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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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Von diesen ersten Waldgebieten an dauerte es nur noch 4 Tage, bis der
ersehnte Anblick des TsÄe dem Reisenden zu Theil wurde; am 28. Juni
wurde Ngigmi, der nordwestlichste Flecken an seinen Ufern, erreicht. Wer sich
dieses Gewässer etwa nach dem Vorbild eines europäischen Alpensees vorstellte,
würde sich arg getäuscht sehen, denn anstatt ausgedehnter Wassermassen und
malerischer Uferpartieen erblickt man unbestimmte Ufer mit weit in das Innere
der Lagune sich fortsetzenden Schilfgewirr; des Gefühls der Enttäuschung konnte
sich auch Nachtigal nicht erwehren. Der Anblick des Sees hatte etwas un¬
endlich Flaches und Einförmiges; er glich in seiner Horizontlosigkeit einiger¬
maßen der Wüste, welche noch lebhaft in Aller Erinnerung war. Doch ent¬
schädigt auch hierfür einigermaßen das fremdartige Leben, welches sich an den
Seeufern entfaltete. Die große Wiesenfläche neben der Ortschaft war bedeckt
mit Rindern, Eseln, Schafen und Ziegen; die dunkelfarbigen Einwohner be¬
wegten sich geschäftig hin und her; zahllose Wasservögel, fremdartige Störche,
Reiher, Enten, Pelikane und dunkelfarbige Gänse gingen unbekümmert um
Mensch und Thier ihrer Nahrung nach, und nahe dem Dorfe stand am Rande
des Wassers ein friedlicher Elephant, der feinen Durst löschte und sich den
mächtigen Körper mit Wasser berieselte. Der immer freundlicher sich gestal¬
tende Eindruck wurde noch erhöht durch den artigen Empfang seitens der
Ortsbewohner, deren höfliches und bescheidenes Wesen in scharfem Gegensatze
zu der drohenden Habgier, besonders der Tubu, stand. Nachdem der in Kuka
wohnende Scheich Omar durch vorausgesendete Boten von dem bevorstehenden
Besuch in Kenntniß gesetzt worden, verließ die Karawane Ngigmi, um ihrem
Endziele zuzustreben; sie wurde jedoch mitten auf dem Wege in Folge des
plötzlichen Todes von Bu Wschas Lieblingspferd und Erkrankung mehrerer
Transportthiere zu einer zweitägigen Unterbrechung in Jos genöthigt, bis wo¬
hin eine Schaar arabischer Reiter vom Scheich entgegengesendet wurde, um die
Ankömmlinge willkommen zu heißen. Ihr Anführer war Mohammed el-Titiwi,
der Bruder eines Mursuker Bekannten, der beim Scheich in hoher Gunst stand
und als Vertreter aller nordischen Fremden den Verkehr und die Beziehungen
zu seinem Herrscher vermittelte. Obwohl derselbe in seiner Heimat nicht des
besten Rufes genoß, so hatte Nachtigal doch Ursache, ihm für zahlreiche Ge¬
fälligkeiten und Dienste, sowie für seine Gastfreundschaft dankbar zu sein. Als
die Reisenden und die Begleitmannschaft sich Kuka näherten, wurden sie erst
durch ein ihnen entgegengebrachtes Bewillkommnungsmahl von reicher Auswahl
überrascht; dann rüsteten sie sich so gut als möglich zu dem feierlichen Einzug
in Kuka. Dieser sollte am 6. Juli vor sich gehen. Welche Wichtigkeit der
Scheich seinen Gästen, d. h. zunächst dem Abgesandten des Gouverneurs von
Trivolitanien, beilegte, ging aus dem Umstände hervor, daß er ihm seinen


Von diesen ersten Waldgebieten an dauerte es nur noch 4 Tage, bis der
ersehnte Anblick des TsÄe dem Reisenden zu Theil wurde; am 28. Juni
wurde Ngigmi, der nordwestlichste Flecken an seinen Ufern, erreicht. Wer sich
dieses Gewässer etwa nach dem Vorbild eines europäischen Alpensees vorstellte,
würde sich arg getäuscht sehen, denn anstatt ausgedehnter Wassermassen und
malerischer Uferpartieen erblickt man unbestimmte Ufer mit weit in das Innere
der Lagune sich fortsetzenden Schilfgewirr; des Gefühls der Enttäuschung konnte
sich auch Nachtigal nicht erwehren. Der Anblick des Sees hatte etwas un¬
endlich Flaches und Einförmiges; er glich in seiner Horizontlosigkeit einiger¬
maßen der Wüste, welche noch lebhaft in Aller Erinnerung war. Doch ent¬
schädigt auch hierfür einigermaßen das fremdartige Leben, welches sich an den
Seeufern entfaltete. Die große Wiesenfläche neben der Ortschaft war bedeckt
mit Rindern, Eseln, Schafen und Ziegen; die dunkelfarbigen Einwohner be¬
wegten sich geschäftig hin und her; zahllose Wasservögel, fremdartige Störche,
Reiher, Enten, Pelikane und dunkelfarbige Gänse gingen unbekümmert um
Mensch und Thier ihrer Nahrung nach, und nahe dem Dorfe stand am Rande
des Wassers ein friedlicher Elephant, der feinen Durst löschte und sich den
mächtigen Körper mit Wasser berieselte. Der immer freundlicher sich gestal¬
tende Eindruck wurde noch erhöht durch den artigen Empfang seitens der
Ortsbewohner, deren höfliches und bescheidenes Wesen in scharfem Gegensatze
zu der drohenden Habgier, besonders der Tubu, stand. Nachdem der in Kuka
wohnende Scheich Omar durch vorausgesendete Boten von dem bevorstehenden
Besuch in Kenntniß gesetzt worden, verließ die Karawane Ngigmi, um ihrem
Endziele zuzustreben; sie wurde jedoch mitten auf dem Wege in Folge des
plötzlichen Todes von Bu Wschas Lieblingspferd und Erkrankung mehrerer
Transportthiere zu einer zweitägigen Unterbrechung in Jos genöthigt, bis wo¬
hin eine Schaar arabischer Reiter vom Scheich entgegengesendet wurde, um die
Ankömmlinge willkommen zu heißen. Ihr Anführer war Mohammed el-Titiwi,
der Bruder eines Mursuker Bekannten, der beim Scheich in hoher Gunst stand
und als Vertreter aller nordischen Fremden den Verkehr und die Beziehungen
zu seinem Herrscher vermittelte. Obwohl derselbe in seiner Heimat nicht des
besten Rufes genoß, so hatte Nachtigal doch Ursache, ihm für zahlreiche Ge¬
fälligkeiten und Dienste, sowie für seine Gastfreundschaft dankbar zu sein. Als
die Reisenden und die Begleitmannschaft sich Kuka näherten, wurden sie erst
durch ein ihnen entgegengebrachtes Bewillkommnungsmahl von reicher Auswahl
überrascht; dann rüsteten sie sich so gut als möglich zu dem feierlichen Einzug
in Kuka. Dieser sollte am 6. Juli vor sich gehen. Welche Wichtigkeit der
Scheich seinen Gästen, d. h. zunächst dem Abgesandten des Gouverneurs von
Trivolitanien, beilegte, ging aus dem Umstände hervor, daß er ihm seinen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/210>, abgerufen am 23.07.2024.