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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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Filz, unten mit rothem Tuch ausgeschlagen, die von einem bedeutend größeren
Raum umgeben war als die übrigen. Zwei Schildwachen hielten den Ein¬
gang besetzt, vor dem an langem Schaft ein großes Banner mit sieben Sternen
hing, welche das Sternbild des großen Bären darstellten. Es war das Zelt
des Generals.

Als ich näher hinzutrat, bemerkte ich in dem bläulichen Schatten, den die
Kibitka auf den Sand warf, eine seltsame Gruppe. Einige halbnackte Menschen,
an deren verwundeten Leibern nur noch beschmutzte blutige Fetzen von Klei¬
dungsstücken hingen, kauerten paarweise zusammengebunden, mit aschfahlen, von
Schreck und Angst verzerrten Gesichtern am Boden und wurden von zwei oder
drei Kosaken bewacht, die sich auf ihre Büchsen lehnten. Es waren gefangene
Chiwiner, welche unsre reitenden Wachen in der Nähe des Lagers aufgegriffen
hatten. Die Unglücklichen waren unvermuthet einem geheimen Wachtposten in
die Hände gerathen und hatten ihre Unvorsichtigkeit mit der Freiheit zu büßen.
Soeben war ein Verhör mit ihnen angestellt worden, in Folge dessen, wie ich
später erfuhr, auch jene Sendung an mich erging, die meinen "Käff" so un-
zeitig unterbrach.

Der General saß mit dem Rücken gegen mich ans einem wohlgeformten
Taburet und schrieb. Ich verwickelte mich unversehens mit dem Sporn im
Teppich, riß ihn wieder heraus, stieß einen Gegenstand um und machte über¬
haupt ein ziemliches Geräusch. "Ah, sind Sie es?" sagte der General und
wandte sich ein wenig nach mir um. "Excellenz haben befohlen."--"Ja, ja.
Setzen Sie sich einen Augenblick; ich bin gleich fertig." Er deutete auf einen
andern hübschen Stuhl und fuhr in seiner Beschäftigung fort, ohne sich
weiter um meine Anwesenheit zu kümmern.

Es verging eine Viertelstunde -- eine halbe -- endlich eine ganze. Ich
konnte mich kaum einer betäubenden Schläfrigkeit erwehren. Alle Gegen¬
stände im Innern der Kibitka begannen vor meinen Augen zu tanzen, das mit
einem Teppich bedeckte Feldbett hob sich bald an dem einen, bald an dem
andern Ende und schwankte wie eine Schaluppe auf den Wellen, das silberne
Waschbecken kam herangewackelt, und der helle, viereckige Spiegel umhüllte sich
mit einem dunkeln Nebel. Der breite Rücken des Generals mit den gekreuzten
Hosenträgern (der General war in Hemdärmeln) wurde immer breiter und
breiter -- jetzt nahm er schon die ganze Kibitka ein. Halten Sie! -- Wo
soll ich hin? -- Excellenz, ich habe keinen Platz mehr -- aber die Feder des
Generals flog unaufhörlich kritzelnd über das Papier.

"Hin, hin!" räusperte sich laut der General. "Excellenz!" rief ich und
sprang vom Stuhle. "Ah so, richtig, Sie sind noch da. Nun, das macht
nichts. Sie haben noch vier Stunden zum Ausruhen, ehe Sie meinen Auf-


Filz, unten mit rothem Tuch ausgeschlagen, die von einem bedeutend größeren
Raum umgeben war als die übrigen. Zwei Schildwachen hielten den Ein¬
gang besetzt, vor dem an langem Schaft ein großes Banner mit sieben Sternen
hing, welche das Sternbild des großen Bären darstellten. Es war das Zelt
des Generals.

Als ich näher hinzutrat, bemerkte ich in dem bläulichen Schatten, den die
Kibitka auf den Sand warf, eine seltsame Gruppe. Einige halbnackte Menschen,
an deren verwundeten Leibern nur noch beschmutzte blutige Fetzen von Klei¬
dungsstücken hingen, kauerten paarweise zusammengebunden, mit aschfahlen, von
Schreck und Angst verzerrten Gesichtern am Boden und wurden von zwei oder
drei Kosaken bewacht, die sich auf ihre Büchsen lehnten. Es waren gefangene
Chiwiner, welche unsre reitenden Wachen in der Nähe des Lagers aufgegriffen
hatten. Die Unglücklichen waren unvermuthet einem geheimen Wachtposten in
die Hände gerathen und hatten ihre Unvorsichtigkeit mit der Freiheit zu büßen.
Soeben war ein Verhör mit ihnen angestellt worden, in Folge dessen, wie ich
später erfuhr, auch jene Sendung an mich erging, die meinen „Käff" so un-
zeitig unterbrach.

Der General saß mit dem Rücken gegen mich ans einem wohlgeformten
Taburet und schrieb. Ich verwickelte mich unversehens mit dem Sporn im
Teppich, riß ihn wieder heraus, stieß einen Gegenstand um und machte über¬
haupt ein ziemliches Geräusch. „Ah, sind Sie es?" sagte der General und
wandte sich ein wenig nach mir um. „Excellenz haben befohlen."—„Ja, ja.
Setzen Sie sich einen Augenblick; ich bin gleich fertig." Er deutete auf einen
andern hübschen Stuhl und fuhr in seiner Beschäftigung fort, ohne sich
weiter um meine Anwesenheit zu kümmern.

Es verging eine Viertelstunde — eine halbe — endlich eine ganze. Ich
konnte mich kaum einer betäubenden Schläfrigkeit erwehren. Alle Gegen¬
stände im Innern der Kibitka begannen vor meinen Augen zu tanzen, das mit
einem Teppich bedeckte Feldbett hob sich bald an dem einen, bald an dem
andern Ende und schwankte wie eine Schaluppe auf den Wellen, das silberne
Waschbecken kam herangewackelt, und der helle, viereckige Spiegel umhüllte sich
mit einem dunkeln Nebel. Der breite Rücken des Generals mit den gekreuzten
Hosenträgern (der General war in Hemdärmeln) wurde immer breiter und
breiter — jetzt nahm er schon die ganze Kibitka ein. Halten Sie! — Wo
soll ich hin? — Excellenz, ich habe keinen Platz mehr — aber die Feder des
Generals flog unaufhörlich kritzelnd über das Papier.

„Hin, hin!" räusperte sich laut der General. „Excellenz!" rief ich und
sprang vom Stuhle. „Ah so, richtig, Sie sind noch da. Nun, das macht
nichts. Sie haben noch vier Stunden zum Ausruhen, ehe Sie meinen Auf-


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[0022] Filz, unten mit rothem Tuch ausgeschlagen, die von einem bedeutend größeren Raum umgeben war als die übrigen. Zwei Schildwachen hielten den Ein¬ gang besetzt, vor dem an langem Schaft ein großes Banner mit sieben Sternen hing, welche das Sternbild des großen Bären darstellten. Es war das Zelt des Generals. Als ich näher hinzutrat, bemerkte ich in dem bläulichen Schatten, den die Kibitka auf den Sand warf, eine seltsame Gruppe. Einige halbnackte Menschen, an deren verwundeten Leibern nur noch beschmutzte blutige Fetzen von Klei¬ dungsstücken hingen, kauerten paarweise zusammengebunden, mit aschfahlen, von Schreck und Angst verzerrten Gesichtern am Boden und wurden von zwei oder drei Kosaken bewacht, die sich auf ihre Büchsen lehnten. Es waren gefangene Chiwiner, welche unsre reitenden Wachen in der Nähe des Lagers aufgegriffen hatten. Die Unglücklichen waren unvermuthet einem geheimen Wachtposten in die Hände gerathen und hatten ihre Unvorsichtigkeit mit der Freiheit zu büßen. Soeben war ein Verhör mit ihnen angestellt worden, in Folge dessen, wie ich später erfuhr, auch jene Sendung an mich erging, die meinen „Käff" so un- zeitig unterbrach. Der General saß mit dem Rücken gegen mich ans einem wohlgeformten Taburet und schrieb. Ich verwickelte mich unversehens mit dem Sporn im Teppich, riß ihn wieder heraus, stieß einen Gegenstand um und machte über¬ haupt ein ziemliches Geräusch. „Ah, sind Sie es?" sagte der General und wandte sich ein wenig nach mir um. „Excellenz haben befohlen."—„Ja, ja. Setzen Sie sich einen Augenblick; ich bin gleich fertig." Er deutete auf einen andern hübschen Stuhl und fuhr in seiner Beschäftigung fort, ohne sich weiter um meine Anwesenheit zu kümmern. Es verging eine Viertelstunde — eine halbe — endlich eine ganze. Ich konnte mich kaum einer betäubenden Schläfrigkeit erwehren. Alle Gegen¬ stände im Innern der Kibitka begannen vor meinen Augen zu tanzen, das mit einem Teppich bedeckte Feldbett hob sich bald an dem einen, bald an dem andern Ende und schwankte wie eine Schaluppe auf den Wellen, das silberne Waschbecken kam herangewackelt, und der helle, viereckige Spiegel umhüllte sich mit einem dunkeln Nebel. Der breite Rücken des Generals mit den gekreuzten Hosenträgern (der General war in Hemdärmeln) wurde immer breiter und breiter — jetzt nahm er schon die ganze Kibitka ein. Halten Sie! — Wo soll ich hin? — Excellenz, ich habe keinen Platz mehr — aber die Feder des Generals flog unaufhörlich kritzelnd über das Papier. „Hin, hin!" räusperte sich laut der General. „Excellenz!" rief ich und sprang vom Stuhle. „Ah so, richtig, Sie sind noch da. Nun, das macht nichts. Sie haben noch vier Stunden zum Ausruhen, ehe Sie meinen Auf-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/22>, abgerufen am 23.07.2024.