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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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Schah es. Am nächsten Sonntage wurde Humbert gewählt, wurde von 684
unter 1299 Pariser Wählern die Kommune in ihren ärgsten Auswüchsen reha-
bilitirt. Die UarssiUÄiso jubelte. Andere radikale Zeitungen, welche Hun¬
derts Wahl empfohlen hatten, waren verblüfft, weil sie nicht ernstlich geglaubt
hatten, daß ein Mensch, der zur Erschießung Chaudeys aufgefordert hatte, siegen
könnte. Die I'rare.Alss, die für ihn zwar nicht eingetreten war,
aber durch Artikel für die allgemeine Amnestie mit den Rothen, wie sie oft
schon gethan, geliebäugelt hatte, wollte der Wahl Hunderts so wenig Bedeu¬
tung beimessen wie der Wahl Blanquis in Bordeaux -- eine Lächerlichkeit,
denn letzterer war gewählt worden, weil man ihn nicht amnestirt hatte, wo¬
gegen der amnestirte Humbert gewählt wurde, um die Kommune zu ver¬
herrlichen. Die antirepublikanischen Blätter waren entzückt. Lolsil schrieb:
"Paris wird künftig von denen verwaltet werden, die es in Brand gesteckt
haben." Dies wird nun zwar vorläufig nicht eintreten; denn die Wahl Hun¬
derts ist annullirt worden, aber sie war ein Symptom, ein Vorschatten der Zu¬
kunft nud kein vereinzelter. In Lyon, wo vier Gemeinderäthe zu wählen
waren, wurden drei Radikale und ein sozialistischer Kandidat, der Amnestirte
Garel, durchgesetzt, und am 27. Oktober brachte im Generalrats des Seine-
Departements dessen früherer Präsident Mathe "im Namen vieler Kollegen"
den Antrag ein: "Der Generalrats, als getreuer Dolmetsch der ungeheuren
Mehrheit seiner Kommittenten, äußert, in Erwägung, daß es im Interesse der
öffentlichen Ruhe und der nationalen Eintracht mehr als je nothwendig ist,
die Spuren unserer bürgerlichen Streitigkeiten auszutilgen, den Wunsch, daß
die volle Amnestie für alle mit den Ereignissen von 1870 und 1871 zusam¬
menhängenden Handlungen baldigst von den öffentlichen Gewalten beschlossen
werde", und dieser Antrag wurde mit allen gegen vier Stimmen zum Beschluß
erhoben, obwohl es sich dabei lediglich um die Begnadigung gemeiner Ver¬
brecher, Mörder und Räuber handelte.'

Diesen Erscheinungen gegenüber scheint der Präsident Grevy sich zu grö¬
ßerer Energie, als er und sein Ministerium bisher an den Tag legten, aufraffen
zu wollen, und die Mehrheit der Volksvertretung wird ihn dabei vermuthlich
unterstützen. Aber wie lange diese Energie anhalten, und ob ihr auf die
Dauer der Sieg bleiben wird, den durch sie entfesselten anarchischen Gelüsten
gegenüber, ist eine schwer zu beantwortende Frage. Alle besonnenen Elemente
in Frankreich hoffen von der Regierung thatkräftige Handhabung der Gesetze
und Sicherstellung der öffentlichen Ordnung. Aber der Schaden ist, wie man
zu sagen Pflegt, schon "zu weit hinein böse" geworden, man hat, was Feuer
war, zu lange nicht als Feuer betrachtet und behandelt, und es fragt sich sehr,
ob noch zu helfen sein wird.


Schah es. Am nächsten Sonntage wurde Humbert gewählt, wurde von 684
unter 1299 Pariser Wählern die Kommune in ihren ärgsten Auswüchsen reha-
bilitirt. Die UarssiUÄiso jubelte. Andere radikale Zeitungen, welche Hun¬
derts Wahl empfohlen hatten, waren verblüfft, weil sie nicht ernstlich geglaubt
hatten, daß ein Mensch, der zur Erschießung Chaudeys aufgefordert hatte, siegen
könnte. Die I'rare.Alss, die für ihn zwar nicht eingetreten war,
aber durch Artikel für die allgemeine Amnestie mit den Rothen, wie sie oft
schon gethan, geliebäugelt hatte, wollte der Wahl Hunderts so wenig Bedeu¬
tung beimessen wie der Wahl Blanquis in Bordeaux — eine Lächerlichkeit,
denn letzterer war gewählt worden, weil man ihn nicht amnestirt hatte, wo¬
gegen der amnestirte Humbert gewählt wurde, um die Kommune zu ver¬
herrlichen. Die antirepublikanischen Blätter waren entzückt. Lolsil schrieb:
„Paris wird künftig von denen verwaltet werden, die es in Brand gesteckt
haben." Dies wird nun zwar vorläufig nicht eintreten; denn die Wahl Hun¬
derts ist annullirt worden, aber sie war ein Symptom, ein Vorschatten der Zu¬
kunft nud kein vereinzelter. In Lyon, wo vier Gemeinderäthe zu wählen
waren, wurden drei Radikale und ein sozialistischer Kandidat, der Amnestirte
Garel, durchgesetzt, und am 27. Oktober brachte im Generalrats des Seine-
Departements dessen früherer Präsident Mathe „im Namen vieler Kollegen"
den Antrag ein: „Der Generalrats, als getreuer Dolmetsch der ungeheuren
Mehrheit seiner Kommittenten, äußert, in Erwägung, daß es im Interesse der
öffentlichen Ruhe und der nationalen Eintracht mehr als je nothwendig ist,
die Spuren unserer bürgerlichen Streitigkeiten auszutilgen, den Wunsch, daß
die volle Amnestie für alle mit den Ereignissen von 1870 und 1871 zusam¬
menhängenden Handlungen baldigst von den öffentlichen Gewalten beschlossen
werde", und dieser Antrag wurde mit allen gegen vier Stimmen zum Beschluß
erhoben, obwohl es sich dabei lediglich um die Begnadigung gemeiner Ver¬
brecher, Mörder und Räuber handelte.'

Diesen Erscheinungen gegenüber scheint der Präsident Grevy sich zu grö¬
ßerer Energie, als er und sein Ministerium bisher an den Tag legten, aufraffen
zu wollen, und die Mehrheit der Volksvertretung wird ihn dabei vermuthlich
unterstützen. Aber wie lange diese Energie anhalten, und ob ihr auf die
Dauer der Sieg bleiben wird, den durch sie entfesselten anarchischen Gelüsten
gegenüber, ist eine schwer zu beantwortende Frage. Alle besonnenen Elemente
in Frankreich hoffen von der Regierung thatkräftige Handhabung der Gesetze
und Sicherstellung der öffentlichen Ordnung. Aber der Schaden ist, wie man
zu sagen Pflegt, schon „zu weit hinein böse" geworden, man hat, was Feuer
war, zu lange nicht als Feuer betrachtet und behandelt, und es fragt sich sehr,
ob noch zu helfen sein wird.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/265>, abgerufen am 23.07.2024.