sollte mir dankbar sein, daß ich meine Meinung nur gesagt habe.
Ich hätte sie können drucken lassen, dann fände er auch meine Ansicht Punkt
für Punkt erläutert." --

Sechzehn Jahre war ich Kürnberger nicht mehr begegnet. Erst im Jahre
1876 sah ich ihn wieder. Es war in Wien, im September. Er besuchte
mich in der "Ungarischen Krone". Ich hätte ihn kaum wiedererkannt, er war
stark gealtert und von ungewöhnlicher Blässe. Sein Gesicht hatte nicht mehr
den stürmischen Ausdruck von ehedem, er war feierlich geworden. Sein voller,
dichter Bart war fast ganz weiß.

Ein frühes Alter war über ihn hereingebrochen, eine vorzeitige Abnutzung


Grenzboten IV. 1879. 37

hat mit dem Deutschen nur die Sprache gemein, seine Weltanschauung aber ist
eine ganz andere, ja eine diametral entgegengesetzte. Das ist es, was die Dauer,
ja den ewigen Bestand der Monarchie verbürgt.

Kürnberger, mit seinen grunddeutschen Anschauungen, Sympathien, Ueber¬
zeugungen, war somit ganz isolirt. Er war da im „Capua der Geister" wie
ein norwegischer Findlingsblock, der sich in das schöne Donaubecken verirrt.
Er galt für einen Querkopf, während er doch nur ein nach Wien verschneiter
Nordlandsrecke war.

Man spottete über sein grandioses Selbstbewußtsein. Dies war allerdings
gewaltig. War es aber Selbstüberhebung? Er fühlte sich als Meister und
war es auch. „Jeder Mensch," schrieb er einmal, „ist berechtigt, sich so zu
taxiren, als er will, und jeder andere Mensch ist berechtigt, diese Taxe entweder
anzunehmen oder abzulehnen. Wo ist der Marktcomissär, der diese Preise
regelt? Wo? In unserem eigenen Gewissen!"

Seine Ansichten war er gewohnt mit schroffem Trotz auszusprechen. Oäi
protanuin volAus <zr arosv! war auf seinen Brauen zu lesen. Seine Wahr¬
heitsliebe kannte keine Rücksichten, seine Ueberzeugungen pflegte er mit der frap-
pirendsten Offenheit auszusprechen. Als ein bekannter Wiener Dichter, der
damals auf der Höhe seines Rufes stand, ihm ein Exemplar seines neuesten
Trauerspiels übergeben hatte, das eben einen bedeutenden theatralischen Erfolg
errungen, und sich eine Aeußerung darüber erbat, sagte Kürnberger mit der ihm
eignen Ruhe: „Ihr Stück hat mich sehr interessirt, ich habe es sogar studirt.
Es gleicht jenem Pferde, das wir in Büchern über Veterinärkunde abgebildet
finden, und das uns in Einem alle Fehler und Krankheiten beisammen zeigt,
die sonst nur bei vielen Pferden vorkommen. Man kann wirklich daran lernen."

Als sich der Trauerspieldichter entfernt hatte und einer von denen, die
anwesend gewesen, bemerkte, daß Kürnberger sich nun wohl den lebenslangen
Haß des also Gekränkten zugezogen, meinte er: „Das wäre doch sonderbar!
Der Mann sollte mir dankbar sein, daß ich meine Meinung nur gesagt habe.
Ich hätte sie können drucken lassen, dann fände er auch meine Ansicht Punkt
für Punkt erläutert." —

Sechzehn Jahre war ich Kürnberger nicht mehr begegnet. Erst im Jahre
1876 sah ich ihn wieder. Es war in Wien, im September. Er besuchte
mich in der „Ungarischen Krone". Ich hätte ihn kaum wiedererkannt, er war
stark gealtert und von ungewöhnlicher Blässe. Sein Gesicht hatte nicht mehr
den stürmischen Ausdruck von ehedem, er war feierlich geworden. Sein voller,
dichter Bart war fast ganz weiß.

Ein frühes Alter war über ihn hereingebrochen, eine vorzeitige Abnutzung


Grenzboten IV. 1879. 37
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[0285] hat mit dem Deutschen nur die Sprache gemein, seine Weltanschauung aber ist eine ganz andere, ja eine diametral entgegengesetzte. Das ist es, was die Dauer, ja den ewigen Bestand der Monarchie verbürgt. Kürnberger, mit seinen grunddeutschen Anschauungen, Sympathien, Ueber¬ zeugungen, war somit ganz isolirt. Er war da im „Capua der Geister" wie ein norwegischer Findlingsblock, der sich in das schöne Donaubecken verirrt. Er galt für einen Querkopf, während er doch nur ein nach Wien verschneiter Nordlandsrecke war. Man spottete über sein grandioses Selbstbewußtsein. Dies war allerdings gewaltig. War es aber Selbstüberhebung? Er fühlte sich als Meister und war es auch. „Jeder Mensch," schrieb er einmal, „ist berechtigt, sich so zu taxiren, als er will, und jeder andere Mensch ist berechtigt, diese Taxe entweder anzunehmen oder abzulehnen. Wo ist der Marktcomissär, der diese Preise regelt? Wo? In unserem eigenen Gewissen!" Seine Ansichten war er gewohnt mit schroffem Trotz auszusprechen. Oäi protanuin volAus <zr arosv! war auf seinen Brauen zu lesen. Seine Wahr¬ heitsliebe kannte keine Rücksichten, seine Ueberzeugungen pflegte er mit der frap- pirendsten Offenheit auszusprechen. Als ein bekannter Wiener Dichter, der damals auf der Höhe seines Rufes stand, ihm ein Exemplar seines neuesten Trauerspiels übergeben hatte, das eben einen bedeutenden theatralischen Erfolg errungen, und sich eine Aeußerung darüber erbat, sagte Kürnberger mit der ihm eignen Ruhe: „Ihr Stück hat mich sehr interessirt, ich habe es sogar studirt. Es gleicht jenem Pferde, das wir in Büchern über Veterinärkunde abgebildet finden, und das uns in Einem alle Fehler und Krankheiten beisammen zeigt, die sonst nur bei vielen Pferden vorkommen. Man kann wirklich daran lernen." Als sich der Trauerspieldichter entfernt hatte und einer von denen, die anwesend gewesen, bemerkte, daß Kürnberger sich nun wohl den lebenslangen Haß des also Gekränkten zugezogen, meinte er: „Das wäre doch sonderbar! Der Mann sollte mir dankbar sein, daß ich meine Meinung nur gesagt habe. Ich hätte sie können drucken lassen, dann fände er auch meine Ansicht Punkt für Punkt erläutert." — Sechzehn Jahre war ich Kürnberger nicht mehr begegnet. Erst im Jahre 1876 sah ich ihn wieder. Es war in Wien, im September. Er besuchte mich in der „Ungarischen Krone". Ich hätte ihn kaum wiedererkannt, er war stark gealtert und von ungewöhnlicher Blässe. Sein Gesicht hatte nicht mehr den stürmischen Ausdruck von ehedem, er war feierlich geworden. Sein voller, dichter Bart war fast ganz weiß. Ein frühes Alter war über ihn hereingebrochen, eine vorzeitige Abnutzung Grenzboten IV. 1879. 37

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Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/285>, abgerufen am 24.07.2024.