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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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Charakteristisch für die alte Stellung der Deutschen zum Osten Europas
ist es, daß die hauptsächlichen Grundlagen für die Geschichte Michaels, abge¬
sehen von diplomatischen Korrespondenzen und Aktenstücken, zwei Schriften des
17. Jahrhunderts sind, die beide Deutsche zu Verfassern haben. Den ersten
Theil seines Lebens beschrieb ein schlesischer Arzt Balthasar Walther, der auf
der Rückreise aus dem Orient Michael in seiner Residenz Tergovischt persönlich
kennen gelernt hatte, den zweiten der Jesuit Johann Bissel. Wenn der Ver¬
fasser Gelegenheit gehabt hätte, sich in deutschen Bibliotheken genauer umzu¬
sehen, würde er aber auch außerdem noch auf diese und jene gleichzeitige
"Relation" gestoßen sein, die das damalige deutsche Publikum über die Dinge
an der türkischen Grenze auf dem Laufenden erhielt.

Durch einen Massenmord der in der Wallachei sich aufhaltenden Türken
-- es sollen ihrer 2000 getödtet worden sein -- eröffnet Michael seine histo¬
rische Laufbahn, und dieser Anfang charakterisirt sozusagen die Stimmung, die
in dem Gemälde vorherrscht, welches sich vor dem Leser aufrollt. Der Held
ist ein Mann von rücksichtsloser, doppelzüngiger aber überlegter Gewaltthätig¬
keit, an Thatkraft allen Nachbarn weit überlegen und dadurch Jahre lang
über alle siegreich. Ein merkwürdiges Zusammentreffen ist es, daß die Er¬
mordung der Türken 1594 in derselben Se. Bricciusnacht stattfand, in der einst
die von der normannischen Invasion geplagten Angelsachsen im Jahre 1002
das sogenannte Dänenblntbad verübten. Die Rache der Türken blieb nicht
aus, aber in dem schon vorher geschlossenen Bunde mit dem siebenbürgischen
Großfürsten Sigmund B-Uhory weiß sich Michael ihrer mit wilder Tapferkeit
zu erwehren, schlägt sie mit schweren Verlusten über die Donau zurück und
wird so mit einem Schlage eine Persönlichkeit, mit deren Macht die große
Politik fortan rechnen muß. Zunächst freilich muß er die türkische Vasallen¬
schaft, die beiläufig seit 1460 auf der Wallachei lastete, mit der siebenbürgi¬
schen vertauschen, aber Sigmund BÄhory war ein schwacher und schwankender
Fürst, eine Puppe in der Hand der Jesuiten, die auch hier wie so vielfach
mit ungenügenden Mitteln und Jntriguenspiel im Kreise kleinlicher Menschen
weltumspannende Pläne verfolgten. Freiheitsstolz und ausgeprägter National¬
sinn waren Michaels Leidenschaften nicht; vor der überlegenen Gewalt war er
ebenso geschmeidig wie sonst kühn im Draufgehen. Dem Begriff der Ehre
gegenüber war und blieb er zeitlebens ein Barbar, der Sohn eines kulturlose"
Stammes und einer gewaltsamen Zeit. Die orientalische Unsicherheit des
Lebensschicksals, der stete Wechsel von Macht und Elend, den auch seine Jugend
reichlich gekostet hatte -- hatte er doch als junger Mann schon auf dem Schaffst
gekniet, in Erwartung des tödtlichen Streiches, der dann wie durch ein Wunder
ausblieb --, bestimmten die Voraussetzungslosigkeit seines Charakters. So


Charakteristisch für die alte Stellung der Deutschen zum Osten Europas
ist es, daß die hauptsächlichen Grundlagen für die Geschichte Michaels, abge¬
sehen von diplomatischen Korrespondenzen und Aktenstücken, zwei Schriften des
17. Jahrhunderts sind, die beide Deutsche zu Verfassern haben. Den ersten
Theil seines Lebens beschrieb ein schlesischer Arzt Balthasar Walther, der auf
der Rückreise aus dem Orient Michael in seiner Residenz Tergovischt persönlich
kennen gelernt hatte, den zweiten der Jesuit Johann Bissel. Wenn der Ver¬
fasser Gelegenheit gehabt hätte, sich in deutschen Bibliotheken genauer umzu¬
sehen, würde er aber auch außerdem noch auf diese und jene gleichzeitige
„Relation" gestoßen sein, die das damalige deutsche Publikum über die Dinge
an der türkischen Grenze auf dem Laufenden erhielt.

Durch einen Massenmord der in der Wallachei sich aufhaltenden Türken
— es sollen ihrer 2000 getödtet worden sein — eröffnet Michael seine histo¬
rische Laufbahn, und dieser Anfang charakterisirt sozusagen die Stimmung, die
in dem Gemälde vorherrscht, welches sich vor dem Leser aufrollt. Der Held
ist ein Mann von rücksichtsloser, doppelzüngiger aber überlegter Gewaltthätig¬
keit, an Thatkraft allen Nachbarn weit überlegen und dadurch Jahre lang
über alle siegreich. Ein merkwürdiges Zusammentreffen ist es, daß die Er¬
mordung der Türken 1594 in derselben Se. Bricciusnacht stattfand, in der einst
die von der normannischen Invasion geplagten Angelsachsen im Jahre 1002
das sogenannte Dänenblntbad verübten. Die Rache der Türken blieb nicht
aus, aber in dem schon vorher geschlossenen Bunde mit dem siebenbürgischen
Großfürsten Sigmund B-Uhory weiß sich Michael ihrer mit wilder Tapferkeit
zu erwehren, schlägt sie mit schweren Verlusten über die Donau zurück und
wird so mit einem Schlage eine Persönlichkeit, mit deren Macht die große
Politik fortan rechnen muß. Zunächst freilich muß er die türkische Vasallen¬
schaft, die beiläufig seit 1460 auf der Wallachei lastete, mit der siebenbürgi¬
schen vertauschen, aber Sigmund BÄhory war ein schwacher und schwankender
Fürst, eine Puppe in der Hand der Jesuiten, die auch hier wie so vielfach
mit ungenügenden Mitteln und Jntriguenspiel im Kreise kleinlicher Menschen
weltumspannende Pläne verfolgten. Freiheitsstolz und ausgeprägter National¬
sinn waren Michaels Leidenschaften nicht; vor der überlegenen Gewalt war er
ebenso geschmeidig wie sonst kühn im Draufgehen. Dem Begriff der Ehre
gegenüber war und blieb er zeitlebens ein Barbar, der Sohn eines kulturlose»
Stammes und einer gewaltsamen Zeit. Die orientalische Unsicherheit des
Lebensschicksals, der stete Wechsel von Macht und Elend, den auch seine Jugend
reichlich gekostet hatte — hatte er doch als junger Mann schon auf dem Schaffst
gekniet, in Erwartung des tödtlichen Streiches, der dann wie durch ein Wunder
ausblieb —, bestimmten die Voraussetzungslosigkeit seines Charakters. So


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[0138] Charakteristisch für die alte Stellung der Deutschen zum Osten Europas ist es, daß die hauptsächlichen Grundlagen für die Geschichte Michaels, abge¬ sehen von diplomatischen Korrespondenzen und Aktenstücken, zwei Schriften des 17. Jahrhunderts sind, die beide Deutsche zu Verfassern haben. Den ersten Theil seines Lebens beschrieb ein schlesischer Arzt Balthasar Walther, der auf der Rückreise aus dem Orient Michael in seiner Residenz Tergovischt persönlich kennen gelernt hatte, den zweiten der Jesuit Johann Bissel. Wenn der Ver¬ fasser Gelegenheit gehabt hätte, sich in deutschen Bibliotheken genauer umzu¬ sehen, würde er aber auch außerdem noch auf diese und jene gleichzeitige „Relation" gestoßen sein, die das damalige deutsche Publikum über die Dinge an der türkischen Grenze auf dem Laufenden erhielt. Durch einen Massenmord der in der Wallachei sich aufhaltenden Türken — es sollen ihrer 2000 getödtet worden sein — eröffnet Michael seine histo¬ rische Laufbahn, und dieser Anfang charakterisirt sozusagen die Stimmung, die in dem Gemälde vorherrscht, welches sich vor dem Leser aufrollt. Der Held ist ein Mann von rücksichtsloser, doppelzüngiger aber überlegter Gewaltthätig¬ keit, an Thatkraft allen Nachbarn weit überlegen und dadurch Jahre lang über alle siegreich. Ein merkwürdiges Zusammentreffen ist es, daß die Er¬ mordung der Türken 1594 in derselben Se. Bricciusnacht stattfand, in der einst die von der normannischen Invasion geplagten Angelsachsen im Jahre 1002 das sogenannte Dänenblntbad verübten. Die Rache der Türken blieb nicht aus, aber in dem schon vorher geschlossenen Bunde mit dem siebenbürgischen Großfürsten Sigmund B-Uhory weiß sich Michael ihrer mit wilder Tapferkeit zu erwehren, schlägt sie mit schweren Verlusten über die Donau zurück und wird so mit einem Schlage eine Persönlichkeit, mit deren Macht die große Politik fortan rechnen muß. Zunächst freilich muß er die türkische Vasallen¬ schaft, die beiläufig seit 1460 auf der Wallachei lastete, mit der siebenbürgi¬ schen vertauschen, aber Sigmund BÄhory war ein schwacher und schwankender Fürst, eine Puppe in der Hand der Jesuiten, die auch hier wie so vielfach mit ungenügenden Mitteln und Jntriguenspiel im Kreise kleinlicher Menschen weltumspannende Pläne verfolgten. Freiheitsstolz und ausgeprägter National¬ sinn waren Michaels Leidenschaften nicht; vor der überlegenen Gewalt war er ebenso geschmeidig wie sonst kühn im Draufgehen. Dem Begriff der Ehre gegenüber war und blieb er zeitlebens ein Barbar, der Sohn eines kulturlose» Stammes und einer gewaltsamen Zeit. Die orientalische Unsicherheit des Lebensschicksals, der stete Wechsel von Macht und Elend, den auch seine Jugend reichlich gekostet hatte — hatte er doch als junger Mann schon auf dem Schaffst gekniet, in Erwartung des tödtlichen Streiches, der dann wie durch ein Wunder ausblieb —, bestimmten die Voraussetzungslosigkeit seines Charakters. So

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/138>, abgerufen am 23.07.2024.