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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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Zweifel, daß wir hier die Vorbilder für die Darstellungen der Pforte vor uns
haben. Ueber die an Davids Seite stehende weibliche Gestalt mit der Krone
haben wir nun volle Gewißheit. Nicht eine Personifikation der Kirche, der
Ecclesia, ist hier zu erkennen, sondern -- Bathseba, das Weib des Uria, eine
Deutung, auf die freilich ohne die Kenntniß jener Quellen kaum jemand verfallen
wäre. David und Bathseba, Salomo und die Königin von Saba, die beiden
Königspaare, sind hier als Hochzeitszeugen gegenwärtig, zugleich aber als die
typischen Vorbilder für Christi Vermählung mit der Kirche. Auch Honorius
bestätigt die Nichtigkeit der Interpretation; in seinen exegetischen und homile¬
tischen Schriften verweilt er mit Vorliebe bei dem Bilde Salomo's und der
Königin von Saba, als dem Vorbilde Christi und der Kirche, und in seiner
Auslegung der Psalmen hebt er es ausdrücklich hervor, daß David die Gestalt Christi,
Bathseba die Natur der Kirche an sich trage. Aber auch Johannes der Täufer erscheint
in Sequenzen und Predigten wiederholt als Freund und sogar als Brautführer des
Bräutigams (xaran^iuxliuZ 8rwnsi), der von Christus zur Hochzeit mit eingeladen
wird, und mit gleichem Rechte ist Johannes der Evangelist anwesend. Johannes,
heißt es, war der Bräutigam, dessen Hochzeit zu Kana gefeiert wurde. Als
er, erzählt Honorius, die wunderbare Verwandlung des Wassers in Wein ge¬
sehen, verließ er seine Braut und folgte Christus nach. Auch die zu Ehren des
Evangelisten gesungenen Sequenzen spielen auf dies Ereigniß an; in einer der¬
selben wird er selbst geradezu als "Bräutigam" Oxorisus) bezeichnet. Nur
Daniel wird in keinem Kirchenliede erwähnt. Aber auch hier geht aus den
exegetischen Schriften des Honorius hervor, wie er unter den Kreis der Hoch¬
zeitszeugen kommt. Seine erste Hochzeit, heißt es, feierte Christus bereits im
Mutterleibe Maria's, "als der König des Himmels mit seinem Sohne Christus
die Menschennatur vermählte, wo die Brautkammer der Leib der Jungfrau war,
aus dem er, wie der Bräutigam aus seiner Kammer, hervorging". Für diese
Hochzeit aber wird im alten Testamente Daniel als Vorbild herangezogen. Wie
Daniel bei versiegelten Eingänge unversehrt in der Löwengrube gefunden wird,
so ist Christus ohne Verletzung der Jungfräulichkeit Maria's in das Innere
ihres Leibes ein- und wiederum daraus hervorgegangen. So stehen denn alle
acht Statuen der Goldner Pforte zum Bräutigam in innigster Beziehung, und
ihre Gegenwart bei der Hochzeit Christi ist nach mittelalterlichen Glauben durch¬
aus verständlich und gerechtfertigt.

Aber auch der übrige Bilderschmuck der Pforte gehört in den Rahmen
der erwähnten Kirchweihgesänge. Die Thier- und Menschenkopfe, auf welche
die heiligen Gestalten treten, versinnlichen, worauf in den Sequenzen ebenfalls
angespielt wird, die feindlichen und sündlichen Mächte, die bei der heiligen
Hochzeit verscheucht und überwunden werden. Im Tympanon ist, um zunächst


Zweifel, daß wir hier die Vorbilder für die Darstellungen der Pforte vor uns
haben. Ueber die an Davids Seite stehende weibliche Gestalt mit der Krone
haben wir nun volle Gewißheit. Nicht eine Personifikation der Kirche, der
Ecclesia, ist hier zu erkennen, sondern — Bathseba, das Weib des Uria, eine
Deutung, auf die freilich ohne die Kenntniß jener Quellen kaum jemand verfallen
wäre. David und Bathseba, Salomo und die Königin von Saba, die beiden
Königspaare, sind hier als Hochzeitszeugen gegenwärtig, zugleich aber als die
typischen Vorbilder für Christi Vermählung mit der Kirche. Auch Honorius
bestätigt die Nichtigkeit der Interpretation; in seinen exegetischen und homile¬
tischen Schriften verweilt er mit Vorliebe bei dem Bilde Salomo's und der
Königin von Saba, als dem Vorbilde Christi und der Kirche, und in seiner
Auslegung der Psalmen hebt er es ausdrücklich hervor, daß David die Gestalt Christi,
Bathseba die Natur der Kirche an sich trage. Aber auch Johannes der Täufer erscheint
in Sequenzen und Predigten wiederholt als Freund und sogar als Brautführer des
Bräutigams (xaran^iuxliuZ 8rwnsi), der von Christus zur Hochzeit mit eingeladen
wird, und mit gleichem Rechte ist Johannes der Evangelist anwesend. Johannes,
heißt es, war der Bräutigam, dessen Hochzeit zu Kana gefeiert wurde. Als
er, erzählt Honorius, die wunderbare Verwandlung des Wassers in Wein ge¬
sehen, verließ er seine Braut und folgte Christus nach. Auch die zu Ehren des
Evangelisten gesungenen Sequenzen spielen auf dies Ereigniß an; in einer der¬
selben wird er selbst geradezu als „Bräutigam" Oxorisus) bezeichnet. Nur
Daniel wird in keinem Kirchenliede erwähnt. Aber auch hier geht aus den
exegetischen Schriften des Honorius hervor, wie er unter den Kreis der Hoch¬
zeitszeugen kommt. Seine erste Hochzeit, heißt es, feierte Christus bereits im
Mutterleibe Maria's, „als der König des Himmels mit seinem Sohne Christus
die Menschennatur vermählte, wo die Brautkammer der Leib der Jungfrau war,
aus dem er, wie der Bräutigam aus seiner Kammer, hervorging". Für diese
Hochzeit aber wird im alten Testamente Daniel als Vorbild herangezogen. Wie
Daniel bei versiegelten Eingänge unversehrt in der Löwengrube gefunden wird,
so ist Christus ohne Verletzung der Jungfräulichkeit Maria's in das Innere
ihres Leibes ein- und wiederum daraus hervorgegangen. So stehen denn alle
acht Statuen der Goldner Pforte zum Bräutigam in innigster Beziehung, und
ihre Gegenwart bei der Hochzeit Christi ist nach mittelalterlichen Glauben durch¬
aus verständlich und gerechtfertigt.

Aber auch der übrige Bilderschmuck der Pforte gehört in den Rahmen
der erwähnten Kirchweihgesänge. Die Thier- und Menschenkopfe, auf welche
die heiligen Gestalten treten, versinnlichen, worauf in den Sequenzen ebenfalls
angespielt wird, die feindlichen und sündlichen Mächte, die bei der heiligen
Hochzeit verscheucht und überwunden werden. Im Tympanon ist, um zunächst


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[0235] Zweifel, daß wir hier die Vorbilder für die Darstellungen der Pforte vor uns haben. Ueber die an Davids Seite stehende weibliche Gestalt mit der Krone haben wir nun volle Gewißheit. Nicht eine Personifikation der Kirche, der Ecclesia, ist hier zu erkennen, sondern — Bathseba, das Weib des Uria, eine Deutung, auf die freilich ohne die Kenntniß jener Quellen kaum jemand verfallen wäre. David und Bathseba, Salomo und die Königin von Saba, die beiden Königspaare, sind hier als Hochzeitszeugen gegenwärtig, zugleich aber als die typischen Vorbilder für Christi Vermählung mit der Kirche. Auch Honorius bestätigt die Nichtigkeit der Interpretation; in seinen exegetischen und homile¬ tischen Schriften verweilt er mit Vorliebe bei dem Bilde Salomo's und der Königin von Saba, als dem Vorbilde Christi und der Kirche, und in seiner Auslegung der Psalmen hebt er es ausdrücklich hervor, daß David die Gestalt Christi, Bathseba die Natur der Kirche an sich trage. Aber auch Johannes der Täufer erscheint in Sequenzen und Predigten wiederholt als Freund und sogar als Brautführer des Bräutigams (xaran^iuxliuZ 8rwnsi), der von Christus zur Hochzeit mit eingeladen wird, und mit gleichem Rechte ist Johannes der Evangelist anwesend. Johannes, heißt es, war der Bräutigam, dessen Hochzeit zu Kana gefeiert wurde. Als er, erzählt Honorius, die wunderbare Verwandlung des Wassers in Wein ge¬ sehen, verließ er seine Braut und folgte Christus nach. Auch die zu Ehren des Evangelisten gesungenen Sequenzen spielen auf dies Ereigniß an; in einer der¬ selben wird er selbst geradezu als „Bräutigam" Oxorisus) bezeichnet. Nur Daniel wird in keinem Kirchenliede erwähnt. Aber auch hier geht aus den exegetischen Schriften des Honorius hervor, wie er unter den Kreis der Hoch¬ zeitszeugen kommt. Seine erste Hochzeit, heißt es, feierte Christus bereits im Mutterleibe Maria's, „als der König des Himmels mit seinem Sohne Christus die Menschennatur vermählte, wo die Brautkammer der Leib der Jungfrau war, aus dem er, wie der Bräutigam aus seiner Kammer, hervorging". Für diese Hochzeit aber wird im alten Testamente Daniel als Vorbild herangezogen. Wie Daniel bei versiegelten Eingänge unversehrt in der Löwengrube gefunden wird, so ist Christus ohne Verletzung der Jungfräulichkeit Maria's in das Innere ihres Leibes ein- und wiederum daraus hervorgegangen. So stehen denn alle acht Statuen der Goldner Pforte zum Bräutigam in innigster Beziehung, und ihre Gegenwart bei der Hochzeit Christi ist nach mittelalterlichen Glauben durch¬ aus verständlich und gerechtfertigt. Aber auch der übrige Bilderschmuck der Pforte gehört in den Rahmen der erwähnten Kirchweihgesänge. Die Thier- und Menschenkopfe, auf welche die heiligen Gestalten treten, versinnlichen, worauf in den Sequenzen ebenfalls angespielt wird, die feindlichen und sündlichen Mächte, die bei der heiligen Hochzeit verscheucht und überwunden werden. Im Tympanon ist, um zunächst

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/235>, abgerufen am 23.07.2024.