Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.Allerdings hatte die Tagesarbeit, einmal ergriffen, für einen Geist wie Das wäre nun eine unerfreuliche und auf die Länge eine traurige Arbeit. Kürnbergers Standpunkt ist ein wesentlich deutscher, kein österreichischer. Natürlich befand er sich mit ganz Wien in Widerspruch. Die schöne Stadt Allerdings hatte die Tagesarbeit, einmal ergriffen, für einen Geist wie Das wäre nun eine unerfreuliche und auf die Länge eine traurige Arbeit. Kürnbergers Standpunkt ist ein wesentlich deutscher, kein österreichischer. Natürlich befand er sich mit ganz Wien in Widerspruch. Die schöne Stadt <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0284" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/143339"/> <p xml:id="ID_829"> Allerdings hatte die Tagesarbeit, einmal ergriffen, für einen Geist wie<lb/> den seinigen auch den fesselndsten Reiz; in den nun folgenden Jahren absor-<lb/> birte sie ihn fast ganz. Seine Thätigkeit war sehr groß. Es entstanden die<lb/> politischen Artikel, von denen er eine Auswahl in den „Siegelringen" und<lb/> viele der literarischen Essays, die er in den „Literarischen Herzenssachen"<lb/> zusammengestellt hat. Vom Jahre 1866 ergibt sich kein größeres politisches<lb/> Ereigniß, das er nicht bespricht und auf seine Weise beleuchtet. Er schreibt<lb/> nicht gerade Politik, am wenigsten eine solche, die sich den praktischen Zwecken<lb/> einer Partei anschließt, wohl aber, wie er es nannte, „das Theaterreferat über<lb/> die österreichische Tragödie". In pointirter Satiren, immer geistvoll und<lb/> originell, malt er die Konfusion und Rathlosigkeit der Parteien, die Experi-<lb/> mentirwuth der Hofpartei, die an Thorheit streifende Bonhommie des Volkes.<lb/> Er zeichnet Porträts — leider ist es blos eine Sage, daß der Basilisk stirbt,<lb/> wenn er sein Bild im Spiegel erblickt.</p><lb/> <p xml:id="ID_830"> Das wäre nun eine unerfreuliche und auf die Länge eine traurige Arbeit.<lb/> Kürnberger sieht aber auch die deutsche Einheit zur Thatsache werden, und<lb/> daran erwacht sein Herz. Es lebt förmlich auf an den Ereignissen des deutsch¬<lb/> französischen Krieges; was er schreibt, ist reine patriotische Flamme. Die in<lb/> den „Siegelringen" gesammelten Artikel über den Krieg von 1870 werden mit<lb/> ein Ehrendenkmal dessen bleiben, was die Publizistik während dieser gewaltigen<lb/> Zeit geleistet, sie haben in der verwandten Literatur jener Jahre kaum ihres¬<lb/> gleichen.</p><lb/> <p xml:id="ID_831"> Kürnbergers Standpunkt ist ein wesentlich deutscher, kein österreichischer.<lb/> Er gehört einer nur wenig Köpfe zählenden äußersten Linken an, die es nicht<lb/> glauben kann, daß so heterogene Volker sich je auf dem Boden einer gemein¬<lb/> samen Verfassung vereinigen werden. Er kennt keine gemeinsamen Angelegen¬<lb/> heiten von Deutschen, Tschechen, Polen, Magyaren und geht somit weiter als<lb/> alle österreichischen Föderalisten, die bei der Forderung äußerster Autonomie<lb/> ein gemeinsames Interesse statuiren: Vertheidigung nach außen. Er wünscht<lb/> sich die deutschen Erdtaube irgendwie mit Deutschland verschmolzen, das übrige<lb/> gehe seinen Weg und falle, wohin es wolle.</p><lb/> <p xml:id="ID_832" next="#ID_833"> Natürlich befand er sich mit ganz Wien in Widerspruch. Die schöne Stadt<lb/> an der blauen Donau ist eine deutschredende, aber keine deutsche Stadt. Dem<lb/> Wiener, wie er nun einmal ist, steht schließlich doch der Ungar, Kroäk, Pole,<lb/> der Mann aus der Bukowina näher als ein Hamburger oder Leipziger. Jene<lb/> versteht er, den Deutschen „aus dem Reich" versteht er nicht. Einer schonen<lb/> Wienerin wird es nicht schwer fallen, dem Gatten ihrer Wahl nach TemeSvar<lb/> oder Lemberg zu folgen, sie wird sich dort rasch acclimatisirt haben; aber in<lb/> Stuttgart oder Hamburg wird sie es nicht aushalten. Der echte Oesterreicher</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0284]
Allerdings hatte die Tagesarbeit, einmal ergriffen, für einen Geist wie
den seinigen auch den fesselndsten Reiz; in den nun folgenden Jahren absor-
birte sie ihn fast ganz. Seine Thätigkeit war sehr groß. Es entstanden die
politischen Artikel, von denen er eine Auswahl in den „Siegelringen" und
viele der literarischen Essays, die er in den „Literarischen Herzenssachen"
zusammengestellt hat. Vom Jahre 1866 ergibt sich kein größeres politisches
Ereigniß, das er nicht bespricht und auf seine Weise beleuchtet. Er schreibt
nicht gerade Politik, am wenigsten eine solche, die sich den praktischen Zwecken
einer Partei anschließt, wohl aber, wie er es nannte, „das Theaterreferat über
die österreichische Tragödie". In pointirter Satiren, immer geistvoll und
originell, malt er die Konfusion und Rathlosigkeit der Parteien, die Experi-
mentirwuth der Hofpartei, die an Thorheit streifende Bonhommie des Volkes.
Er zeichnet Porträts — leider ist es blos eine Sage, daß der Basilisk stirbt,
wenn er sein Bild im Spiegel erblickt.
Das wäre nun eine unerfreuliche und auf die Länge eine traurige Arbeit.
Kürnberger sieht aber auch die deutsche Einheit zur Thatsache werden, und
daran erwacht sein Herz. Es lebt förmlich auf an den Ereignissen des deutsch¬
französischen Krieges; was er schreibt, ist reine patriotische Flamme. Die in
den „Siegelringen" gesammelten Artikel über den Krieg von 1870 werden mit
ein Ehrendenkmal dessen bleiben, was die Publizistik während dieser gewaltigen
Zeit geleistet, sie haben in der verwandten Literatur jener Jahre kaum ihres¬
gleichen.
Kürnbergers Standpunkt ist ein wesentlich deutscher, kein österreichischer.
Er gehört einer nur wenig Köpfe zählenden äußersten Linken an, die es nicht
glauben kann, daß so heterogene Volker sich je auf dem Boden einer gemein¬
samen Verfassung vereinigen werden. Er kennt keine gemeinsamen Angelegen¬
heiten von Deutschen, Tschechen, Polen, Magyaren und geht somit weiter als
alle österreichischen Föderalisten, die bei der Forderung äußerster Autonomie
ein gemeinsames Interesse statuiren: Vertheidigung nach außen. Er wünscht
sich die deutschen Erdtaube irgendwie mit Deutschland verschmolzen, das übrige
gehe seinen Weg und falle, wohin es wolle.
Natürlich befand er sich mit ganz Wien in Widerspruch. Die schöne Stadt
an der blauen Donau ist eine deutschredende, aber keine deutsche Stadt. Dem
Wiener, wie er nun einmal ist, steht schließlich doch der Ungar, Kroäk, Pole,
der Mann aus der Bukowina näher als ein Hamburger oder Leipziger. Jene
versteht er, den Deutschen „aus dem Reich" versteht er nicht. Einer schonen
Wienerin wird es nicht schwer fallen, dem Gatten ihrer Wahl nach TemeSvar
oder Lemberg zu folgen, sie wird sich dort rasch acclimatisirt haben; aber in
Stuttgart oder Hamburg wird sie es nicht aushalten. Der echte Oesterreicher
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