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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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romantischen Natur in dem sinnigen Knaben, dem werdenden Jüngling die süße
Gewohnheit des Träumers, Brütens und sinnig spielender Beschäftigung, die,
auch fernerhin stets gepflegt, in Tübingen im Verkehre mit wenigen Auser¬
wählten, zumal dem liebenswürdigen, anschmiegsamen Bauer, zur Schöpfung
der phantastisch-poetischen Märchenwelt von Orplid führte. Künstler seiner
innersten Natur nach, hatte es Monte geschehen lassen, daß er Theolog wurde,
und seine Freunde wissen wenigstens nicht zu sagen, wozu er besser getaugt
Hütte. Nach einem an Moriz v. Schwind gerichteten Gedichte, das in seine
' Sammlung leider nicht aufgenommen ist*), müssen wir annehmen, daß er
eigentlich Maler werden wollte, und seine Poesie verleugnet es nicht, daß sie
ihm zum Theil Ersatz dafür werden mußte. Schon in der Schule war er ein
Träumer, aber nie hat die Schule schwer auf ihn gedrückt. Er eignete sich
die gediegene klassische Bildung der würtembergischen Stiftler und so auch, was
er zu seinem Berufe brauchte, ohne Mühe, gleichsam nebenbei an. Er wurde
Vikar, dann (1834) Pfarrer und zwar in eben dem Pfarrhause zu Cleversulz¬
bach, von dem uns der Thurmhahn erzählt. Aber es ist Dichtung und Wahr¬
heit, was der gute Hahn berichtet. Nicht Frau, Mägdlein und Buben umgaben
ihn dort, sondern seine Mutter, an der er mit inniger Liebe hing, und die ihm
dort starb, und seine Schwester Clärchen, die ihn auch fernerhin treulich durchs
Leben begleitete. Denn Kränklichkeit, die ihn nöthigte, schon im zweiten Sommer
einen Vikar anzunehmen, veranlaßte ihn nach neun Jahren sein Amt niederzulegen.
Seitdem hat er keine volle Berufsthätigkeit mehr sei es gefunden oder gesucht.
Denn seine spätere Thätigkeit als Professor für deutsche Literatur am Katha-
rinenstift in Stuttgart (1851--66), so segensreich sie war, kann, da sie ihn zu
einer einzigen Stunde wöchentlich verpflichtete, nicht wohl als solche gelten.
Spät erst, 1851, fand er die Gattin und das Glück der Familie. Es sollte
ihm leider nicht bis ans Ende ungetrübt bleiben. Seinem stillen Dasein setzte
1875 der Tod ein Ziel.

Schwerlich hätte sich sein Leben viel reicher gestaltet, auch wen" Krankheit
nicht vielfach hemmend eingegriffen hätte. Er brauchte "eine gewisse stete
Temperatur", brauchte "zeitweise eine heimlich melancholische Beschränkung, als
graue Folie jener unerklärbar tiefen Herzensfreudigkeit, die aus dem innigen
Gefühl unserer selbst hervorquillt". Und er brauchte diese Stille, diese Be¬
schränkung "von jeher", "seit frühester Zeit". Schon den Knaben finden wir
"an irgend einem beschränkten Winkel" > einer Beschaulichkeit hingegeben, "die
man fromm nennen könnte, wenn eine innige Richtung der Seele auf die Natur



*) Mitgetheilt von Waldmüller-Duboc in seinem Erinnerungsblatt an Mörike in
Westermcmns Monatsheften, Aprilheft 1376, S. 66 ff.

romantischen Natur in dem sinnigen Knaben, dem werdenden Jüngling die süße
Gewohnheit des Träumers, Brütens und sinnig spielender Beschäftigung, die,
auch fernerhin stets gepflegt, in Tübingen im Verkehre mit wenigen Auser¬
wählten, zumal dem liebenswürdigen, anschmiegsamen Bauer, zur Schöpfung
der phantastisch-poetischen Märchenwelt von Orplid führte. Künstler seiner
innersten Natur nach, hatte es Monte geschehen lassen, daß er Theolog wurde,
und seine Freunde wissen wenigstens nicht zu sagen, wozu er besser getaugt
Hütte. Nach einem an Moriz v. Schwind gerichteten Gedichte, das in seine
' Sammlung leider nicht aufgenommen ist*), müssen wir annehmen, daß er
eigentlich Maler werden wollte, und seine Poesie verleugnet es nicht, daß sie
ihm zum Theil Ersatz dafür werden mußte. Schon in der Schule war er ein
Träumer, aber nie hat die Schule schwer auf ihn gedrückt. Er eignete sich
die gediegene klassische Bildung der würtembergischen Stiftler und so auch, was
er zu seinem Berufe brauchte, ohne Mühe, gleichsam nebenbei an. Er wurde
Vikar, dann (1834) Pfarrer und zwar in eben dem Pfarrhause zu Cleversulz¬
bach, von dem uns der Thurmhahn erzählt. Aber es ist Dichtung und Wahr¬
heit, was der gute Hahn berichtet. Nicht Frau, Mägdlein und Buben umgaben
ihn dort, sondern seine Mutter, an der er mit inniger Liebe hing, und die ihm
dort starb, und seine Schwester Clärchen, die ihn auch fernerhin treulich durchs
Leben begleitete. Denn Kränklichkeit, die ihn nöthigte, schon im zweiten Sommer
einen Vikar anzunehmen, veranlaßte ihn nach neun Jahren sein Amt niederzulegen.
Seitdem hat er keine volle Berufsthätigkeit mehr sei es gefunden oder gesucht.
Denn seine spätere Thätigkeit als Professor für deutsche Literatur am Katha-
rinenstift in Stuttgart (1851—66), so segensreich sie war, kann, da sie ihn zu
einer einzigen Stunde wöchentlich verpflichtete, nicht wohl als solche gelten.
Spät erst, 1851, fand er die Gattin und das Glück der Familie. Es sollte
ihm leider nicht bis ans Ende ungetrübt bleiben. Seinem stillen Dasein setzte
1875 der Tod ein Ziel.

Schwerlich hätte sich sein Leben viel reicher gestaltet, auch wen» Krankheit
nicht vielfach hemmend eingegriffen hätte. Er brauchte „eine gewisse stete
Temperatur", brauchte „zeitweise eine heimlich melancholische Beschränkung, als
graue Folie jener unerklärbar tiefen Herzensfreudigkeit, die aus dem innigen
Gefühl unserer selbst hervorquillt". Und er brauchte diese Stille, diese Be¬
schränkung „von jeher", „seit frühester Zeit". Schon den Knaben finden wir
„an irgend einem beschränkten Winkel" > einer Beschaulichkeit hingegeben, „die
man fromm nennen könnte, wenn eine innige Richtung der Seele auf die Natur



*) Mitgetheilt von Waldmüller-Duboc in seinem Erinnerungsblatt an Mörike in
Westermcmns Monatsheften, Aprilheft 1376, S. 66 ff.
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[0179] romantischen Natur in dem sinnigen Knaben, dem werdenden Jüngling die süße Gewohnheit des Träumers, Brütens und sinnig spielender Beschäftigung, die, auch fernerhin stets gepflegt, in Tübingen im Verkehre mit wenigen Auser¬ wählten, zumal dem liebenswürdigen, anschmiegsamen Bauer, zur Schöpfung der phantastisch-poetischen Märchenwelt von Orplid führte. Künstler seiner innersten Natur nach, hatte es Monte geschehen lassen, daß er Theolog wurde, und seine Freunde wissen wenigstens nicht zu sagen, wozu er besser getaugt Hütte. Nach einem an Moriz v. Schwind gerichteten Gedichte, das in seine ' Sammlung leider nicht aufgenommen ist*), müssen wir annehmen, daß er eigentlich Maler werden wollte, und seine Poesie verleugnet es nicht, daß sie ihm zum Theil Ersatz dafür werden mußte. Schon in der Schule war er ein Träumer, aber nie hat die Schule schwer auf ihn gedrückt. Er eignete sich die gediegene klassische Bildung der würtembergischen Stiftler und so auch, was er zu seinem Berufe brauchte, ohne Mühe, gleichsam nebenbei an. Er wurde Vikar, dann (1834) Pfarrer und zwar in eben dem Pfarrhause zu Cleversulz¬ bach, von dem uns der Thurmhahn erzählt. Aber es ist Dichtung und Wahr¬ heit, was der gute Hahn berichtet. Nicht Frau, Mägdlein und Buben umgaben ihn dort, sondern seine Mutter, an der er mit inniger Liebe hing, und die ihm dort starb, und seine Schwester Clärchen, die ihn auch fernerhin treulich durchs Leben begleitete. Denn Kränklichkeit, die ihn nöthigte, schon im zweiten Sommer einen Vikar anzunehmen, veranlaßte ihn nach neun Jahren sein Amt niederzulegen. Seitdem hat er keine volle Berufsthätigkeit mehr sei es gefunden oder gesucht. Denn seine spätere Thätigkeit als Professor für deutsche Literatur am Katha- rinenstift in Stuttgart (1851—66), so segensreich sie war, kann, da sie ihn zu einer einzigen Stunde wöchentlich verpflichtete, nicht wohl als solche gelten. Spät erst, 1851, fand er die Gattin und das Glück der Familie. Es sollte ihm leider nicht bis ans Ende ungetrübt bleiben. Seinem stillen Dasein setzte 1875 der Tod ein Ziel. Schwerlich hätte sich sein Leben viel reicher gestaltet, auch wen» Krankheit nicht vielfach hemmend eingegriffen hätte. Er brauchte „eine gewisse stete Temperatur", brauchte „zeitweise eine heimlich melancholische Beschränkung, als graue Folie jener unerklärbar tiefen Herzensfreudigkeit, die aus dem innigen Gefühl unserer selbst hervorquillt". Und er brauchte diese Stille, diese Be¬ schränkung „von jeher", „seit frühester Zeit". Schon den Knaben finden wir „an irgend einem beschränkten Winkel" > einer Beschaulichkeit hingegeben, „die man fromm nennen könnte, wenn eine innige Richtung der Seele auf die Natur *) Mitgetheilt von Waldmüller-Duboc in seinem Erinnerungsblatt an Mörike in Westermcmns Monatsheften, Aprilheft 1376, S. 66 ff.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/179>, abgerufen am 27.07.2024.