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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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Volkes, und willenskräftige Männer rufen bereits nach Rückkehr zu den drasti¬
schen Strafmitteln der Vorzeit.

' Wir können dem Verfasser in seiner ausführlichen Kritik der neuesten
Strafrechtspflege und des Wesens der ihr dienenden Anstalten, wo er einleuch¬
tend bis ins Einzelne nachweist, daß die auf sie gebauten Hoffnungen sich nicht
erfüllen konnten, das ihnen gespendete Lob in allen wesentlichen Stücken grund¬
los ist, nicht folgen und verweisen deshalb auf das Buch selbst, wo diese Dinge
in Kapitel 3 bis 7 geprüft werden. Dagegen theilen wir noch mit, was unsere
Schrift über das Wesen der modernen Freiheitsstrafen überhaupt urtheilt, und
was sich der Verfasser an deren Stelle denkt und wünscht -- Gedanken und
Wünsche, die wir buchstäblich unterschreiben.

Wenn der historische Staat aus seiner Hoheit heraus die Grenzen erlaub¬
ten und unerlaubten Thuns festsetzt, so will er zunächst nicht erziehen, sondern
seinen eignen Bestand vor Schaden schützen. Die staatsgesetzliche Strafe im
Leben der modernen Kulturvölker soll die einmal bestehende Rechtsordnung auf¬
recht erhalten. Darüber hinaus bedeutet sie nichts. Die staatliche Strafgewalt
besitzt durchaus nicht den Beruf und ebensowenig die Kraft, zu bessern oder
zu erziehen. Die Abschreckung allein ist es, die Strafe als Uebel ist es, welcher
die Wirkung innewohnt, den bestehenden Sittenzustand im nationalen Verbände
aufrecht zu erhalten. Dies gilt auch von den Freiheitsstrafen. Entweder läßt
man ihnen ihre rechtliche Natur, und dann sind sie ein durch absolutes Staats¬
gesetz und feste Rechtsregel bestimmt normirtes Strafübel, das als solches an¬
gedroht und vollzogen wird; dann stehen und fallen sie mit dem Zwecke der
Abschreckung, dann bestimmt sich ihre Qualität und Vollzugsart einzig und
allein nach den Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit, welche die Menschen zwingen,
das Uebelthuu aus Furcht vor Uebelerleideu zu unterlassen. Oder aber, man
verzichtet darauf, durch die Freiheitsstrafen als Uebel abzuschrecken, und be¬
schränkt sie auf Zwecke der Besserung, und dann gehören sie nicht mehr dem
Rechte, sondern der Moral an, vertragen nicht mehr den Zwang strafgesetzlicher
Normen und haben überhaupt als Strafen keinen Sinn mehr. Dann mag
ihre Dauer und Beschaffenheit gänzlich dem Ermessen der weisen Pädagogen
überlassen werden, welche sich berufen fühlen, die sittlich kranke Menschheit durch
Unfreiheit zur Freiheit zu erziehen. Indem aber ein empfindsamer Humanis¬
mus und eine unselige Philanthropie in der modernen Staats- und Rechts¬
entwickelung sich geltend gemacht, das eine und das andere vermischt und den
im staatlichen Verbotsgesetz wurzelnden Grund rechtlich normirter Freiheits¬
strafen mit einem ethischen Inhalt von Menschheitserziehung zusammengeschweißt
haben, können die heutigen Freiheitsstrafen weder abschrecken noch bessern. Statt,
wie man gehofft und verheißen, den Sittenzustand zu heben, schützt das heutige


Volkes, und willenskräftige Männer rufen bereits nach Rückkehr zu den drasti¬
schen Strafmitteln der Vorzeit.

' Wir können dem Verfasser in seiner ausführlichen Kritik der neuesten
Strafrechtspflege und des Wesens der ihr dienenden Anstalten, wo er einleuch¬
tend bis ins Einzelne nachweist, daß die auf sie gebauten Hoffnungen sich nicht
erfüllen konnten, das ihnen gespendete Lob in allen wesentlichen Stücken grund¬
los ist, nicht folgen und verweisen deshalb auf das Buch selbst, wo diese Dinge
in Kapitel 3 bis 7 geprüft werden. Dagegen theilen wir noch mit, was unsere
Schrift über das Wesen der modernen Freiheitsstrafen überhaupt urtheilt, und
was sich der Verfasser an deren Stelle denkt und wünscht — Gedanken und
Wünsche, die wir buchstäblich unterschreiben.

Wenn der historische Staat aus seiner Hoheit heraus die Grenzen erlaub¬
ten und unerlaubten Thuns festsetzt, so will er zunächst nicht erziehen, sondern
seinen eignen Bestand vor Schaden schützen. Die staatsgesetzliche Strafe im
Leben der modernen Kulturvölker soll die einmal bestehende Rechtsordnung auf¬
recht erhalten. Darüber hinaus bedeutet sie nichts. Die staatliche Strafgewalt
besitzt durchaus nicht den Beruf und ebensowenig die Kraft, zu bessern oder
zu erziehen. Die Abschreckung allein ist es, die Strafe als Uebel ist es, welcher
die Wirkung innewohnt, den bestehenden Sittenzustand im nationalen Verbände
aufrecht zu erhalten. Dies gilt auch von den Freiheitsstrafen. Entweder läßt
man ihnen ihre rechtliche Natur, und dann sind sie ein durch absolutes Staats¬
gesetz und feste Rechtsregel bestimmt normirtes Strafübel, das als solches an¬
gedroht und vollzogen wird; dann stehen und fallen sie mit dem Zwecke der
Abschreckung, dann bestimmt sich ihre Qualität und Vollzugsart einzig und
allein nach den Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit, welche die Menschen zwingen,
das Uebelthuu aus Furcht vor Uebelerleideu zu unterlassen. Oder aber, man
verzichtet darauf, durch die Freiheitsstrafen als Uebel abzuschrecken, und be¬
schränkt sie auf Zwecke der Besserung, und dann gehören sie nicht mehr dem
Rechte, sondern der Moral an, vertragen nicht mehr den Zwang strafgesetzlicher
Normen und haben überhaupt als Strafen keinen Sinn mehr. Dann mag
ihre Dauer und Beschaffenheit gänzlich dem Ermessen der weisen Pädagogen
überlassen werden, welche sich berufen fühlen, die sittlich kranke Menschheit durch
Unfreiheit zur Freiheit zu erziehen. Indem aber ein empfindsamer Humanis¬
mus und eine unselige Philanthropie in der modernen Staats- und Rechts¬
entwickelung sich geltend gemacht, das eine und das andere vermischt und den
im staatlichen Verbotsgesetz wurzelnden Grund rechtlich normirter Freiheits¬
strafen mit einem ethischen Inhalt von Menschheitserziehung zusammengeschweißt
haben, können die heutigen Freiheitsstrafen weder abschrecken noch bessern. Statt,
wie man gehofft und verheißen, den Sittenzustand zu heben, schützt das heutige


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[0245] Volkes, und willenskräftige Männer rufen bereits nach Rückkehr zu den drasti¬ schen Strafmitteln der Vorzeit. ' Wir können dem Verfasser in seiner ausführlichen Kritik der neuesten Strafrechtspflege und des Wesens der ihr dienenden Anstalten, wo er einleuch¬ tend bis ins Einzelne nachweist, daß die auf sie gebauten Hoffnungen sich nicht erfüllen konnten, das ihnen gespendete Lob in allen wesentlichen Stücken grund¬ los ist, nicht folgen und verweisen deshalb auf das Buch selbst, wo diese Dinge in Kapitel 3 bis 7 geprüft werden. Dagegen theilen wir noch mit, was unsere Schrift über das Wesen der modernen Freiheitsstrafen überhaupt urtheilt, und was sich der Verfasser an deren Stelle denkt und wünscht — Gedanken und Wünsche, die wir buchstäblich unterschreiben. Wenn der historische Staat aus seiner Hoheit heraus die Grenzen erlaub¬ ten und unerlaubten Thuns festsetzt, so will er zunächst nicht erziehen, sondern seinen eignen Bestand vor Schaden schützen. Die staatsgesetzliche Strafe im Leben der modernen Kulturvölker soll die einmal bestehende Rechtsordnung auf¬ recht erhalten. Darüber hinaus bedeutet sie nichts. Die staatliche Strafgewalt besitzt durchaus nicht den Beruf und ebensowenig die Kraft, zu bessern oder zu erziehen. Die Abschreckung allein ist es, die Strafe als Uebel ist es, welcher die Wirkung innewohnt, den bestehenden Sittenzustand im nationalen Verbände aufrecht zu erhalten. Dies gilt auch von den Freiheitsstrafen. Entweder läßt man ihnen ihre rechtliche Natur, und dann sind sie ein durch absolutes Staats¬ gesetz und feste Rechtsregel bestimmt normirtes Strafübel, das als solches an¬ gedroht und vollzogen wird; dann stehen und fallen sie mit dem Zwecke der Abschreckung, dann bestimmt sich ihre Qualität und Vollzugsart einzig und allein nach den Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit, welche die Menschen zwingen, das Uebelthuu aus Furcht vor Uebelerleideu zu unterlassen. Oder aber, man verzichtet darauf, durch die Freiheitsstrafen als Uebel abzuschrecken, und be¬ schränkt sie auf Zwecke der Besserung, und dann gehören sie nicht mehr dem Rechte, sondern der Moral an, vertragen nicht mehr den Zwang strafgesetzlicher Normen und haben überhaupt als Strafen keinen Sinn mehr. Dann mag ihre Dauer und Beschaffenheit gänzlich dem Ermessen der weisen Pädagogen überlassen werden, welche sich berufen fühlen, die sittlich kranke Menschheit durch Unfreiheit zur Freiheit zu erziehen. Indem aber ein empfindsamer Humanis¬ mus und eine unselige Philanthropie in der modernen Staats- und Rechts¬ entwickelung sich geltend gemacht, das eine und das andere vermischt und den im staatlichen Verbotsgesetz wurzelnden Grund rechtlich normirter Freiheits¬ strafen mit einem ethischen Inhalt von Menschheitserziehung zusammengeschweißt haben, können die heutigen Freiheitsstrafen weder abschrecken noch bessern. Statt, wie man gehofft und verheißen, den Sittenzustand zu heben, schützt das heutige

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/245>, abgerufen am 23.07.2024.