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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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dem Lande möglich war. Es währte aber nicht lange, so erhielt diese zu¬
nehmende Bedeutung auch einen äußeren Ausdruck in der Ausbildung der
städtischen Rathsverfassung. Daß der Bischof die angesehensten Bürger in
wichtigen Geschäften, wenn es ihm beliebte, zu Rathe zog, war schon lange
Sitte gewesen und auch in der Natur der Dinge begründet, da doch dem Bischof
selbst daran liegen mußte, daß seine Residenz und damit auch deren Bevölke¬
rung zu Glanz und Ansehen gelangte. Diese faktische Bedeutung der Bürger¬
schaft wandelte sich aber in den meisten bedeutenderen Städten im Laufe des
12. Jahrhunderts zu einer rechtlichen Unabhängigkeit vom Bischof auch in
politischer Beziehung um, indem der bisher vom Belieben des Bischofs ab¬
hängige Rath zu einer organisirten, vom Bischof mehr oder weniger unabhän¬
gigen Behörde mit gesetzlich geregelten Befugnissen wurde. Man darf diesen
Rath in den Städten des deutschen Mittelalters keineswegs mit den Magistraten
der heutigen Städte vergleichen, deren Befugnisse rein kommunaler Natur sind.
Die mittelalterlichen Städte sind seit Ausbildung der Rathsverfassung selb¬
ständige Republiken, Staaten im Staate. Eine Reminiscenz an ihre politische
Bedeutung hat sich noch in den heutigen Hansestädten erhalten: der Rath jener
Städte war eine politische Regierungsgewalt in eminenten Sinne des Wortes;
er schließt Bündnisse mit anderen Städten und mit benachbarten Fürsten, führt
Krieg, schließt Frieden und hat die gesammte Zivil- und Kriminalgerichtsbar¬
keit in seinen Händen. Das ist das Merkwürdige in der Entwickelung des
deutscheu Reichsorganismus im Mittelalter, daß er innerhalb seiner Grenzen
selbständige Gestaltungen sich entfalten ließ, deren Zusammenhang mit dem
Reiche oft sehr problematisch war. Die Städte haben eben in dieser Beziehung
eine den Territorialfürsten analoge Entwickelung durchgemacht. Daher das
allmähliche Jnsichzusammensinken der kaiserlichen Gewalt, sür die neben diesen
mannigfachen selbständigen Gestaltungen kaum mehr ein Platz vorhanden war.
Wir können uns heute, wo wir die Einheit unseres Vaterlandes wieder er¬
rungen haben, von jenen Zuständen kaum noch eine klare Vorstellung machen.

In der Stellung, die die genialen Kaiser aus dein hohenstaufischen Hause
zu dieser fortschreitenden Bewegung in den Städten nahmen, liegt nun einer
der wesentlichsten Unterschiede der französischen und deutschen Geschichte, obwohl
doch beide Nationen im wesentlichen von denselben Grundlagen -- der karo-
lingischen Verfassung -- ausgegangen sind. Während das französische König¬
thum, welches anfangs noch mehr als das deutsche mit den Unabhängigkeits-
Gelüsten seiner hohen Aristokratie zu kämpfen hatte, um dieser Herr zu werden,
einen Bund mit dem Bürgerthum der Städte schloß und dadurch die Grund¬
lage zum zeutralisirten Einheitsstaat legte, ist den Hohenstaufen wegen ihres
vollständigen Aufgehens in der Idee des universalen Kaiserthums diese Bedeu-


dem Lande möglich war. Es währte aber nicht lange, so erhielt diese zu¬
nehmende Bedeutung auch einen äußeren Ausdruck in der Ausbildung der
städtischen Rathsverfassung. Daß der Bischof die angesehensten Bürger in
wichtigen Geschäften, wenn es ihm beliebte, zu Rathe zog, war schon lange
Sitte gewesen und auch in der Natur der Dinge begründet, da doch dem Bischof
selbst daran liegen mußte, daß seine Residenz und damit auch deren Bevölke¬
rung zu Glanz und Ansehen gelangte. Diese faktische Bedeutung der Bürger¬
schaft wandelte sich aber in den meisten bedeutenderen Städten im Laufe des
12. Jahrhunderts zu einer rechtlichen Unabhängigkeit vom Bischof auch in
politischer Beziehung um, indem der bisher vom Belieben des Bischofs ab¬
hängige Rath zu einer organisirten, vom Bischof mehr oder weniger unabhän¬
gigen Behörde mit gesetzlich geregelten Befugnissen wurde. Man darf diesen
Rath in den Städten des deutschen Mittelalters keineswegs mit den Magistraten
der heutigen Städte vergleichen, deren Befugnisse rein kommunaler Natur sind.
Die mittelalterlichen Städte sind seit Ausbildung der Rathsverfassung selb¬
ständige Republiken, Staaten im Staate. Eine Reminiscenz an ihre politische
Bedeutung hat sich noch in den heutigen Hansestädten erhalten: der Rath jener
Städte war eine politische Regierungsgewalt in eminenten Sinne des Wortes;
er schließt Bündnisse mit anderen Städten und mit benachbarten Fürsten, führt
Krieg, schließt Frieden und hat die gesammte Zivil- und Kriminalgerichtsbar¬
keit in seinen Händen. Das ist das Merkwürdige in der Entwickelung des
deutscheu Reichsorganismus im Mittelalter, daß er innerhalb seiner Grenzen
selbständige Gestaltungen sich entfalten ließ, deren Zusammenhang mit dem
Reiche oft sehr problematisch war. Die Städte haben eben in dieser Beziehung
eine den Territorialfürsten analoge Entwickelung durchgemacht. Daher das
allmähliche Jnsichzusammensinken der kaiserlichen Gewalt, sür die neben diesen
mannigfachen selbständigen Gestaltungen kaum mehr ein Platz vorhanden war.
Wir können uns heute, wo wir die Einheit unseres Vaterlandes wieder er¬
rungen haben, von jenen Zuständen kaum noch eine klare Vorstellung machen.

In der Stellung, die die genialen Kaiser aus dein hohenstaufischen Hause
zu dieser fortschreitenden Bewegung in den Städten nahmen, liegt nun einer
der wesentlichsten Unterschiede der französischen und deutschen Geschichte, obwohl
doch beide Nationen im wesentlichen von denselben Grundlagen — der karo-
lingischen Verfassung — ausgegangen sind. Während das französische König¬
thum, welches anfangs noch mehr als das deutsche mit den Unabhängigkeits-
Gelüsten seiner hohen Aristokratie zu kämpfen hatte, um dieser Herr zu werden,
einen Bund mit dem Bürgerthum der Städte schloß und dadurch die Grund¬
lage zum zeutralisirten Einheitsstaat legte, ist den Hohenstaufen wegen ihres
vollständigen Aufgehens in der Idee des universalen Kaiserthums diese Bedeu-


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[0274] dem Lande möglich war. Es währte aber nicht lange, so erhielt diese zu¬ nehmende Bedeutung auch einen äußeren Ausdruck in der Ausbildung der städtischen Rathsverfassung. Daß der Bischof die angesehensten Bürger in wichtigen Geschäften, wenn es ihm beliebte, zu Rathe zog, war schon lange Sitte gewesen und auch in der Natur der Dinge begründet, da doch dem Bischof selbst daran liegen mußte, daß seine Residenz und damit auch deren Bevölke¬ rung zu Glanz und Ansehen gelangte. Diese faktische Bedeutung der Bürger¬ schaft wandelte sich aber in den meisten bedeutenderen Städten im Laufe des 12. Jahrhunderts zu einer rechtlichen Unabhängigkeit vom Bischof auch in politischer Beziehung um, indem der bisher vom Belieben des Bischofs ab¬ hängige Rath zu einer organisirten, vom Bischof mehr oder weniger unabhän¬ gigen Behörde mit gesetzlich geregelten Befugnissen wurde. Man darf diesen Rath in den Städten des deutschen Mittelalters keineswegs mit den Magistraten der heutigen Städte vergleichen, deren Befugnisse rein kommunaler Natur sind. Die mittelalterlichen Städte sind seit Ausbildung der Rathsverfassung selb¬ ständige Republiken, Staaten im Staate. Eine Reminiscenz an ihre politische Bedeutung hat sich noch in den heutigen Hansestädten erhalten: der Rath jener Städte war eine politische Regierungsgewalt in eminenten Sinne des Wortes; er schließt Bündnisse mit anderen Städten und mit benachbarten Fürsten, führt Krieg, schließt Frieden und hat die gesammte Zivil- und Kriminalgerichtsbar¬ keit in seinen Händen. Das ist das Merkwürdige in der Entwickelung des deutscheu Reichsorganismus im Mittelalter, daß er innerhalb seiner Grenzen selbständige Gestaltungen sich entfalten ließ, deren Zusammenhang mit dem Reiche oft sehr problematisch war. Die Städte haben eben in dieser Beziehung eine den Territorialfürsten analoge Entwickelung durchgemacht. Daher das allmähliche Jnsichzusammensinken der kaiserlichen Gewalt, sür die neben diesen mannigfachen selbständigen Gestaltungen kaum mehr ein Platz vorhanden war. Wir können uns heute, wo wir die Einheit unseres Vaterlandes wieder er¬ rungen haben, von jenen Zuständen kaum noch eine klare Vorstellung machen. In der Stellung, die die genialen Kaiser aus dein hohenstaufischen Hause zu dieser fortschreitenden Bewegung in den Städten nahmen, liegt nun einer der wesentlichsten Unterschiede der französischen und deutschen Geschichte, obwohl doch beide Nationen im wesentlichen von denselben Grundlagen — der karo- lingischen Verfassung — ausgegangen sind. Während das französische König¬ thum, welches anfangs noch mehr als das deutsche mit den Unabhängigkeits- Gelüsten seiner hohen Aristokratie zu kämpfen hatte, um dieser Herr zu werden, einen Bund mit dem Bürgerthum der Städte schloß und dadurch die Grund¬ lage zum zeutralisirten Einheitsstaat legte, ist den Hohenstaufen wegen ihres vollständigen Aufgehens in der Idee des universalen Kaiserthums diese Bedeu-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/274>, abgerufen am 23.07.2024.