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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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die Nativualliberaleu kann, wie wir meinen, wenn er auch nicht zurückzuweisen
ist, der Regierung nicht erwünscht sein. Anders, wenn das Zentrum mit deu
Nationalliberalen für die Regierung stimmte. Eine Opposition der National¬
liberalen, welche der Regierung den Beistand, selbst den bedingungslosen Beistand
des Zentrums unentbehrlich machte, würde der Regierung unbequem sein, für
die Nativnalliberalen wäre eine solche Handlungsweise selbstmörderisch. Ehe
der Kanzler aber vom Zentrum sich Bedingungen abtrotzen läßt, wird er, so
meinen wir, es auf einen neuen Wahlkamps ankommen lassen. Das Zentrum
hat jetzt einige Sitze gewonnen, weil es von der Regierung weder direkt noch
indirekt bekämpft wurde, und weil die Priester seiner Kirche, wie immer, für
dasselbe arbeiteten. Wir sind aber der Ueberzeugung, daß Fürst Bismarck dem
Papste manches gewähren kann, um zum Frieden mit dem katholischen Volke
zu gelangen, aber nichts dem Zentrum, einer Partei, welche die Religion für
die Politik und die Politik für die Religion verwerthet. Wenn der Friede mit
Rom hergestellt werden sollte, wird das Zentrum eine rein politische Partei
werden müssen, welche als solche nicht mehr auf die Autorität einer Kirche ge¬
stützt werden kaun, oder das Zentrum muß sich auflösen, um uur auf dem
Schauplatze zu erscheine", wenn die Vertheidigung seiner Kirche es nöthig macht,
d. h. wenn der Kriegszustand mit Rom wieder eintreten sollte. Was wir sagen
wollen, ist also: Das Zentrum, wie es jetzt beschaffen ist, hat den Kriegszustand
mit Rom zur Voraussetzung. Nach hergestellten Frieden muß es verschwinden
oder als rein politische Partei sich deu Bedingungen des politischen Partei¬
kampfes unterwerfen, nicht aber nach der etwaigen Niederlage sich als verfolgte
Kirche geberden. Als das Zentrum in diesem Sommer die Zollpolitik der Re¬
gierung zum Siege bringen half, zeigte es, daß es das Wohl des Reiches zu
fördern unter Umständen über sich gewinnen kann. Wenn das Zentrum aber
politische Opposition aus liberalen, demokratischen oder partikularistischen Ge¬
sichtspunkten treiben und diese Opposition zugleich als Pressiousmittel im Dienste
seiner Kirche verwenden will, so wird es den Kanzler gerüstet finden. Wir
glauben, er wird die Zahl seiner Anhänger auf Kosten beider feindlichen Lager
noch stark vermehren können, des nationalliberalen, wenn dieses feindlich werden
sollte, und des Zentrums -- auf Kosten des letzteren um so erfolgreicher, wenn
der Friede mit Rom gewonnen sein sollte, aber auch im andern Falle, wenn
die Friedensbemühungen an unerfüllbaren Ansprüchen Roms gescheitert wären.
Wir glauben übrigens an den letzteren Ausgang nicht. Die weltgeschichtliche
Situation scheint uns auf den Frieden zwischen Rom und dem deutschen Reiche
hinzudrängen. Die Wege zum Frieden pflegen gefunden zu werden, wenn den
streitenden Parteien neue Gegner erstehen. Die klugen Lenker in Rom werden
merken, daß Rom der unendlich mehr gefährdete Theil ist. Der deutsche Kanzler


Grenzboten IV. 1879. 17

die Nativualliberaleu kann, wie wir meinen, wenn er auch nicht zurückzuweisen
ist, der Regierung nicht erwünscht sein. Anders, wenn das Zentrum mit deu
Nationalliberalen für die Regierung stimmte. Eine Opposition der National¬
liberalen, welche der Regierung den Beistand, selbst den bedingungslosen Beistand
des Zentrums unentbehrlich machte, würde der Regierung unbequem sein, für
die Nativnalliberalen wäre eine solche Handlungsweise selbstmörderisch. Ehe
der Kanzler aber vom Zentrum sich Bedingungen abtrotzen läßt, wird er, so
meinen wir, es auf einen neuen Wahlkamps ankommen lassen. Das Zentrum
hat jetzt einige Sitze gewonnen, weil es von der Regierung weder direkt noch
indirekt bekämpft wurde, und weil die Priester seiner Kirche, wie immer, für
dasselbe arbeiteten. Wir sind aber der Ueberzeugung, daß Fürst Bismarck dem
Papste manches gewähren kann, um zum Frieden mit dem katholischen Volke
zu gelangen, aber nichts dem Zentrum, einer Partei, welche die Religion für
die Politik und die Politik für die Religion verwerthet. Wenn der Friede mit
Rom hergestellt werden sollte, wird das Zentrum eine rein politische Partei
werden müssen, welche als solche nicht mehr auf die Autorität einer Kirche ge¬
stützt werden kaun, oder das Zentrum muß sich auflösen, um uur auf dem
Schauplatze zu erscheine», wenn die Vertheidigung seiner Kirche es nöthig macht,
d. h. wenn der Kriegszustand mit Rom wieder eintreten sollte. Was wir sagen
wollen, ist also: Das Zentrum, wie es jetzt beschaffen ist, hat den Kriegszustand
mit Rom zur Voraussetzung. Nach hergestellten Frieden muß es verschwinden
oder als rein politische Partei sich deu Bedingungen des politischen Partei¬
kampfes unterwerfen, nicht aber nach der etwaigen Niederlage sich als verfolgte
Kirche geberden. Als das Zentrum in diesem Sommer die Zollpolitik der Re¬
gierung zum Siege bringen half, zeigte es, daß es das Wohl des Reiches zu
fördern unter Umständen über sich gewinnen kann. Wenn das Zentrum aber
politische Opposition aus liberalen, demokratischen oder partikularistischen Ge¬
sichtspunkten treiben und diese Opposition zugleich als Pressiousmittel im Dienste
seiner Kirche verwenden will, so wird es den Kanzler gerüstet finden. Wir
glauben, er wird die Zahl seiner Anhänger auf Kosten beider feindlichen Lager
noch stark vermehren können, des nationalliberalen, wenn dieses feindlich werden
sollte, und des Zentrums — auf Kosten des letzteren um so erfolgreicher, wenn
der Friede mit Rom gewonnen sein sollte, aber auch im andern Falle, wenn
die Friedensbemühungen an unerfüllbaren Ansprüchen Roms gescheitert wären.
Wir glauben übrigens an den letzteren Ausgang nicht. Die weltgeschichtliche
Situation scheint uns auf den Frieden zwischen Rom und dem deutschen Reiche
hinzudrängen. Die Wege zum Frieden pflegen gefunden zu werden, wenn den
streitenden Parteien neue Gegner erstehen. Die klugen Lenker in Rom werden
merken, daß Rom der unendlich mehr gefährdete Theil ist. Der deutsche Kanzler


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[0133] die Nativualliberaleu kann, wie wir meinen, wenn er auch nicht zurückzuweisen ist, der Regierung nicht erwünscht sein. Anders, wenn das Zentrum mit deu Nationalliberalen für die Regierung stimmte. Eine Opposition der National¬ liberalen, welche der Regierung den Beistand, selbst den bedingungslosen Beistand des Zentrums unentbehrlich machte, würde der Regierung unbequem sein, für die Nativnalliberalen wäre eine solche Handlungsweise selbstmörderisch. Ehe der Kanzler aber vom Zentrum sich Bedingungen abtrotzen läßt, wird er, so meinen wir, es auf einen neuen Wahlkamps ankommen lassen. Das Zentrum hat jetzt einige Sitze gewonnen, weil es von der Regierung weder direkt noch indirekt bekämpft wurde, und weil die Priester seiner Kirche, wie immer, für dasselbe arbeiteten. Wir sind aber der Ueberzeugung, daß Fürst Bismarck dem Papste manches gewähren kann, um zum Frieden mit dem katholischen Volke zu gelangen, aber nichts dem Zentrum, einer Partei, welche die Religion für die Politik und die Politik für die Religion verwerthet. Wenn der Friede mit Rom hergestellt werden sollte, wird das Zentrum eine rein politische Partei werden müssen, welche als solche nicht mehr auf die Autorität einer Kirche ge¬ stützt werden kaun, oder das Zentrum muß sich auflösen, um uur auf dem Schauplatze zu erscheine», wenn die Vertheidigung seiner Kirche es nöthig macht, d. h. wenn der Kriegszustand mit Rom wieder eintreten sollte. Was wir sagen wollen, ist also: Das Zentrum, wie es jetzt beschaffen ist, hat den Kriegszustand mit Rom zur Voraussetzung. Nach hergestellten Frieden muß es verschwinden oder als rein politische Partei sich deu Bedingungen des politischen Partei¬ kampfes unterwerfen, nicht aber nach der etwaigen Niederlage sich als verfolgte Kirche geberden. Als das Zentrum in diesem Sommer die Zollpolitik der Re¬ gierung zum Siege bringen half, zeigte es, daß es das Wohl des Reiches zu fördern unter Umständen über sich gewinnen kann. Wenn das Zentrum aber politische Opposition aus liberalen, demokratischen oder partikularistischen Ge¬ sichtspunkten treiben und diese Opposition zugleich als Pressiousmittel im Dienste seiner Kirche verwenden will, so wird es den Kanzler gerüstet finden. Wir glauben, er wird die Zahl seiner Anhänger auf Kosten beider feindlichen Lager noch stark vermehren können, des nationalliberalen, wenn dieses feindlich werden sollte, und des Zentrums — auf Kosten des letzteren um so erfolgreicher, wenn der Friede mit Rom gewonnen sein sollte, aber auch im andern Falle, wenn die Friedensbemühungen an unerfüllbaren Ansprüchen Roms gescheitert wären. Wir glauben übrigens an den letzteren Ausgang nicht. Die weltgeschichtliche Situation scheint uns auf den Frieden zwischen Rom und dem deutschen Reiche hinzudrängen. Die Wege zum Frieden pflegen gefunden zu werden, wenn den streitenden Parteien neue Gegner erstehen. Die klugen Lenker in Rom werden merken, daß Rom der unendlich mehr gefährdete Theil ist. Der deutsche Kanzler Grenzboten IV. 1879. 17

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/133>, abgerufen am 23.07.2024.