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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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steuern. Dieselben halfen aber nichts. 1742 wurden sieben und in den Jahren
1750 und 1751 über elf Millionen Gallonen spirituösen vertilgt. In London
gab es damals anßer den öffentlichen Branntweinschenken mehr als 17 000
heimliche, und Meldung sagt 1751, "daß Gin die Hauptnahrung von minde¬
stens 100000 Bewohnern der Stadt sei". Aber nicht blos hier grassirte diese
Volkskrankheit. Bischof Benson äußert in einem von London aus geschriebenen
Briefe: "Nicht nur hier in der Stadt, sondern auch auf dem Lande kann
man nicht mehr sicher leben, so häufig sind jetzt Raub und Mord. Unser
Volk ist grausam und unmenschlich geworden, was es srtiher nie war. Jene
fluchwürdigen Spirituosen, die zur Schande unserer Regierung so leicht zu
haben sind und in so großer Menge getrunken werden, haben die ganze Natur
der Nation umgewandelt, und sie werden, wenn man so weiter trinkt, die Race
selbst zerstören." 1751 wurden unter dem Ministerium Pelham einige neue
und durchgreifende Maßregeln beschlossen und mit beträchtlichem Erfolge aus¬
geführt. Aber immerhin brachten dieselben nur eine Milderung, keine Heilung
zu Wege, und seit dem dritten Dezennium des vorigen Jahrhunderts hat die
Trunksucht nicht aufgehört, den moralischen und physischen Wohlthaten ent¬
gegenzuwirken, welche man von dem erhöhten kommerziellen Gedeihen Englands
erwarten durfte.

Höchst traurig war es, vorzüglich in London, um die öffentliche Ordnung
bestellt. Kaum kann man sich eine Vorstellung von der Ungestrastheit der
Gewaltthätigkeiten macheu, die damals in der schlecht beleuchteten und nicht
besser bewachten Stadt nächtlicher Weile verübt wurden. 1712 machten die
"Mohocks", eine Gesellschaft junger Leute aus deu höheren Ständen, sich nachts
das Vergnügen, auf den Straßen die Vorübergehenden zu überfallen und aufs
schändlichste zu mißhandeln. Sie "tippten den Löwen", d. h. sie drückten dem
Betreffenden die Nase platt ins Gesicht und bohrten ihm mit dem Daumen
die Augen aus. Sie verfuhren als "Schweißtreiber", d. h. sie umstellten ihr
Opfer und prickelten es so lange mit ihren Degen, bis es erschöpft und in
Schweiß gebadet zu Boden sank, als "Tanzmeister", indem sie es mit ihren
Klingen in die Beine stießen und es so zum Hüpfen zwangen, als "Umstülper",
indem sie Frauen packten und auf den Kopf stellten. Dienstmädchen schnitt
man, nachdem man sie herausgepocht, ins Gesicht, Matronen steckte man in
Fässer und rollte sie darin den steilen Abhang von Snowhill hinunter. Die
Nachtwächter waren gegen solchen Unfug, der auch später (noch 1742), wenn
auch-in weniger argem Grade, vorkam, meist nutzlos. Sie waren gewöhnlich
alte Leute, nur mit einer Stange bewaffnet, saßen, statt auf der Straße zu-
sein, in der Regel im Bierhause und waren durch Brutalität oft selbst eine


steuern. Dieselben halfen aber nichts. 1742 wurden sieben und in den Jahren
1750 und 1751 über elf Millionen Gallonen spirituösen vertilgt. In London
gab es damals anßer den öffentlichen Branntweinschenken mehr als 17 000
heimliche, und Meldung sagt 1751, „daß Gin die Hauptnahrung von minde¬
stens 100000 Bewohnern der Stadt sei". Aber nicht blos hier grassirte diese
Volkskrankheit. Bischof Benson äußert in einem von London aus geschriebenen
Briefe: „Nicht nur hier in der Stadt, sondern auch auf dem Lande kann
man nicht mehr sicher leben, so häufig sind jetzt Raub und Mord. Unser
Volk ist grausam und unmenschlich geworden, was es srtiher nie war. Jene
fluchwürdigen Spirituosen, die zur Schande unserer Regierung so leicht zu
haben sind und in so großer Menge getrunken werden, haben die ganze Natur
der Nation umgewandelt, und sie werden, wenn man so weiter trinkt, die Race
selbst zerstören." 1751 wurden unter dem Ministerium Pelham einige neue
und durchgreifende Maßregeln beschlossen und mit beträchtlichem Erfolge aus¬
geführt. Aber immerhin brachten dieselben nur eine Milderung, keine Heilung
zu Wege, und seit dem dritten Dezennium des vorigen Jahrhunderts hat die
Trunksucht nicht aufgehört, den moralischen und physischen Wohlthaten ent¬
gegenzuwirken, welche man von dem erhöhten kommerziellen Gedeihen Englands
erwarten durfte.

Höchst traurig war es, vorzüglich in London, um die öffentliche Ordnung
bestellt. Kaum kann man sich eine Vorstellung von der Ungestrastheit der
Gewaltthätigkeiten macheu, die damals in der schlecht beleuchteten und nicht
besser bewachten Stadt nächtlicher Weile verübt wurden. 1712 machten die
„Mohocks", eine Gesellschaft junger Leute aus deu höheren Ständen, sich nachts
das Vergnügen, auf den Straßen die Vorübergehenden zu überfallen und aufs
schändlichste zu mißhandeln. Sie „tippten den Löwen", d. h. sie drückten dem
Betreffenden die Nase platt ins Gesicht und bohrten ihm mit dem Daumen
die Augen aus. Sie verfuhren als „Schweißtreiber", d. h. sie umstellten ihr
Opfer und prickelten es so lange mit ihren Degen, bis es erschöpft und in
Schweiß gebadet zu Boden sank, als „Tanzmeister", indem sie es mit ihren
Klingen in die Beine stießen und es so zum Hüpfen zwangen, als „Umstülper",
indem sie Frauen packten und auf den Kopf stellten. Dienstmädchen schnitt
man, nachdem man sie herausgepocht, ins Gesicht, Matronen steckte man in
Fässer und rollte sie darin den steilen Abhang von Snowhill hinunter. Die
Nachtwächter waren gegen solchen Unfug, der auch später (noch 1742), wenn
auch-in weniger argem Grade, vorkam, meist nutzlos. Sie waren gewöhnlich
alte Leute, nur mit einer Stange bewaffnet, saßen, statt auf der Straße zu-
sein, in der Regel im Bierhause und waren durch Brutalität oft selbst eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/152>, abgerufen am 06.07.2024.