Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

schwer zu übersteigen, für Nachtigal war die Passage dieser Terrainschwierig¬
keiten geradezu peinvoll, weil das beständige Waten im Sande seine Füße und
Unterschenkel mit einem hochrothen Hautausschlag in den wunderlichst geformten
Flecken überdeckte, der wie Feuer brannte. Indeß auch auf diese Anstrengungen
folgte eine Entschädigung; allmählich bereitete sich der Uebergang in andere
Zonen vor: die zunehmende Vegetation von SiwA-Büschen verlieh den Oasen
immer größere Frische und Ueppigkeit; das lebhafte Treiben der Vögel in den
Bäumen, die zahlreichen Spuren von Gazellen und größeren Antilopen zeugten
von einem Thierleben, wie es die Wüste nördlich von KawÄ,r nicht kennt;
alles ließ die Nähe fruchtbarerer Himmelsstriche ahnen. Freilich mußten diese
Momente des größeren Formenreichthums und der Erfrischung der Sinne noch
öfter durch Ueberwindung jener endlos erscheinenden Dünenhügel erkauft werden,
deren Erklimmung für die Kameele mitunter derart beschwerlich wurde, daß
sie entlastet werden mußten. Durch das nachschleppen der Kisten, das Auf-
und Wiederabladen ging aber viel Zeit verloren. Indeß "der Abend entschä¬
digt reichlich für die Qual des Tages. Der Sandwind schweigt; der unver¬
hüllte Himmel erscheint klar und tiefdunkel und besät sich mit Gestirnen, deren
Glanz wir in ähnlichem Grade bei uns nur in seltenen Winternächten zu be¬
wundern Gelegenheit haben. Eine tiefe Ruhe lagert sich über den Schauplatz
der mühseligen Tagesarbeit, des tosenden Windes und des wirbelnden Flug¬
sandes. In wunderbarer Schärfe und Klarheit zeichnen sich die Konturen der
mannigfach gestalteten Sandberge auf dem klaren Grunde der Atmosphäre;
phantastisch überragt dazwischen ein dunkler Fels die hellen Hügel; ein lichte
Färbung am fernen Horizonte verkündet den Aufgang des Mondes, der bald
als silberne, glänzende Kugel durch den Aether schwebt, so leicht und heiter,
daß man jeden Augenblick meint, er müsse eine schnellere, hüpfende Bewegung
annehmen. Scharfe Lichter und Schatten bringen dann eine geheimnißvolle
Mannigfaltigkeit in die vielgestaltigen Dünen, viel reicher und schöner, als das
Licht des Tages es vermochte." Die Nacht ist daher in der Wüste die günstigste
Zeit zum Reisen, sie fördert wesentlich durch die kühlere Temperatur.

Die Dünenregion fand ihr Ende mit der Oase Dibböla: an, ihre Stelle
tritt eine hoch und breit gewellte Gegend mit sandigem Boden und beginnt
sich, besonders in den Wellentiefen, mit Vegetation zu bedecken, die, je weiter
nach Süden, sich um so mehr auf die Höhe der Terrainwellen wagt. Hier
traten auch die atmosphärischen Veränderungen immer entschiedener auf: die
Winde wurden schwankender, und wenn zu Mittag der Ostwind die Allein¬
herrschaft hatte, so machte ihm in der Tagesfrühe eine westliche Strömung den
Rang streitig, oder es kam für längere Zeit nur zu einem unsicheren Südwinde.
Der früher so wolkenlose Himmel zeigte in der zweiten Tageshälfte nicht selten


schwer zu übersteigen, für Nachtigal war die Passage dieser Terrainschwierig¬
keiten geradezu peinvoll, weil das beständige Waten im Sande seine Füße und
Unterschenkel mit einem hochrothen Hautausschlag in den wunderlichst geformten
Flecken überdeckte, der wie Feuer brannte. Indeß auch auf diese Anstrengungen
folgte eine Entschädigung; allmählich bereitete sich der Uebergang in andere
Zonen vor: die zunehmende Vegetation von SiwA-Büschen verlieh den Oasen
immer größere Frische und Ueppigkeit; das lebhafte Treiben der Vögel in den
Bäumen, die zahlreichen Spuren von Gazellen und größeren Antilopen zeugten
von einem Thierleben, wie es die Wüste nördlich von KawÄ,r nicht kennt;
alles ließ die Nähe fruchtbarerer Himmelsstriche ahnen. Freilich mußten diese
Momente des größeren Formenreichthums und der Erfrischung der Sinne noch
öfter durch Ueberwindung jener endlos erscheinenden Dünenhügel erkauft werden,
deren Erklimmung für die Kameele mitunter derart beschwerlich wurde, daß
sie entlastet werden mußten. Durch das nachschleppen der Kisten, das Auf-
und Wiederabladen ging aber viel Zeit verloren. Indeß „der Abend entschä¬
digt reichlich für die Qual des Tages. Der Sandwind schweigt; der unver¬
hüllte Himmel erscheint klar und tiefdunkel und besät sich mit Gestirnen, deren
Glanz wir in ähnlichem Grade bei uns nur in seltenen Winternächten zu be¬
wundern Gelegenheit haben. Eine tiefe Ruhe lagert sich über den Schauplatz
der mühseligen Tagesarbeit, des tosenden Windes und des wirbelnden Flug¬
sandes. In wunderbarer Schärfe und Klarheit zeichnen sich die Konturen der
mannigfach gestalteten Sandberge auf dem klaren Grunde der Atmosphäre;
phantastisch überragt dazwischen ein dunkler Fels die hellen Hügel; ein lichte
Färbung am fernen Horizonte verkündet den Aufgang des Mondes, der bald
als silberne, glänzende Kugel durch den Aether schwebt, so leicht und heiter,
daß man jeden Augenblick meint, er müsse eine schnellere, hüpfende Bewegung
annehmen. Scharfe Lichter und Schatten bringen dann eine geheimnißvolle
Mannigfaltigkeit in die vielgestaltigen Dünen, viel reicher und schöner, als das
Licht des Tages es vermochte." Die Nacht ist daher in der Wüste die günstigste
Zeit zum Reisen, sie fördert wesentlich durch die kühlere Temperatur.

Die Dünenregion fand ihr Ende mit der Oase Dibböla: an, ihre Stelle
tritt eine hoch und breit gewellte Gegend mit sandigem Boden und beginnt
sich, besonders in den Wellentiefen, mit Vegetation zu bedecken, die, je weiter
nach Süden, sich um so mehr auf die Höhe der Terrainwellen wagt. Hier
traten auch die atmosphärischen Veränderungen immer entschiedener auf: die
Winde wurden schwankender, und wenn zu Mittag der Ostwind die Allein¬
herrschaft hatte, so machte ihm in der Tagesfrühe eine westliche Strömung den
Rang streitig, oder es kam für längere Zeit nur zu einem unsicheren Südwinde.
Der früher so wolkenlose Himmel zeigte in der zweiten Tageshälfte nicht selten


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0208" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/143263"/>
          <p xml:id="ID_623" prev="#ID_622"> schwer zu übersteigen, für Nachtigal war die Passage dieser Terrainschwierig¬<lb/>
keiten geradezu peinvoll, weil das beständige Waten im Sande seine Füße und<lb/>
Unterschenkel mit einem hochrothen Hautausschlag in den wunderlichst geformten<lb/>
Flecken überdeckte, der wie Feuer brannte. Indeß auch auf diese Anstrengungen<lb/>
folgte eine Entschädigung; allmählich bereitete sich der Uebergang in andere<lb/>
Zonen vor: die zunehmende Vegetation von SiwA-Büschen verlieh den Oasen<lb/>
immer größere Frische und Ueppigkeit; das lebhafte Treiben der Vögel in den<lb/>
Bäumen, die zahlreichen Spuren von Gazellen und größeren Antilopen zeugten<lb/>
von einem Thierleben, wie es die Wüste nördlich von KawÄ,r nicht kennt;<lb/>
alles ließ die Nähe fruchtbarerer Himmelsstriche ahnen. Freilich mußten diese<lb/>
Momente des größeren Formenreichthums und der Erfrischung der Sinne noch<lb/>
öfter durch Ueberwindung jener endlos erscheinenden Dünenhügel erkauft werden,<lb/>
deren Erklimmung für die Kameele mitunter derart beschwerlich wurde, daß<lb/>
sie entlastet werden mußten. Durch das nachschleppen der Kisten, das Auf-<lb/>
und Wiederabladen ging aber viel Zeit verloren. Indeß &#x201E;der Abend entschä¬<lb/>
digt reichlich für die Qual des Tages. Der Sandwind schweigt; der unver¬<lb/>
hüllte Himmel erscheint klar und tiefdunkel und besät sich mit Gestirnen, deren<lb/>
Glanz wir in ähnlichem Grade bei uns nur in seltenen Winternächten zu be¬<lb/>
wundern Gelegenheit haben. Eine tiefe Ruhe lagert sich über den Schauplatz<lb/>
der mühseligen Tagesarbeit, des tosenden Windes und des wirbelnden Flug¬<lb/>
sandes. In wunderbarer Schärfe und Klarheit zeichnen sich die Konturen der<lb/>
mannigfach gestalteten Sandberge auf dem klaren Grunde der Atmosphäre;<lb/>
phantastisch überragt dazwischen ein dunkler Fels die hellen Hügel; ein lichte<lb/>
Färbung am fernen Horizonte verkündet den Aufgang des Mondes, der bald<lb/>
als silberne, glänzende Kugel durch den Aether schwebt, so leicht und heiter,<lb/>
daß man jeden Augenblick meint, er müsse eine schnellere, hüpfende Bewegung<lb/>
annehmen. Scharfe Lichter und Schatten bringen dann eine geheimnißvolle<lb/>
Mannigfaltigkeit in die vielgestaltigen Dünen, viel reicher und schöner, als das<lb/>
Licht des Tages es vermochte." Die Nacht ist daher in der Wüste die günstigste<lb/>
Zeit zum Reisen, sie fördert wesentlich durch die kühlere Temperatur.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_624" next="#ID_625"> Die Dünenregion fand ihr Ende mit der Oase Dibböla: an, ihre Stelle<lb/>
tritt eine hoch und breit gewellte Gegend mit sandigem Boden und beginnt<lb/>
sich, besonders in den Wellentiefen, mit Vegetation zu bedecken, die, je weiter<lb/>
nach Süden, sich um so mehr auf die Höhe der Terrainwellen wagt. Hier<lb/>
traten auch die atmosphärischen Veränderungen immer entschiedener auf: die<lb/>
Winde wurden schwankender, und wenn zu Mittag der Ostwind die Allein¬<lb/>
herrschaft hatte, so machte ihm in der Tagesfrühe eine westliche Strömung den<lb/>
Rang streitig, oder es kam für längere Zeit nur zu einem unsicheren Südwinde.<lb/>
Der früher so wolkenlose Himmel zeigte in der zweiten Tageshälfte nicht selten</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0208] schwer zu übersteigen, für Nachtigal war die Passage dieser Terrainschwierig¬ keiten geradezu peinvoll, weil das beständige Waten im Sande seine Füße und Unterschenkel mit einem hochrothen Hautausschlag in den wunderlichst geformten Flecken überdeckte, der wie Feuer brannte. Indeß auch auf diese Anstrengungen folgte eine Entschädigung; allmählich bereitete sich der Uebergang in andere Zonen vor: die zunehmende Vegetation von SiwA-Büschen verlieh den Oasen immer größere Frische und Ueppigkeit; das lebhafte Treiben der Vögel in den Bäumen, die zahlreichen Spuren von Gazellen und größeren Antilopen zeugten von einem Thierleben, wie es die Wüste nördlich von KawÄ,r nicht kennt; alles ließ die Nähe fruchtbarerer Himmelsstriche ahnen. Freilich mußten diese Momente des größeren Formenreichthums und der Erfrischung der Sinne noch öfter durch Ueberwindung jener endlos erscheinenden Dünenhügel erkauft werden, deren Erklimmung für die Kameele mitunter derart beschwerlich wurde, daß sie entlastet werden mußten. Durch das nachschleppen der Kisten, das Auf- und Wiederabladen ging aber viel Zeit verloren. Indeß „der Abend entschä¬ digt reichlich für die Qual des Tages. Der Sandwind schweigt; der unver¬ hüllte Himmel erscheint klar und tiefdunkel und besät sich mit Gestirnen, deren Glanz wir in ähnlichem Grade bei uns nur in seltenen Winternächten zu be¬ wundern Gelegenheit haben. Eine tiefe Ruhe lagert sich über den Schauplatz der mühseligen Tagesarbeit, des tosenden Windes und des wirbelnden Flug¬ sandes. In wunderbarer Schärfe und Klarheit zeichnen sich die Konturen der mannigfach gestalteten Sandberge auf dem klaren Grunde der Atmosphäre; phantastisch überragt dazwischen ein dunkler Fels die hellen Hügel; ein lichte Färbung am fernen Horizonte verkündet den Aufgang des Mondes, der bald als silberne, glänzende Kugel durch den Aether schwebt, so leicht und heiter, daß man jeden Augenblick meint, er müsse eine schnellere, hüpfende Bewegung annehmen. Scharfe Lichter und Schatten bringen dann eine geheimnißvolle Mannigfaltigkeit in die vielgestaltigen Dünen, viel reicher und schöner, als das Licht des Tages es vermochte." Die Nacht ist daher in der Wüste die günstigste Zeit zum Reisen, sie fördert wesentlich durch die kühlere Temperatur. Die Dünenregion fand ihr Ende mit der Oase Dibböla: an, ihre Stelle tritt eine hoch und breit gewellte Gegend mit sandigem Boden und beginnt sich, besonders in den Wellentiefen, mit Vegetation zu bedecken, die, je weiter nach Süden, sich um so mehr auf die Höhe der Terrainwellen wagt. Hier traten auch die atmosphärischen Veränderungen immer entschiedener auf: die Winde wurden schwankender, und wenn zu Mittag der Ostwind die Allein¬ herrschaft hatte, so machte ihm in der Tagesfrühe eine westliche Strömung den Rang streitig, oder es kam für längere Zeit nur zu einem unsicheren Südwinde. Der früher so wolkenlose Himmel zeigte in der zweiten Tageshälfte nicht selten

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/208
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/208>, abgerufen am 23.07.2024.