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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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Haufenwolken, das Hygrometer stieg dauernd, und die in der mittleren Wüste
selbst bei großen Anstrengungen trocken bleibende Haut begann sich mit Schweiß
zu bedecken. Bei der Oase Agaben wurde dieser Charakter immer ausgespro¬
chener, ja hier erschien die ganze Gegend krautreich und thierbelebt. Wohin
das Auge blickte, traf es friedlich grasende Antilopen, die dort so selten von
den Menschen verfolgt werden, daß sie sich auch bei größerer Annäherung in
ihrer Beschäftigung nicht stören lassen. Nach der Behauptung der Einheimi¬
schen genügt diesen Thieren die Feuchtigkeit der frischen Krautnahrung so voll¬
ständig, daß sie wirkliches Wasser fast nie bedürfen. In Folge reichlicher
Nahrung sind sie so schwerfällig, daß sie leicht gejagt werden können und dann
mit ihrem Fleische eine angenehme Abwechselung in dem Einerlei der Reisekost
bilden. Die Zahl dieser Thiere ist nach Nachtigals Angaben eine unglaublich
große: er erblickte sie einzeln, in kleinen Trupps, in Heerden von Hunderten
nach allen Richtungen. Südlich von der Oase Agaben geht die kränterreiche
Ebene zur wirklichen Steppe über, die hier Tintumma heißt. Hier fehlt es
auf größere Entfernungen so sehr an allen sichtbaren Erhebungen und ausge¬
tretenen Pfaden, daß in dem den Boden bedeckenden dichten und frischen Grün
das Vorwärtskommen nur unter sicherer Führung möglich wird. Schon zeigten
sich vereinzelte Tundubbäume mit Vielgestalter Verästelung; bald aber, als ein¬
mal die Nordgrenze der regelmäßigen Sommerregeu überschritten war, änderte
sich der landschaftliche Charakter der Gegend immer durchgreifender. Jetzt zeigte
sich schon ein fortlaufender lichter Wald, theils aus sterilen Akazienarten, theils
aber auch aus stolzerem laub- und schattenreicheren Bäumen bestehend. Die
Akazien waren mit Schmarotzerpflanzen bedeckt und von Schlinggewächsen um¬
rankt, welche ans luftiger Höhe ihre Wurzeln dem Boden zusandten, und zu
den Füßen der Bäume entwickelte sich durch den Regen, dessen Periode bei
Nachtigals Ankunft gerade begonnen hatte, ein grüner Bodenteppich aus süd¬
lichen Gräsern und Kräutern, deren scharfspitzige Samenkapseln allerdings nicht
selten bösartige Wunden verursachten. "Welch' malerische Gruppen," schreibt
Nachtigal begeistert, "welcher Reichthum der Färbung, welche Mannigfaltigkeit
der Formen! Mit inniger Lust weilt das Auge des Wüstenwanderers auf
diesen Schöpfungen der Natur, deren Genuß ihm durch den Gegensatz zu der
todten Welt, die hinter ihm liegt, ins Unendliche vervielfältigt wird." Zu der
veränderten Szenerie aber traten die Spuren des Wasser- und schattenbedürf¬
tigen Löwen, der hier reiche Gelegenheit zur Antilopenjagd findet, und die
mächtigen Fußabdrücke der schlanken, scheuen Giraffe; an den Abhängen graste
die graziöse Mohorantilope, am Horizonte eilte der Strauß hin, und aus dem
Walde schallten die langentbehrten Stimmen der Vögel: Alles war Leben,
Anmuth und Fülle.


Grenzboten IV. 1879. 27

Haufenwolken, das Hygrometer stieg dauernd, und die in der mittleren Wüste
selbst bei großen Anstrengungen trocken bleibende Haut begann sich mit Schweiß
zu bedecken. Bei der Oase Agaben wurde dieser Charakter immer ausgespro¬
chener, ja hier erschien die ganze Gegend krautreich und thierbelebt. Wohin
das Auge blickte, traf es friedlich grasende Antilopen, die dort so selten von
den Menschen verfolgt werden, daß sie sich auch bei größerer Annäherung in
ihrer Beschäftigung nicht stören lassen. Nach der Behauptung der Einheimi¬
schen genügt diesen Thieren die Feuchtigkeit der frischen Krautnahrung so voll¬
ständig, daß sie wirkliches Wasser fast nie bedürfen. In Folge reichlicher
Nahrung sind sie so schwerfällig, daß sie leicht gejagt werden können und dann
mit ihrem Fleische eine angenehme Abwechselung in dem Einerlei der Reisekost
bilden. Die Zahl dieser Thiere ist nach Nachtigals Angaben eine unglaublich
große: er erblickte sie einzeln, in kleinen Trupps, in Heerden von Hunderten
nach allen Richtungen. Südlich von der Oase Agaben geht die kränterreiche
Ebene zur wirklichen Steppe über, die hier Tintumma heißt. Hier fehlt es
auf größere Entfernungen so sehr an allen sichtbaren Erhebungen und ausge¬
tretenen Pfaden, daß in dem den Boden bedeckenden dichten und frischen Grün
das Vorwärtskommen nur unter sicherer Führung möglich wird. Schon zeigten
sich vereinzelte Tundubbäume mit Vielgestalter Verästelung; bald aber, als ein¬
mal die Nordgrenze der regelmäßigen Sommerregeu überschritten war, änderte
sich der landschaftliche Charakter der Gegend immer durchgreifender. Jetzt zeigte
sich schon ein fortlaufender lichter Wald, theils aus sterilen Akazienarten, theils
aber auch aus stolzerem laub- und schattenreicheren Bäumen bestehend. Die
Akazien waren mit Schmarotzerpflanzen bedeckt und von Schlinggewächsen um¬
rankt, welche ans luftiger Höhe ihre Wurzeln dem Boden zusandten, und zu
den Füßen der Bäume entwickelte sich durch den Regen, dessen Periode bei
Nachtigals Ankunft gerade begonnen hatte, ein grüner Bodenteppich aus süd¬
lichen Gräsern und Kräutern, deren scharfspitzige Samenkapseln allerdings nicht
selten bösartige Wunden verursachten. „Welch' malerische Gruppen," schreibt
Nachtigal begeistert, „welcher Reichthum der Färbung, welche Mannigfaltigkeit
der Formen! Mit inniger Lust weilt das Auge des Wüstenwanderers auf
diesen Schöpfungen der Natur, deren Genuß ihm durch den Gegensatz zu der
todten Welt, die hinter ihm liegt, ins Unendliche vervielfältigt wird." Zu der
veränderten Szenerie aber traten die Spuren des Wasser- und schattenbedürf¬
tigen Löwen, der hier reiche Gelegenheit zur Antilopenjagd findet, und die
mächtigen Fußabdrücke der schlanken, scheuen Giraffe; an den Abhängen graste
die graziöse Mohorantilope, am Horizonte eilte der Strauß hin, und aus dem
Walde schallten die langentbehrten Stimmen der Vögel: Alles war Leben,
Anmuth und Fülle.


Grenzboten IV. 1879. 27
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[0209] Haufenwolken, das Hygrometer stieg dauernd, und die in der mittleren Wüste selbst bei großen Anstrengungen trocken bleibende Haut begann sich mit Schweiß zu bedecken. Bei der Oase Agaben wurde dieser Charakter immer ausgespro¬ chener, ja hier erschien die ganze Gegend krautreich und thierbelebt. Wohin das Auge blickte, traf es friedlich grasende Antilopen, die dort so selten von den Menschen verfolgt werden, daß sie sich auch bei größerer Annäherung in ihrer Beschäftigung nicht stören lassen. Nach der Behauptung der Einheimi¬ schen genügt diesen Thieren die Feuchtigkeit der frischen Krautnahrung so voll¬ ständig, daß sie wirkliches Wasser fast nie bedürfen. In Folge reichlicher Nahrung sind sie so schwerfällig, daß sie leicht gejagt werden können und dann mit ihrem Fleische eine angenehme Abwechselung in dem Einerlei der Reisekost bilden. Die Zahl dieser Thiere ist nach Nachtigals Angaben eine unglaublich große: er erblickte sie einzeln, in kleinen Trupps, in Heerden von Hunderten nach allen Richtungen. Südlich von der Oase Agaben geht die kränterreiche Ebene zur wirklichen Steppe über, die hier Tintumma heißt. Hier fehlt es auf größere Entfernungen so sehr an allen sichtbaren Erhebungen und ausge¬ tretenen Pfaden, daß in dem den Boden bedeckenden dichten und frischen Grün das Vorwärtskommen nur unter sicherer Führung möglich wird. Schon zeigten sich vereinzelte Tundubbäume mit Vielgestalter Verästelung; bald aber, als ein¬ mal die Nordgrenze der regelmäßigen Sommerregeu überschritten war, änderte sich der landschaftliche Charakter der Gegend immer durchgreifender. Jetzt zeigte sich schon ein fortlaufender lichter Wald, theils aus sterilen Akazienarten, theils aber auch aus stolzerem laub- und schattenreicheren Bäumen bestehend. Die Akazien waren mit Schmarotzerpflanzen bedeckt und von Schlinggewächsen um¬ rankt, welche ans luftiger Höhe ihre Wurzeln dem Boden zusandten, und zu den Füßen der Bäume entwickelte sich durch den Regen, dessen Periode bei Nachtigals Ankunft gerade begonnen hatte, ein grüner Bodenteppich aus süd¬ lichen Gräsern und Kräutern, deren scharfspitzige Samenkapseln allerdings nicht selten bösartige Wunden verursachten. „Welch' malerische Gruppen," schreibt Nachtigal begeistert, „welcher Reichthum der Färbung, welche Mannigfaltigkeit der Formen! Mit inniger Lust weilt das Auge des Wüstenwanderers auf diesen Schöpfungen der Natur, deren Genuß ihm durch den Gegensatz zu der todten Welt, die hinter ihm liegt, ins Unendliche vervielfältigt wird." Zu der veränderten Szenerie aber traten die Spuren des Wasser- und schattenbedürf¬ tigen Löwen, der hier reiche Gelegenheit zur Antilopenjagd findet, und die mächtigen Fußabdrücke der schlanken, scheuen Giraffe; an den Abhängen graste die graziöse Mohorantilope, am Horizonte eilte der Strauß hin, und aus dem Walde schallten die langentbehrten Stimmen der Vögel: Alles war Leben, Anmuth und Fülle. Grenzboten IV. 1879. 27

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/209>, abgerufen am 23.07.2024.