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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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sahen, alle suchten ihre Hell bei der Kunst. Die Schulen füllten sich, und bei
der oft entgegengesetzten Anschauung der Lehrer bildeten sich bald unter den An¬
hängern der einen und der andern Schule die heterogensten Richtungen aus.
Um schon als Schüler in möglichst Hellem Lichte zu erscheinen, wurde mit allen
Mitteln der Reklame die Schule und das leuchtende Haupt derselben der ganzen
Welt als unübertrefflich hingestellt. Die Sucht, schnell berühmt zu werden, wurde
epidemisch und zeigte sich besonders in der oft hirnlosen, absonderlichen Wahl
sensationeller Motive oder in dem geistlosen Streben nach rein technischem Vir-
tuosenthum. Diese Schwindelprodukte mit ihrer auffallenden, bestechenden Aeußer-
lichkeit entsprachen dem materialistischen Geschmack der modernen Gesellschaft.
Bald war Nachfrage nach solcher Waare -- und wo Nachfrage ist, da gibts
auch was zu handeln, was zu verdienen. Kunstgeschäfte und -Händler schössen
wie Pilze ans dem Boden, und die Werke künstlich gezogener Koryphäen wurden
bei bengalischer Beleuchtung und dem Geschmetter berauschender Reklamemusik
der verblüfften Welt vor die Augen geführt. Hausknechte, Lohndiener, Kellner,
Modellsteher und arbeitsscheue Vergolder, kurz alles gerirte sich als Kunsthändler,
ja es entstanden Kunsthandlungen von ziemlicher Bedeutung, welche in der
Gründerzeit brillante Geschäfte machten. Das Kunstwerk war zum Spekulations¬
werth avancirt, an dem sich nach den Kalkulationen der Liebhaber und laut
Auktionsbericht so und so viele Prozente verdienen lassen. Und um den Werth
unbedeutender Werke in die Hohe zu treiben, brauchte man ja nur die felle
Kritik in den Dienst zu nehmen, das Publikum glaubt ja stets, was es schwarz
auf weiß im Wochenblättchen liest.

Das war die goldene Zeit der Künstler und die traurige der Kunst. Unter
den Künstlern machte sich ein gewisser Wohlstand geltend, und Mancher, dem
nicht alle Ideale entschwunden waren, rüstete sich, durch dies materielle Wohl¬
befinden in die Lage versetzt, etwas bedeutenderes schaffen zu können, mit seiner
ganzen Kraft zu dem großen Friedensturnier, welches 1873 auf der inter¬
nationalen Ausstellung in Wien stattfinden sollte. Schon waren die Abgeord¬
neten der Münchener Kunstgenossenschaft für Wien ernannt. Da plötzlich überfiel
eine dunkle Ahnung die Koryphäen unserer Münchener Kunst. Es war ein Ge¬
fühl der Unsicherheit, das ihnen sagte: "Wenn wir nicht durch eine besondere
Dekoration der Wände, an denen unsere Werke aufgehängt werden, das Auge
des Beschauers auf uns ziehen, so schwindet der Nimbus, der uns jetzt umstrahlt."
Man beantragte eine Generalversammlung der Münchener Künstlergenossenschaft
und verlangte in derselben, neben den schon gewählten Abgeordneten noch einen
Dekorationsausschuß für Ausschmückung der Wände aufzustellen. Die egoistische
Absicht wurde sofort durchschaut, und bei der jammerwürdigen Vertretung des
Antrags durch die Sprecher der Partei, Piloty, Lenbach und Konsorten, fiel


sahen, alle suchten ihre Hell bei der Kunst. Die Schulen füllten sich, und bei
der oft entgegengesetzten Anschauung der Lehrer bildeten sich bald unter den An¬
hängern der einen und der andern Schule die heterogensten Richtungen aus.
Um schon als Schüler in möglichst Hellem Lichte zu erscheinen, wurde mit allen
Mitteln der Reklame die Schule und das leuchtende Haupt derselben der ganzen
Welt als unübertrefflich hingestellt. Die Sucht, schnell berühmt zu werden, wurde
epidemisch und zeigte sich besonders in der oft hirnlosen, absonderlichen Wahl
sensationeller Motive oder in dem geistlosen Streben nach rein technischem Vir-
tuosenthum. Diese Schwindelprodukte mit ihrer auffallenden, bestechenden Aeußer-
lichkeit entsprachen dem materialistischen Geschmack der modernen Gesellschaft.
Bald war Nachfrage nach solcher Waare — und wo Nachfrage ist, da gibts
auch was zu handeln, was zu verdienen. Kunstgeschäfte und -Händler schössen
wie Pilze ans dem Boden, und die Werke künstlich gezogener Koryphäen wurden
bei bengalischer Beleuchtung und dem Geschmetter berauschender Reklamemusik
der verblüfften Welt vor die Augen geführt. Hausknechte, Lohndiener, Kellner,
Modellsteher und arbeitsscheue Vergolder, kurz alles gerirte sich als Kunsthändler,
ja es entstanden Kunsthandlungen von ziemlicher Bedeutung, welche in der
Gründerzeit brillante Geschäfte machten. Das Kunstwerk war zum Spekulations¬
werth avancirt, an dem sich nach den Kalkulationen der Liebhaber und laut
Auktionsbericht so und so viele Prozente verdienen lassen. Und um den Werth
unbedeutender Werke in die Hohe zu treiben, brauchte man ja nur die felle
Kritik in den Dienst zu nehmen, das Publikum glaubt ja stets, was es schwarz
auf weiß im Wochenblättchen liest.

Das war die goldene Zeit der Künstler und die traurige der Kunst. Unter
den Künstlern machte sich ein gewisser Wohlstand geltend, und Mancher, dem
nicht alle Ideale entschwunden waren, rüstete sich, durch dies materielle Wohl¬
befinden in die Lage versetzt, etwas bedeutenderes schaffen zu können, mit seiner
ganzen Kraft zu dem großen Friedensturnier, welches 1873 auf der inter¬
nationalen Ausstellung in Wien stattfinden sollte. Schon waren die Abgeord¬
neten der Münchener Kunstgenossenschaft für Wien ernannt. Da plötzlich überfiel
eine dunkle Ahnung die Koryphäen unserer Münchener Kunst. Es war ein Ge¬
fühl der Unsicherheit, das ihnen sagte: „Wenn wir nicht durch eine besondere
Dekoration der Wände, an denen unsere Werke aufgehängt werden, das Auge
des Beschauers auf uns ziehen, so schwindet der Nimbus, der uns jetzt umstrahlt."
Man beantragte eine Generalversammlung der Münchener Künstlergenossenschaft
und verlangte in derselben, neben den schon gewählten Abgeordneten noch einen
Dekorationsausschuß für Ausschmückung der Wände aufzustellen. Die egoistische
Absicht wurde sofort durchschaut, und bei der jammerwürdigen Vertretung des
Antrags durch die Sprecher der Partei, Piloty, Lenbach und Konsorten, fiel


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/171>, abgerufen am 23.07.2024.