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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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hoben zu sein, und machten nun mit dem Zentrum ihre Liste: v. Koller, v. Benda
(nationalliberal), v. Heremann. Diese Liste war genau nach der Stärke der
Fraktionen aufgestellt. Die Liste war nach dem Verfahren der Nationalliberalen
entschuldbar, aber noch kein Ausfluß politischer Weisheit. Wären die Konser¬
vativen bei v. Bennigsen und v. Koller geblieben, so hätten sie für diese die
Einstimmigkeit des Hauses, für den dritten, aus dem Zentrum genommenen
Präsidenten wenigstens die Majorität gehabt. Sie hätten sich damit das Zeug¬
niß der überlegenen Reife in den Augen aller Verständigen ausgestellt. So wie
die Sache nun gekommen ist, besitzt das Abgeordnetenhaus wiederum ein bloßes
Majoritätspräsidium. Die Konservativen haben sich die Gelegenheit entgehen
lassen, dieser schlechten Sitte einen Stoß zu geben und für den bei der Wahl
des dritten Präsidenten stehen bleibenden Rest davon die Verantwortlichkeit auf
die Nationalliberalen zu laden.

Spaßhaft und wieder ganz und gar der Art studentischer Korps entsprechend
ist die Inkonsequenz der Nationalliberalen, zu gestatten, daß einer ihrer Ge¬
nossen, Herr v. Benda, die Wahl durch die Gegner annimmt. Wer erinnert sich
nicht, mit welchen Kraftworten eine Studentenpartei auf die andere losgeht,
aber sofort die Ernennung eines der Ihrigen durch die Gegner zu irgend etwas
acceptirt? Man Pflegt das deutsche Gutmüthigkeit zu nennen, und es liegt
wenigstens das darin, daß das Schelten nicht sehr ernst gemeint ist, daß man
sich im Grunde doch als Bruder sühlt. Der Geschmack an dieser Gutmüthigkeit
ist aber nicht jedes Deutschen Sache, und unsere Befähigung zu einem politischen
Volke wird durch diese Eigenschaft sicherlich nicht erhöht. Wenn die Zentrums¬
männer nicht gut genug sind, einen Vizepräsidenten zu stellen, wie können sie dann'
gut genug sein, einen Nationalliberalen zum Vizepräsidenten zu machen? Das
ist die Gutmüthigkeit deutscher Logik oder die Logik deutscher Gutmüthigkeit.

Diese Präsidentenwahl hat wieder einmal gezeigt, daß der deutsche Parla¬
mentarismus den Kinderschuhen noch immer nicht entwachsen will. Im Uevrigen
hat sie gar keine Bedeutung und keine Nachwirkung. Daß nationalliberale
Organe sich bemühen, aus dieser Präsidentenwahl, die von den Nationalliberalen
selbst gemacht ist, die konservativ-klerikale Majorität, welche einen Nationallibe¬
ralen zum ersten Vizepräsidenten gemacht hat, als unerschütterliche Reaktions¬
armee zu demonstriren, das ist etwas so Unreifes, daß kaum ein parlamentarischer
Ausdruck dafür zu finden ist.

Man erwäge wohl die Probe politischen Verstandes, welche die National¬
liberalen abgelegt haben. Sie fürchten die Bildung einer konservativ-klerikalen
Majorität; sie sind in der Lage, eine liberal-konservative Majorität wenigstens
zu inauguriren, durch die sie den hervorragendsten ihrer Genossen zum ersten
Präsidenten erhoben sehen können. Sie verschmähen es, dies zu thun, und geben


hoben zu sein, und machten nun mit dem Zentrum ihre Liste: v. Koller, v. Benda
(nationalliberal), v. Heremann. Diese Liste war genau nach der Stärke der
Fraktionen aufgestellt. Die Liste war nach dem Verfahren der Nationalliberalen
entschuldbar, aber noch kein Ausfluß politischer Weisheit. Wären die Konser¬
vativen bei v. Bennigsen und v. Koller geblieben, so hätten sie für diese die
Einstimmigkeit des Hauses, für den dritten, aus dem Zentrum genommenen
Präsidenten wenigstens die Majorität gehabt. Sie hätten sich damit das Zeug¬
niß der überlegenen Reife in den Augen aller Verständigen ausgestellt. So wie
die Sache nun gekommen ist, besitzt das Abgeordnetenhaus wiederum ein bloßes
Majoritätspräsidium. Die Konservativen haben sich die Gelegenheit entgehen
lassen, dieser schlechten Sitte einen Stoß zu geben und für den bei der Wahl
des dritten Präsidenten stehen bleibenden Rest davon die Verantwortlichkeit auf
die Nationalliberalen zu laden.

Spaßhaft und wieder ganz und gar der Art studentischer Korps entsprechend
ist die Inkonsequenz der Nationalliberalen, zu gestatten, daß einer ihrer Ge¬
nossen, Herr v. Benda, die Wahl durch die Gegner annimmt. Wer erinnert sich
nicht, mit welchen Kraftworten eine Studentenpartei auf die andere losgeht,
aber sofort die Ernennung eines der Ihrigen durch die Gegner zu irgend etwas
acceptirt? Man Pflegt das deutsche Gutmüthigkeit zu nennen, und es liegt
wenigstens das darin, daß das Schelten nicht sehr ernst gemeint ist, daß man
sich im Grunde doch als Bruder sühlt. Der Geschmack an dieser Gutmüthigkeit
ist aber nicht jedes Deutschen Sache, und unsere Befähigung zu einem politischen
Volke wird durch diese Eigenschaft sicherlich nicht erhöht. Wenn die Zentrums¬
männer nicht gut genug sind, einen Vizepräsidenten zu stellen, wie können sie dann'
gut genug sein, einen Nationalliberalen zum Vizepräsidenten zu machen? Das
ist die Gutmüthigkeit deutscher Logik oder die Logik deutscher Gutmüthigkeit.

Diese Präsidentenwahl hat wieder einmal gezeigt, daß der deutsche Parla¬
mentarismus den Kinderschuhen noch immer nicht entwachsen will. Im Uevrigen
hat sie gar keine Bedeutung und keine Nachwirkung. Daß nationalliberale
Organe sich bemühen, aus dieser Präsidentenwahl, die von den Nationalliberalen
selbst gemacht ist, die konservativ-klerikale Majorität, welche einen Nationallibe¬
ralen zum ersten Vizepräsidenten gemacht hat, als unerschütterliche Reaktions¬
armee zu demonstriren, das ist etwas so Unreifes, daß kaum ein parlamentarischer
Ausdruck dafür zu finden ist.

Man erwäge wohl die Probe politischen Verstandes, welche die National¬
liberalen abgelegt haben. Sie fürchten die Bildung einer konservativ-klerikalen
Majorität; sie sind in der Lage, eine liberal-konservative Majorität wenigstens
zu inauguriren, durch die sie den hervorragendsten ihrer Genossen zum ersten
Präsidenten erhoben sehen können. Sie verschmähen es, dies zu thun, und geben


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/259>, abgerufen am 23.07.2024.