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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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alten Hutes im siebenten, das Bild von der Magd, welche am Samstag die
Küche auf den Sonntag schmückt, im sechsten Gesänge.

Der "Idylle vom Bodensee" folgte wieder ein Märchen, das "Stuttgarter
Hutzelmännlein" (1853). Der künstlerische Fortschritt der "Märchennovellistik"
gegenüber ist unverkennbar, aber rein festgehalten ist der Charakter des Märchens
auch hier noch nicht. Beweis dafür ist die Schelle, welche die Nonnenhof-
Wirthin in ihrem Keller für die schöne Lau, die Nixe des Blautopfs, richte"
läßt, und Anderes. Schade, daß Mörike im Märchen, für das er so glänzend
befähigt war, zu ausschließlich individuellen Neigungen, zu wenig dem Büchlein
gefolgt ist, das ihm "das lieblichste blieb", den Kinder- und Hausmärchen der
Brüder Grimm. Rein märchenhaft ist die "Hand der Jezerte", 1856, so viel
mir bekannt, zuerst gedruckt; eine orientalische Erzählung im Stil des alten
Testaments, Charaktere und Motive märchenhaft einfach, Alles nur Umrisse,
die aber plastisch dastehen wie auf dem klaren Grunde des südlichen Himmels.

Im "Hutzelmännlein", dem Büchlein, mit dem der Dichter seine neue
Stuttgarter Heimat begrüßte, schüttet er einmal aus, was von Märchenstoffen
Alles in ihm herbergt und nistet. Da kommen denn aus den geheimsten
Falten die eigenthümlichsten, zum Theil wunderlichsten Gestalten und Einfülle
hervor. In keines von Mörikes Werken liest man sich langsamer hinein als
in dieses, keines ist auch so spezifisch schwäbisch. Die Komposition macht zuerst
den Eindruck eines räthselhaft verschlungenen Wnrzelgeflechts, aber mit der
Zeit entdeckt man bei allen Auswüchsen mehr künstlerische Weisheit darin, als
man erwartet. Und so muß man auch mit dem Element volksthümlicher
Sprache und Ueberlieferung, in dem der Dichter wie in rings umspülenden
Wellen sich wiegt und plätschert, erst vertraut werden, um an der Sprache, die
so köstlich in ganzen Farben malt, Gefallen zu finden, muß man an das Sonder¬
bare mancher Erfindungen sich erst gewöhnt haben, um den Humor, das warme
Leben oder, wie in der Schlußhandlung, die wunderbare Poesie der Erzählung
sich recht zu Herzen gehen zu lassen, um sich an dem Pechschwitzer, an der
schönen Lau, an dem unheimlichen Stiefelknecht, der nachts lebendig wird und
die Obstdiebe fängt, an den Wurstelmaukelern in traulicher Nähe zu erfreuen
Gestalten, die vor Mörike niemand auch nur mit Namen gekannt hat, und die
er vor uns hinstellt wie alte Bekannte. Kein Wunder, daß sie "Schatten warfen".
Eine Freundin des Dichters hat Silhouetten zu dem Büchlein ausgeschnitten,
Moriz v. Schwind hat die Episode von der schönen Lau illustrirt.

Dem "Hutzelmännlein" ließ Mörike nach drei Jahren (1856) die Novelle
"Mozart auf der Reise nach Prag" folgen, seine letzte, seine beste Erzählung,
diejenige nnter seinen größeren Dichtungen, welche ohne weiteres die rückhalt¬
lose Liebe jedes Lesers gewinnt. Die kundigen Sammler, welche das Beste,


alten Hutes im siebenten, das Bild von der Magd, welche am Samstag die
Küche auf den Sonntag schmückt, im sechsten Gesänge.

Der „Idylle vom Bodensee" folgte wieder ein Märchen, das „Stuttgarter
Hutzelmännlein" (1853). Der künstlerische Fortschritt der „Märchennovellistik"
gegenüber ist unverkennbar, aber rein festgehalten ist der Charakter des Märchens
auch hier noch nicht. Beweis dafür ist die Schelle, welche die Nonnenhof-
Wirthin in ihrem Keller für die schöne Lau, die Nixe des Blautopfs, richte»
läßt, und Anderes. Schade, daß Mörike im Märchen, für das er so glänzend
befähigt war, zu ausschließlich individuellen Neigungen, zu wenig dem Büchlein
gefolgt ist, das ihm „das lieblichste blieb", den Kinder- und Hausmärchen der
Brüder Grimm. Rein märchenhaft ist die „Hand der Jezerte", 1856, so viel
mir bekannt, zuerst gedruckt; eine orientalische Erzählung im Stil des alten
Testaments, Charaktere und Motive märchenhaft einfach, Alles nur Umrisse,
die aber plastisch dastehen wie auf dem klaren Grunde des südlichen Himmels.

Im „Hutzelmännlein", dem Büchlein, mit dem der Dichter seine neue
Stuttgarter Heimat begrüßte, schüttet er einmal aus, was von Märchenstoffen
Alles in ihm herbergt und nistet. Da kommen denn aus den geheimsten
Falten die eigenthümlichsten, zum Theil wunderlichsten Gestalten und Einfülle
hervor. In keines von Mörikes Werken liest man sich langsamer hinein als
in dieses, keines ist auch so spezifisch schwäbisch. Die Komposition macht zuerst
den Eindruck eines räthselhaft verschlungenen Wnrzelgeflechts, aber mit der
Zeit entdeckt man bei allen Auswüchsen mehr künstlerische Weisheit darin, als
man erwartet. Und so muß man auch mit dem Element volksthümlicher
Sprache und Ueberlieferung, in dem der Dichter wie in rings umspülenden
Wellen sich wiegt und plätschert, erst vertraut werden, um an der Sprache, die
so köstlich in ganzen Farben malt, Gefallen zu finden, muß man an das Sonder¬
bare mancher Erfindungen sich erst gewöhnt haben, um den Humor, das warme
Leben oder, wie in der Schlußhandlung, die wunderbare Poesie der Erzählung
sich recht zu Herzen gehen zu lassen, um sich an dem Pechschwitzer, an der
schönen Lau, an dem unheimlichen Stiefelknecht, der nachts lebendig wird und
die Obstdiebe fängt, an den Wurstelmaukelern in traulicher Nähe zu erfreuen
Gestalten, die vor Mörike niemand auch nur mit Namen gekannt hat, und die
er vor uns hinstellt wie alte Bekannte. Kein Wunder, daß sie „Schatten warfen".
Eine Freundin des Dichters hat Silhouetten zu dem Büchlein ausgeschnitten,
Moriz v. Schwind hat die Episode von der schönen Lau illustrirt.

Dem „Hutzelmännlein" ließ Mörike nach drei Jahren (1856) die Novelle
„Mozart auf der Reise nach Prag" folgen, seine letzte, seine beste Erzählung,
diejenige nnter seinen größeren Dichtungen, welche ohne weiteres die rückhalt¬
lose Liebe jedes Lesers gewinnt. Die kundigen Sammler, welche das Beste,


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[0186] alten Hutes im siebenten, das Bild von der Magd, welche am Samstag die Küche auf den Sonntag schmückt, im sechsten Gesänge. Der „Idylle vom Bodensee" folgte wieder ein Märchen, das „Stuttgarter Hutzelmännlein" (1853). Der künstlerische Fortschritt der „Märchennovellistik" gegenüber ist unverkennbar, aber rein festgehalten ist der Charakter des Märchens auch hier noch nicht. Beweis dafür ist die Schelle, welche die Nonnenhof- Wirthin in ihrem Keller für die schöne Lau, die Nixe des Blautopfs, richte» läßt, und Anderes. Schade, daß Mörike im Märchen, für das er so glänzend befähigt war, zu ausschließlich individuellen Neigungen, zu wenig dem Büchlein gefolgt ist, das ihm „das lieblichste blieb", den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm. Rein märchenhaft ist die „Hand der Jezerte", 1856, so viel mir bekannt, zuerst gedruckt; eine orientalische Erzählung im Stil des alten Testaments, Charaktere und Motive märchenhaft einfach, Alles nur Umrisse, die aber plastisch dastehen wie auf dem klaren Grunde des südlichen Himmels. Im „Hutzelmännlein", dem Büchlein, mit dem der Dichter seine neue Stuttgarter Heimat begrüßte, schüttet er einmal aus, was von Märchenstoffen Alles in ihm herbergt und nistet. Da kommen denn aus den geheimsten Falten die eigenthümlichsten, zum Theil wunderlichsten Gestalten und Einfülle hervor. In keines von Mörikes Werken liest man sich langsamer hinein als in dieses, keines ist auch so spezifisch schwäbisch. Die Komposition macht zuerst den Eindruck eines räthselhaft verschlungenen Wnrzelgeflechts, aber mit der Zeit entdeckt man bei allen Auswüchsen mehr künstlerische Weisheit darin, als man erwartet. Und so muß man auch mit dem Element volksthümlicher Sprache und Ueberlieferung, in dem der Dichter wie in rings umspülenden Wellen sich wiegt und plätschert, erst vertraut werden, um an der Sprache, die so köstlich in ganzen Farben malt, Gefallen zu finden, muß man an das Sonder¬ bare mancher Erfindungen sich erst gewöhnt haben, um den Humor, das warme Leben oder, wie in der Schlußhandlung, die wunderbare Poesie der Erzählung sich recht zu Herzen gehen zu lassen, um sich an dem Pechschwitzer, an der schönen Lau, an dem unheimlichen Stiefelknecht, der nachts lebendig wird und die Obstdiebe fängt, an den Wurstelmaukelern in traulicher Nähe zu erfreuen Gestalten, die vor Mörike niemand auch nur mit Namen gekannt hat, und die er vor uns hinstellt wie alte Bekannte. Kein Wunder, daß sie „Schatten warfen". Eine Freundin des Dichters hat Silhouetten zu dem Büchlein ausgeschnitten, Moriz v. Schwind hat die Episode von der schönen Lau illustrirt. Dem „Hutzelmännlein" ließ Mörike nach drei Jahren (1856) die Novelle „Mozart auf der Reise nach Prag" folgen, seine letzte, seine beste Erzählung, diejenige nnter seinen größeren Dichtungen, welche ohne weiteres die rückhalt¬ lose Liebe jedes Lesers gewinnt. Die kundigen Sammler, welche das Beste,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/186>, abgerufen am 26.08.2024.