Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

kleinen orientalischen Erzählungen Voltaires, tritt die Geschichte auf; aber wie
unendlich hoch steht sie über allen ihren Vorgängern! Ueber den Werth des Lebens
und das, was man Glück nennt, ist nie Besseres gesagt worden, als hier zu
finden ist, es wiegt alle dicken Bände auf, die bisher über den Pessimismus
geschrieben worden, erklärt sie, widerlegt sie. Diese Erzählung lese man und
frage nach, ob Kürnberger auch ein Dichter war. --

Indem ich mit der Absicht herantrete, den Leser mit dem eben Ver¬
storbenen näher bekannt zu machen, werde ich gewahr, daß ich von seinen
eigentlichen Lebensschicksalen nicht viel mehr mitzutheilen weiß, als was der
Leser auch aus dem Konversationslexikon erfahren könnte, und daß meine
sonstige Kenntniß von ihm sehr lückenhaft ist. Ich werde also nur sehr frag¬
mentarisch sein können.

Genug, er wurde am 3. Juli 1821 in Wien geboren und wuchs in den
dürftigsten Verhältnissen heran; seine ersten Bildungsjahre fielen in die Metter-
nichsche Zeit. Er litt unter dem Geistesdruck jener Epoche und betheiligte sich
politisch im Revolutionsjahre. Es heißt, daß die Proklamationen des Wiener
Studentenausschusses aus Kürnbergers Feder hervorgegangen seien. Das war
allerdings eine Schriststellerthätigkeit, zu der man sich nach dem Eintritt der
Reaktion unmöglich bekennen konnte, und die vom Oberfeldzeugmeister Graf
Melden jedenfalls mit einem halben Dutzend Kerkerjahre honorirt worden
wäre. Bei der genauen Recherche, die die Reaktion hielt, mußte diese Thätigkeit
früher oder später zu Tage kommen. Kürnberger wich dem aus und ging nach
Deutschland, zuvörderst nach Hamburg und Bremen. Die erste größere Dich¬
tung, mit der er hervortrat, war eine dramatische, ein "Catilina" (Hamburg,
Hoffmann <K Campe, 1855), eine fehr bedeutende Arbeit, voll Kraft und
Schwung. Sie fand aber keine Unterstützung bei der Bühne, und Kürnberger
ließ diesem dramatischen Erstlingswerke lange kein zweites folgen.

Im folgenden Jahre, 1856, erschien "Der Amerikamüde", ein Buch, welches
schon dadurch Aufsehen machte, daß es im Gegensatze zu den bisher erschie¬
nenen, romantisch alles ins Schöne malenden Schilderungen amerikanischen
Lebens die Kehr- und Schattenseite desselben hervorhob. Man war damals
europamüde, nun kam ein Europamüder auch Amerikas müde heim --,die
Schlußstimmung blieb sehr düster. Auf Grund der prachtvollen Natur- und
Städtebilder, die wie aus dem Spiegel gehoben schienen, auf Grund der mit
voller Sachkenntniß gemalten Zustände war man befugt, im Verfasser dieses
Werkes einen Mann zu erkennen, der jahrelang in Amerika gelebt, bis man
zu größtem Erstaunen erfuhr, daß es von einem herrühre, der nie Europa den
Rücken gewandt. Was die Schilderung amerikanischer Zustände darin betrifft,


kleinen orientalischen Erzählungen Voltaires, tritt die Geschichte auf; aber wie
unendlich hoch steht sie über allen ihren Vorgängern! Ueber den Werth des Lebens
und das, was man Glück nennt, ist nie Besseres gesagt worden, als hier zu
finden ist, es wiegt alle dicken Bände auf, die bisher über den Pessimismus
geschrieben worden, erklärt sie, widerlegt sie. Diese Erzählung lese man und
frage nach, ob Kürnberger auch ein Dichter war. —

Indem ich mit der Absicht herantrete, den Leser mit dem eben Ver¬
storbenen näher bekannt zu machen, werde ich gewahr, daß ich von seinen
eigentlichen Lebensschicksalen nicht viel mehr mitzutheilen weiß, als was der
Leser auch aus dem Konversationslexikon erfahren könnte, und daß meine
sonstige Kenntniß von ihm sehr lückenhaft ist. Ich werde also nur sehr frag¬
mentarisch sein können.

Genug, er wurde am 3. Juli 1821 in Wien geboren und wuchs in den
dürftigsten Verhältnissen heran; seine ersten Bildungsjahre fielen in die Metter-
nichsche Zeit. Er litt unter dem Geistesdruck jener Epoche und betheiligte sich
politisch im Revolutionsjahre. Es heißt, daß die Proklamationen des Wiener
Studentenausschusses aus Kürnbergers Feder hervorgegangen seien. Das war
allerdings eine Schriststellerthätigkeit, zu der man sich nach dem Eintritt der
Reaktion unmöglich bekennen konnte, und die vom Oberfeldzeugmeister Graf
Melden jedenfalls mit einem halben Dutzend Kerkerjahre honorirt worden
wäre. Bei der genauen Recherche, die die Reaktion hielt, mußte diese Thätigkeit
früher oder später zu Tage kommen. Kürnberger wich dem aus und ging nach
Deutschland, zuvörderst nach Hamburg und Bremen. Die erste größere Dich¬
tung, mit der er hervortrat, war eine dramatische, ein „Catilina" (Hamburg,
Hoffmann <K Campe, 1855), eine fehr bedeutende Arbeit, voll Kraft und
Schwung. Sie fand aber keine Unterstützung bei der Bühne, und Kürnberger
ließ diesem dramatischen Erstlingswerke lange kein zweites folgen.

Im folgenden Jahre, 1856, erschien „Der Amerikamüde", ein Buch, welches
schon dadurch Aufsehen machte, daß es im Gegensatze zu den bisher erschie¬
nenen, romantisch alles ins Schöne malenden Schilderungen amerikanischen
Lebens die Kehr- und Schattenseite desselben hervorhob. Man war damals
europamüde, nun kam ein Europamüder auch Amerikas müde heim —,die
Schlußstimmung blieb sehr düster. Auf Grund der prachtvollen Natur- und
Städtebilder, die wie aus dem Spiegel gehoben schienen, auf Grund der mit
voller Sachkenntniß gemalten Zustände war man befugt, im Verfasser dieses
Werkes einen Mann zu erkennen, der jahrelang in Amerika gelebt, bis man
zu größtem Erstaunen erfuhr, daß es von einem herrühre, der nie Europa den
Rücken gewandt. Was die Schilderung amerikanischer Zustände darin betrifft,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0282" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/143337"/>
          <p xml:id="ID_821" prev="#ID_820"> kleinen orientalischen Erzählungen Voltaires, tritt die Geschichte auf; aber wie<lb/>
unendlich hoch steht sie über allen ihren Vorgängern! Ueber den Werth des Lebens<lb/>
und das, was man Glück nennt, ist nie Besseres gesagt worden, als hier zu<lb/>
finden ist, es wiegt alle dicken Bände auf, die bisher über den Pessimismus<lb/>
geschrieben worden, erklärt sie, widerlegt sie. Diese Erzählung lese man und<lb/>
frage nach, ob Kürnberger auch ein Dichter war. &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_822"> Indem ich mit der Absicht herantrete, den Leser mit dem eben Ver¬<lb/>
storbenen näher bekannt zu machen, werde ich gewahr, daß ich von seinen<lb/>
eigentlichen Lebensschicksalen nicht viel mehr mitzutheilen weiß, als was der<lb/>
Leser auch aus dem Konversationslexikon erfahren könnte, und daß meine<lb/>
sonstige Kenntniß von ihm sehr lückenhaft ist. Ich werde also nur sehr frag¬<lb/>
mentarisch sein können.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_823"> Genug, er wurde am 3. Juli 1821 in Wien geboren und wuchs in den<lb/>
dürftigsten Verhältnissen heran; seine ersten Bildungsjahre fielen in die Metter-<lb/>
nichsche Zeit. Er litt unter dem Geistesdruck jener Epoche und betheiligte sich<lb/>
politisch im Revolutionsjahre. Es heißt, daß die Proklamationen des Wiener<lb/>
Studentenausschusses aus Kürnbergers Feder hervorgegangen seien. Das war<lb/>
allerdings eine Schriststellerthätigkeit, zu der man sich nach dem Eintritt der<lb/>
Reaktion unmöglich bekennen konnte, und die vom Oberfeldzeugmeister Graf<lb/>
Melden jedenfalls mit einem halben Dutzend Kerkerjahre honorirt worden<lb/>
wäre. Bei der genauen Recherche, die die Reaktion hielt, mußte diese Thätigkeit<lb/>
früher oder später zu Tage kommen. Kürnberger wich dem aus und ging nach<lb/>
Deutschland, zuvörderst nach Hamburg und Bremen. Die erste größere Dich¬<lb/>
tung, mit der er hervortrat, war eine dramatische, ein &#x201E;Catilina" (Hamburg,<lb/>
Hoffmann &lt;K Campe, 1855), eine fehr bedeutende Arbeit, voll Kraft und<lb/>
Schwung. Sie fand aber keine Unterstützung bei der Bühne, und Kürnberger<lb/>
ließ diesem dramatischen Erstlingswerke lange kein zweites folgen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_824" next="#ID_825"> Im folgenden Jahre, 1856, erschien &#x201E;Der Amerikamüde", ein Buch, welches<lb/>
schon dadurch Aufsehen machte, daß es im Gegensatze zu den bisher erschie¬<lb/>
nenen, romantisch alles ins Schöne malenden Schilderungen amerikanischen<lb/>
Lebens die Kehr- und Schattenseite desselben hervorhob. Man war damals<lb/>
europamüde, nun kam ein Europamüder auch Amerikas müde heim &#x2014;,die<lb/>
Schlußstimmung blieb sehr düster. Auf Grund der prachtvollen Natur- und<lb/>
Städtebilder, die wie aus dem Spiegel gehoben schienen, auf Grund der mit<lb/>
voller Sachkenntniß gemalten Zustände war man befugt, im Verfasser dieses<lb/>
Werkes einen Mann zu erkennen, der jahrelang in Amerika gelebt, bis man<lb/>
zu größtem Erstaunen erfuhr, daß es von einem herrühre, der nie Europa den<lb/>
Rücken gewandt. Was die Schilderung amerikanischer Zustände darin betrifft,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0282] kleinen orientalischen Erzählungen Voltaires, tritt die Geschichte auf; aber wie unendlich hoch steht sie über allen ihren Vorgängern! Ueber den Werth des Lebens und das, was man Glück nennt, ist nie Besseres gesagt worden, als hier zu finden ist, es wiegt alle dicken Bände auf, die bisher über den Pessimismus geschrieben worden, erklärt sie, widerlegt sie. Diese Erzählung lese man und frage nach, ob Kürnberger auch ein Dichter war. — Indem ich mit der Absicht herantrete, den Leser mit dem eben Ver¬ storbenen näher bekannt zu machen, werde ich gewahr, daß ich von seinen eigentlichen Lebensschicksalen nicht viel mehr mitzutheilen weiß, als was der Leser auch aus dem Konversationslexikon erfahren könnte, und daß meine sonstige Kenntniß von ihm sehr lückenhaft ist. Ich werde also nur sehr frag¬ mentarisch sein können. Genug, er wurde am 3. Juli 1821 in Wien geboren und wuchs in den dürftigsten Verhältnissen heran; seine ersten Bildungsjahre fielen in die Metter- nichsche Zeit. Er litt unter dem Geistesdruck jener Epoche und betheiligte sich politisch im Revolutionsjahre. Es heißt, daß die Proklamationen des Wiener Studentenausschusses aus Kürnbergers Feder hervorgegangen seien. Das war allerdings eine Schriststellerthätigkeit, zu der man sich nach dem Eintritt der Reaktion unmöglich bekennen konnte, und die vom Oberfeldzeugmeister Graf Melden jedenfalls mit einem halben Dutzend Kerkerjahre honorirt worden wäre. Bei der genauen Recherche, die die Reaktion hielt, mußte diese Thätigkeit früher oder später zu Tage kommen. Kürnberger wich dem aus und ging nach Deutschland, zuvörderst nach Hamburg und Bremen. Die erste größere Dich¬ tung, mit der er hervortrat, war eine dramatische, ein „Catilina" (Hamburg, Hoffmann <K Campe, 1855), eine fehr bedeutende Arbeit, voll Kraft und Schwung. Sie fand aber keine Unterstützung bei der Bühne, und Kürnberger ließ diesem dramatischen Erstlingswerke lange kein zweites folgen. Im folgenden Jahre, 1856, erschien „Der Amerikamüde", ein Buch, welches schon dadurch Aufsehen machte, daß es im Gegensatze zu den bisher erschie¬ nenen, romantisch alles ins Schöne malenden Schilderungen amerikanischen Lebens die Kehr- und Schattenseite desselben hervorhob. Man war damals europamüde, nun kam ein Europamüder auch Amerikas müde heim —,die Schlußstimmung blieb sehr düster. Auf Grund der prachtvollen Natur- und Städtebilder, die wie aus dem Spiegel gehoben schienen, auf Grund der mit voller Sachkenntniß gemalten Zustände war man befugt, im Verfasser dieses Werkes einen Mann zu erkennen, der jahrelang in Amerika gelebt, bis man zu größtem Erstaunen erfuhr, daß es von einem herrühre, der nie Europa den Rücken gewandt. Was die Schilderung amerikanischer Zustände darin betrifft,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/282
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/282>, abgerufen am 24.07.2024.