Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.So sehen wir in den Städten allmählich eine freiere und nationale Lebens- Wir haben schon darauf hingewiesen, daß es in letzter Instanz der zu So sehen wir in den Städten allmählich eine freiere und nationale Lebens- Wir haben schon darauf hingewiesen, daß es in letzter Instanz der zu <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0276" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/143331"/> <p xml:id="ID_804"> So sehen wir in den Städten allmählich eine freiere und nationale Lebens-<lb/> anschauung sich geltend machen, die in mancher Beziehung schon an die Ideen<lb/> erinnert, die erst in neuester Zeit zur Geltung gekommen sind. Gleichwohl<lb/> darf man in diesen republikanischen Gemeinwesen keineswegs eine demokratische,<lb/> die Gleichberechtigung aller Bürger anerkennende Tendenz, mit andern Worten<lb/> die Idee des Staatsbürgerthums suchen. Noch waren die Städte von dem<lb/> alten, rein aristokratisch organisirten Rathe regiert, zu dem nur eine ganz be¬<lb/> stimmte Anzahl von „Geschlechtern" Zutritt erlangt hatte. Jetzt aber, nachdem<lb/> die Unabhängigkeit nach außen hin errungen war, regt sich zum ersten Male<lb/> im Innern eine demokratische Opposition gegen die Geschlechter-Aristokratie. Je<lb/> mehr der Wohlstand und damit eine behagliche, ja luxuriöse Lebenseinrichtung<lb/> in den Städten überHand nahm, um so größere Bedeutung mußte der zu einer<lb/> großen technischen Geschicklichkeit gelangte, aber von den politischen Geschäften<lb/> noch vollkommen ausgeschlossene Handwerkerstand erlangen. Längst schon hatten<lb/> sich die verschiedenen Handwerke zu gemeinsamer Verfolgung ihrer Interessen<lb/> in den Zünften und Innungen organisirt, an deren Spitze ein Amman oder<lb/> Zunftmeister stand. Diese Gemeinschaften hatten nicht blos, wie die patri-<lb/> zischen Geschlechter, ihre gemeinsamen Trinkstuben, sondern sie hatten auch<lb/> Versammlungen, in denen sie über wichtige gemeinsame Angelegenheiten be¬<lb/> rathschlagten und Beschluß faßten. Gegen Ausgang des 13., noch mehr aber<lb/> am Anfange des 14. Jahrhunderts beginnt nun dieser sestgeschlossene Hand¬<lb/> werkerstand auch Theilnahme an den Regierungsgeschäften, namentlich Zutritt<lb/> zum Rathe zu erstreben. Wo sich die Geschlechter ernstlich und nachdrücklich<lb/> diesem Ansinnen widersetzten, kam es zu blutigen Konflikten, in denen meist<lb/> die abgehärtete und straff organisirte Handwerkerschaft den Sieg über die Ge¬<lb/> schlechter davontrug. Aus diesen Bewegungen ging aber eine neue städtische<lb/> Verfassung hervor, die in den norddeutschen Städten beinahe einen rein demo¬<lb/> kratischen, in den süddeutschen einen aus aristokratischen und demokratischen<lb/> Elementen gemischten Charakter trug. Im ersteren Falle ging die Leitung der<lb/> politischen Geschäfte auf einen zum größten Theile von den Zünften besetzten<lb/> Rath über, im andern Falle theilten sich Geschlechter und Zünfte zu gleichen<lb/> Theilen in die Leitung der Stadt. An die Spitze der gesammten Verwaltung<lb/> und Regierung trat in vielen Städten eine rein demokratische Magistratur, die<lb/> aber uach dem, wie es scheint, der politischen Entwickelung der Menschheit<lb/> innewohnenden Gesetze oft in eine gesetzmäßige Tyrannis umschlug: die der<lb/> Ammanmeister. Diese demokratisch-republikanische Verfassung hat dann in den<lb/> meisten deutschen Städten bis gegen Ende des Mittelalters fortbestanden.</p><lb/> <p xml:id="ID_805" next="#ID_806"> Wir haben schon darauf hingewiesen, daß es in letzter Instanz der zu<lb/> Wohlstand und Ansehen führende Handel und Verkehr war, der die Städte</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0276]
So sehen wir in den Städten allmählich eine freiere und nationale Lebens-
anschauung sich geltend machen, die in mancher Beziehung schon an die Ideen
erinnert, die erst in neuester Zeit zur Geltung gekommen sind. Gleichwohl
darf man in diesen republikanischen Gemeinwesen keineswegs eine demokratische,
die Gleichberechtigung aller Bürger anerkennende Tendenz, mit andern Worten
die Idee des Staatsbürgerthums suchen. Noch waren die Städte von dem
alten, rein aristokratisch organisirten Rathe regiert, zu dem nur eine ganz be¬
stimmte Anzahl von „Geschlechtern" Zutritt erlangt hatte. Jetzt aber, nachdem
die Unabhängigkeit nach außen hin errungen war, regt sich zum ersten Male
im Innern eine demokratische Opposition gegen die Geschlechter-Aristokratie. Je
mehr der Wohlstand und damit eine behagliche, ja luxuriöse Lebenseinrichtung
in den Städten überHand nahm, um so größere Bedeutung mußte der zu einer
großen technischen Geschicklichkeit gelangte, aber von den politischen Geschäften
noch vollkommen ausgeschlossene Handwerkerstand erlangen. Längst schon hatten
sich die verschiedenen Handwerke zu gemeinsamer Verfolgung ihrer Interessen
in den Zünften und Innungen organisirt, an deren Spitze ein Amman oder
Zunftmeister stand. Diese Gemeinschaften hatten nicht blos, wie die patri-
zischen Geschlechter, ihre gemeinsamen Trinkstuben, sondern sie hatten auch
Versammlungen, in denen sie über wichtige gemeinsame Angelegenheiten be¬
rathschlagten und Beschluß faßten. Gegen Ausgang des 13., noch mehr aber
am Anfange des 14. Jahrhunderts beginnt nun dieser sestgeschlossene Hand¬
werkerstand auch Theilnahme an den Regierungsgeschäften, namentlich Zutritt
zum Rathe zu erstreben. Wo sich die Geschlechter ernstlich und nachdrücklich
diesem Ansinnen widersetzten, kam es zu blutigen Konflikten, in denen meist
die abgehärtete und straff organisirte Handwerkerschaft den Sieg über die Ge¬
schlechter davontrug. Aus diesen Bewegungen ging aber eine neue städtische
Verfassung hervor, die in den norddeutschen Städten beinahe einen rein demo¬
kratischen, in den süddeutschen einen aus aristokratischen und demokratischen
Elementen gemischten Charakter trug. Im ersteren Falle ging die Leitung der
politischen Geschäfte auf einen zum größten Theile von den Zünften besetzten
Rath über, im andern Falle theilten sich Geschlechter und Zünfte zu gleichen
Theilen in die Leitung der Stadt. An die Spitze der gesammten Verwaltung
und Regierung trat in vielen Städten eine rein demokratische Magistratur, die
aber uach dem, wie es scheint, der politischen Entwickelung der Menschheit
innewohnenden Gesetze oft in eine gesetzmäßige Tyrannis umschlug: die der
Ammanmeister. Diese demokratisch-republikanische Verfassung hat dann in den
meisten deutschen Städten bis gegen Ende des Mittelalters fortbestanden.
Wir haben schon darauf hingewiesen, daß es in letzter Instanz der zu
Wohlstand und Ansehen führende Handel und Verkehr war, der die Städte
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