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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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förderlich sein wurde. Beide Kulturen haben ihre Berechtigung, beide sind in
der Natur menschlicher Dinge begründet. Eine politische Gleichstellung beider
Elemente war möglich, der soziale Unterschied wird nie zu existiren aufhören.


Georg Winter.


Im Lrinnerung an Iserdinand Kürnöerger.
Von Alfred Meißner.

In dem Manne, der von einer kleinen Schaar von Freunden am Abend
des 19. Oktober auf der Höhe von Mödling zur letzten Ruhe bestattet wurde,
hat die deutsche Literatur eine ihrer charaktervollsten und originellsten Gestalten
verloren. Erst 58 Jahre alt, auf der Höhe seiner geistigen Kräfte, den Kopf
voll Pläne, hätte er noch Großartiges leisten, hätte, nachdem er alle Sorgen,
Entbehrungen und Leiden durchgemacht, die, wie es scheint, das unausbleibliche
Begleitgut eines deutschen Schriftstellerlebens sind, auch die Freuden der Aner¬
kennung ernten können. Er ist uns entrissen worden, und die Thatsache, daß
diese mächtige Intelligenz so plötzlich aufhören mußte zu denken, zu schreiben,
zu sein, hat wohl jeden, der ihn näher kannte, mit einem furchtbaren Ernste
berührt. Mich um so mehr, da es der Zufall gewollt, daß ich einer von denen
war, mit denen er in seinen letzten Lebenstagen Umgang haben sollte.

In Ferdinand Nürnberger waren, ganz phänomenal, zwei Kräfte beisammen,
die in der Regel einander ausschließen: ein gewaltiger Verstand und eine ge¬
waltige Phantasie. Er war Denker und Dichter zugleich oder unmittelbar
hinter einander. Die Kraft, welche die Dinge amlysirt, und die, welche gegebene
Vorstellungen schöpferisch als Bausteine zu neuen Formverbindungen verwerthet,
gingen bei ihm gleichmüßig neben einander her. Sein Verstand war gewaltig
und arbeitete haarscharf wie eine kunstvolle Maschine, aber sein Jntuitions-
vermögen war auch so stark, daß er das Kunststück zu Stande brachte, in Zonen,
die er nie betreten, und unter Zuständen, die er nie persönlich mit angesehen,
völlig zu Hause zu sein. Seine kritischen Arbeiten waren mit allen Accenten
der Leidenschaft ausgestattet, cholerisch, heftig, voll stachelnder Schonungslosig¬
keiten; aber der Künstler in ihm ruhte nie, bis er denselben den Stempel höchster
künstlerischer Formvollendung aufgedrückt. Der Poet in ihm war glühend,
sinnlich, aber der Denker legte in die Fabeln einen allgemein philosophischen


förderlich sein wurde. Beide Kulturen haben ihre Berechtigung, beide sind in
der Natur menschlicher Dinge begründet. Eine politische Gleichstellung beider
Elemente war möglich, der soziale Unterschied wird nie zu existiren aufhören.


Georg Winter.


Im Lrinnerung an Iserdinand Kürnöerger.
Von Alfred Meißner.

In dem Manne, der von einer kleinen Schaar von Freunden am Abend
des 19. Oktober auf der Höhe von Mödling zur letzten Ruhe bestattet wurde,
hat die deutsche Literatur eine ihrer charaktervollsten und originellsten Gestalten
verloren. Erst 58 Jahre alt, auf der Höhe seiner geistigen Kräfte, den Kopf
voll Pläne, hätte er noch Großartiges leisten, hätte, nachdem er alle Sorgen,
Entbehrungen und Leiden durchgemacht, die, wie es scheint, das unausbleibliche
Begleitgut eines deutschen Schriftstellerlebens sind, auch die Freuden der Aner¬
kennung ernten können. Er ist uns entrissen worden, und die Thatsache, daß
diese mächtige Intelligenz so plötzlich aufhören mußte zu denken, zu schreiben,
zu sein, hat wohl jeden, der ihn näher kannte, mit einem furchtbaren Ernste
berührt. Mich um so mehr, da es der Zufall gewollt, daß ich einer von denen
war, mit denen er in seinen letzten Lebenstagen Umgang haben sollte.

In Ferdinand Nürnberger waren, ganz phänomenal, zwei Kräfte beisammen,
die in der Regel einander ausschließen: ein gewaltiger Verstand und eine ge¬
waltige Phantasie. Er war Denker und Dichter zugleich oder unmittelbar
hinter einander. Die Kraft, welche die Dinge amlysirt, und die, welche gegebene
Vorstellungen schöpferisch als Bausteine zu neuen Formverbindungen verwerthet,
gingen bei ihm gleichmüßig neben einander her. Sein Verstand war gewaltig
und arbeitete haarscharf wie eine kunstvolle Maschine, aber sein Jntuitions-
vermögen war auch so stark, daß er das Kunststück zu Stande brachte, in Zonen,
die er nie betreten, und unter Zuständen, die er nie persönlich mit angesehen,
völlig zu Hause zu sein. Seine kritischen Arbeiten waren mit allen Accenten
der Leidenschaft ausgestattet, cholerisch, heftig, voll stachelnder Schonungslosig¬
keiten; aber der Künstler in ihm ruhte nie, bis er denselben den Stempel höchster
künstlerischer Formvollendung aufgedrückt. Der Poet in ihm war glühend,
sinnlich, aber der Denker legte in die Fabeln einen allgemein philosophischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/280>, abgerufen am 24.07.2024.