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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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die Abschaffung des Lohnes durchsetzen, den Krieg der arbeitenden Klasse gegen
die Bourgeoisie beginnen und so endlich die Herrschaft der Revolution sichern solle".

Tags nachher war die Frage wegen einer direkten Vertretung des Prole¬
tariats in den verschiedenen gewählten Körperschaften Gegenstand der Verhand¬
lung, und ein Redner aus Paris suchte den Beweis zu führen, daß das am
schnellsten wirkende Mittel, den Leiden der Proletarier ein Ende zu machen, in
der Vertretung derselben in Senat und Deputirtenkammer, in den General-
und Gemeinderäthen bestehe, während die Stellen der gewühlten Beamten gegen¬
wärtig von Advokaten, Fabrikherren und Großgrundbesitzern besetzt seien, welche
die Proletarier durch lügenhafte Versprechungen hintergingen. Ein Beispiel sei
"der Hohepriester des Opportunismus", Gambetta, der das in Belleville von
ihm unterzeichnete Programm mit Füßen getreten habe. Er entwickelte darauf
sein System der richtigen Arbeitervertretung und schloß, indem er die Besol¬
dung aller gewählten Beamten, den gleichen Antheil Aller am Gewinn, das
gemeinschaftliche, selbständige und freie Eigenthum, die Abschaffung des Senats
und der Präsidentschaft der Republik als letztes Ziel forderte. Die Besetzung
aller Posten und Aemter, die der Staat zu vergeben hat, müsse, so behauptete
er, durch Wahl erfolgen; alle Gruppen und Verbindungen der Arbeiter sollten
sich als Brudervereine der Proletarier Frankreichs bilden und ihre Vertreter
selbst ernennen, der Gewählte müsse ein einfacher Beauftragter ohne selbstän¬
digen Willen sein, der seine Entlassung den Auftraggebern für den Fall, daß
sie mit ihm unzufrieden, vorher in ti-nico einzureichen habe. Ein anderer
Redner wollte zwar aus Liebe zur Republik Opfer bringen, aber die Vertre¬
tung des Proletariats in den gewühlten Körperschaften und das Jmperativ-
mandat seien dann doch zu erstreben. Wieder ein Anderer forderte die Arbeiter
auf, "das sozialistisch-revolutionäre Banner mit allen seinen Konsequenzen zu
entfalten, eine Proletarierpartei zur Verwerthung des allgemeinen Stimmrechts
zu gründen und einen sozialistischen, revolutionären Zentralausschuß mit der
Aufgabe zu bilden, daß derselbe die nächsten Wahlen benutze, um den vollstän¬
digen Bruch mit der Bourgeoisie herbeizuführen, und daß er ein sozialistisches
Programm entwerfe, das alle Kandidaten anzunehmen hätten".

An einem dritten Tage setzte Roche, der Hauptredner des Kongresses,
diesen Abgeschmacktheiten die Krone auf, indem er ausrief: "Die Bourgeois
werden nicht verfehlen, zu schreien: Achtet das Eigenthum! Aber ihr lügt,
ihr Ausbeuter, wenn ihr behauptet, das Eigenthum sei eine Frucht der Arbeit;
denn wenn das wahr wäre, so würden wir, die wir hier sind, allesammt reich
sein. Das Eigenthum ist vielmehr das Ergebniß des Zufalls und der List."
Der Redner verlangte dann, daß man der "Knechtschaft der Arbeiter" ein Ende
mache; denn, sagte er, "ich glaube nicht an das Wirken einer göttlichen Vor-


die Abschaffung des Lohnes durchsetzen, den Krieg der arbeitenden Klasse gegen
die Bourgeoisie beginnen und so endlich die Herrschaft der Revolution sichern solle".

Tags nachher war die Frage wegen einer direkten Vertretung des Prole¬
tariats in den verschiedenen gewählten Körperschaften Gegenstand der Verhand¬
lung, und ein Redner aus Paris suchte den Beweis zu führen, daß das am
schnellsten wirkende Mittel, den Leiden der Proletarier ein Ende zu machen, in
der Vertretung derselben in Senat und Deputirtenkammer, in den General-
und Gemeinderäthen bestehe, während die Stellen der gewühlten Beamten gegen¬
wärtig von Advokaten, Fabrikherren und Großgrundbesitzern besetzt seien, welche
die Proletarier durch lügenhafte Versprechungen hintergingen. Ein Beispiel sei
„der Hohepriester des Opportunismus", Gambetta, der das in Belleville von
ihm unterzeichnete Programm mit Füßen getreten habe. Er entwickelte darauf
sein System der richtigen Arbeitervertretung und schloß, indem er die Besol¬
dung aller gewählten Beamten, den gleichen Antheil Aller am Gewinn, das
gemeinschaftliche, selbständige und freie Eigenthum, die Abschaffung des Senats
und der Präsidentschaft der Republik als letztes Ziel forderte. Die Besetzung
aller Posten und Aemter, die der Staat zu vergeben hat, müsse, so behauptete
er, durch Wahl erfolgen; alle Gruppen und Verbindungen der Arbeiter sollten
sich als Brudervereine der Proletarier Frankreichs bilden und ihre Vertreter
selbst ernennen, der Gewählte müsse ein einfacher Beauftragter ohne selbstän¬
digen Willen sein, der seine Entlassung den Auftraggebern für den Fall, daß
sie mit ihm unzufrieden, vorher in ti-nico einzureichen habe. Ein anderer
Redner wollte zwar aus Liebe zur Republik Opfer bringen, aber die Vertre¬
tung des Proletariats in den gewühlten Körperschaften und das Jmperativ-
mandat seien dann doch zu erstreben. Wieder ein Anderer forderte die Arbeiter
auf, „das sozialistisch-revolutionäre Banner mit allen seinen Konsequenzen zu
entfalten, eine Proletarierpartei zur Verwerthung des allgemeinen Stimmrechts
zu gründen und einen sozialistischen, revolutionären Zentralausschuß mit der
Aufgabe zu bilden, daß derselbe die nächsten Wahlen benutze, um den vollstän¬
digen Bruch mit der Bourgeoisie herbeizuführen, und daß er ein sozialistisches
Programm entwerfe, das alle Kandidaten anzunehmen hätten".

An einem dritten Tage setzte Roche, der Hauptredner des Kongresses,
diesen Abgeschmacktheiten die Krone auf, indem er ausrief: „Die Bourgeois
werden nicht verfehlen, zu schreien: Achtet das Eigenthum! Aber ihr lügt,
ihr Ausbeuter, wenn ihr behauptet, das Eigenthum sei eine Frucht der Arbeit;
denn wenn das wahr wäre, so würden wir, die wir hier sind, allesammt reich
sein. Das Eigenthum ist vielmehr das Ergebniß des Zufalls und der List."
Der Redner verlangte dann, daß man der „Knechtschaft der Arbeiter" ein Ende
mache; denn, sagte er, „ich glaube nicht an das Wirken einer göttlichen Vor-


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[0263] die Abschaffung des Lohnes durchsetzen, den Krieg der arbeitenden Klasse gegen die Bourgeoisie beginnen und so endlich die Herrschaft der Revolution sichern solle". Tags nachher war die Frage wegen einer direkten Vertretung des Prole¬ tariats in den verschiedenen gewählten Körperschaften Gegenstand der Verhand¬ lung, und ein Redner aus Paris suchte den Beweis zu führen, daß das am schnellsten wirkende Mittel, den Leiden der Proletarier ein Ende zu machen, in der Vertretung derselben in Senat und Deputirtenkammer, in den General- und Gemeinderäthen bestehe, während die Stellen der gewühlten Beamten gegen¬ wärtig von Advokaten, Fabrikherren und Großgrundbesitzern besetzt seien, welche die Proletarier durch lügenhafte Versprechungen hintergingen. Ein Beispiel sei „der Hohepriester des Opportunismus", Gambetta, der das in Belleville von ihm unterzeichnete Programm mit Füßen getreten habe. Er entwickelte darauf sein System der richtigen Arbeitervertretung und schloß, indem er die Besol¬ dung aller gewählten Beamten, den gleichen Antheil Aller am Gewinn, das gemeinschaftliche, selbständige und freie Eigenthum, die Abschaffung des Senats und der Präsidentschaft der Republik als letztes Ziel forderte. Die Besetzung aller Posten und Aemter, die der Staat zu vergeben hat, müsse, so behauptete er, durch Wahl erfolgen; alle Gruppen und Verbindungen der Arbeiter sollten sich als Brudervereine der Proletarier Frankreichs bilden und ihre Vertreter selbst ernennen, der Gewählte müsse ein einfacher Beauftragter ohne selbstän¬ digen Willen sein, der seine Entlassung den Auftraggebern für den Fall, daß sie mit ihm unzufrieden, vorher in ti-nico einzureichen habe. Ein anderer Redner wollte zwar aus Liebe zur Republik Opfer bringen, aber die Vertre¬ tung des Proletariats in den gewühlten Körperschaften und das Jmperativ- mandat seien dann doch zu erstreben. Wieder ein Anderer forderte die Arbeiter auf, „das sozialistisch-revolutionäre Banner mit allen seinen Konsequenzen zu entfalten, eine Proletarierpartei zur Verwerthung des allgemeinen Stimmrechts zu gründen und einen sozialistischen, revolutionären Zentralausschuß mit der Aufgabe zu bilden, daß derselbe die nächsten Wahlen benutze, um den vollstän¬ digen Bruch mit der Bourgeoisie herbeizuführen, und daß er ein sozialistisches Programm entwerfe, das alle Kandidaten anzunehmen hätten". An einem dritten Tage setzte Roche, der Hauptredner des Kongresses, diesen Abgeschmacktheiten die Krone auf, indem er ausrief: „Die Bourgeois werden nicht verfehlen, zu schreien: Achtet das Eigenthum! Aber ihr lügt, ihr Ausbeuter, wenn ihr behauptet, das Eigenthum sei eine Frucht der Arbeit; denn wenn das wahr wäre, so würden wir, die wir hier sind, allesammt reich sein. Das Eigenthum ist vielmehr das Ergebniß des Zufalls und der List." Der Redner verlangte dann, daß man der „Knechtschaft der Arbeiter" ein Ende mache; denn, sagte er, „ich glaube nicht an das Wirken einer göttlichen Vor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/263>, abgerufen am 23.07.2024.