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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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gesetzt, daß die Versuchstage sich völlig wie Akte in dramatischer Anordnung
und Steigerung gestalteten und das Interesse in hohem Maße anregten. Die
nachfolgende Darstellung hat zur Vereinfachung eine andere Gruppirung wählen
müssen; vielleicht gelingt es ihr indeß auch so, in weiteren Kreisen Beachtung
auf diese so bedeutsamen Versuche zu lenken.

Noch vor wenigen Jahrzehnten glich die Frage der Riesengeschütze,
der Mo nstre-Kanonen, einer verklungenen Sage aus grauer Vorzeit. Es
erschienen die alten "faulen Greten", die gewaltigen "Bombarden" vor unseren
Augen, auch die Mahomets-Kanone vor Konstantinopel, und man muß in der
That staunen über diese ersten Schöpfungen der artilleristischen Kunst, die in
ihrer großen Massenhaftigkeit sich offenbar noch an das Kriegsmaschinenwesen
vor der Zeit der Erfindung des Pulvers anlehnten, und zwar durchaus nicht
ohne Erfolg. Das Geschoß war allerdings noch die Steinkugel, und für die
Kraft des Pulvers hatte man die Erklärung, daß sie durch die Hitze des
Schwefels und die Kälte des Salpeters bewirkt werde, die sich einander nicht
leiden mögen. Dafür aber war das Kaliber sehr groß; noch die Nachkommen
jener Mahomets-Kanone, die bronzenen Kemerliks der Dardanellen-Schlösser,
wie wir sie in dem spannenden Werke des damaligen Majors Freiherrn
v. Moltke: "Der russisch-türkische Feldzug in der europäischen Türkei 1828
und 1829" (Berlin, 1845) beschrieben finden, haben, bei 25, 28, ja 30 Zoll
Kaliber, Steinkugeln von 600, 1100 und 1500 Pfd. Gewicht. Ein Kriegsfall
im Anfange dieses Jahrhunderts war ganz geeignet, die Aufmerksamkeit auf
diese rohen Erstlinge zurückzulenken: Bei der Forcirung der Dardanellen
durch Admiral Duckfvrth im Jahre 1807 erhielt eins der Linienschiffe ein
Loch von 6 Fuß 8 Zoll Umfang, und durch dieselbe Steinkugel wurden noch
55 Mann der Schiffsbesatzung getödtet und verwundet.

Nachdem die Artillerie die folgenden Jahrhunderte hindurch nach kunstge¬
mäßeren Bildungen gestrebt hatte und in der Massenhaftigkeit wesentlich herab¬
gestiegen war, sehen wir nun jetzt durch die Macht der Bedingungen von neuem
Riesengeschütze entstehen, die allerdings alles Alte weit hinter sich lassen und
auch in der Massenbildung überraschende Leistung verfeinerter Kunstfertigkeit
zeigen. Diese heutigen Kruppschen Riesenges chütze sind gezogene Hinter-
ladungs-Kanonen nach preußischem System. Das Material für die Geschütz¬
rohre ist der Gußstahl, wie er in durchaus unübertroffener Qualität von der
Kruppschen Fabrik hergestellt wird. Es ist demselben kein englisches oder
französisches Fabrikat gleichzustellen. Die Kruppschen Geschützrohre haben die
Bezeichnung Ring-, auch Mautelröhre, da der Kern derselben durch mächtige
Ringlagen diejenige Verstärkung erhält, welche für die Gesammte-Widerstandsfühig-


gesetzt, daß die Versuchstage sich völlig wie Akte in dramatischer Anordnung
und Steigerung gestalteten und das Interesse in hohem Maße anregten. Die
nachfolgende Darstellung hat zur Vereinfachung eine andere Gruppirung wählen
müssen; vielleicht gelingt es ihr indeß auch so, in weiteren Kreisen Beachtung
auf diese so bedeutsamen Versuche zu lenken.

Noch vor wenigen Jahrzehnten glich die Frage der Riesengeschütze,
der Mo nstre-Kanonen, einer verklungenen Sage aus grauer Vorzeit. Es
erschienen die alten „faulen Greten", die gewaltigen „Bombarden" vor unseren
Augen, auch die Mahomets-Kanone vor Konstantinopel, und man muß in der
That staunen über diese ersten Schöpfungen der artilleristischen Kunst, die in
ihrer großen Massenhaftigkeit sich offenbar noch an das Kriegsmaschinenwesen
vor der Zeit der Erfindung des Pulvers anlehnten, und zwar durchaus nicht
ohne Erfolg. Das Geschoß war allerdings noch die Steinkugel, und für die
Kraft des Pulvers hatte man die Erklärung, daß sie durch die Hitze des
Schwefels und die Kälte des Salpeters bewirkt werde, die sich einander nicht
leiden mögen. Dafür aber war das Kaliber sehr groß; noch die Nachkommen
jener Mahomets-Kanone, die bronzenen Kemerliks der Dardanellen-Schlösser,
wie wir sie in dem spannenden Werke des damaligen Majors Freiherrn
v. Moltke: „Der russisch-türkische Feldzug in der europäischen Türkei 1828
und 1829" (Berlin, 1845) beschrieben finden, haben, bei 25, 28, ja 30 Zoll
Kaliber, Steinkugeln von 600, 1100 und 1500 Pfd. Gewicht. Ein Kriegsfall
im Anfange dieses Jahrhunderts war ganz geeignet, die Aufmerksamkeit auf
diese rohen Erstlinge zurückzulenken: Bei der Forcirung der Dardanellen
durch Admiral Duckfvrth im Jahre 1807 erhielt eins der Linienschiffe ein
Loch von 6 Fuß 8 Zoll Umfang, und durch dieselbe Steinkugel wurden noch
55 Mann der Schiffsbesatzung getödtet und verwundet.

Nachdem die Artillerie die folgenden Jahrhunderte hindurch nach kunstge¬
mäßeren Bildungen gestrebt hatte und in der Massenhaftigkeit wesentlich herab¬
gestiegen war, sehen wir nun jetzt durch die Macht der Bedingungen von neuem
Riesengeschütze entstehen, die allerdings alles Alte weit hinter sich lassen und
auch in der Massenbildung überraschende Leistung verfeinerter Kunstfertigkeit
zeigen. Diese heutigen Kruppschen Riesenges chütze sind gezogene Hinter-
ladungs-Kanonen nach preußischem System. Das Material für die Geschütz¬
rohre ist der Gußstahl, wie er in durchaus unübertroffener Qualität von der
Kruppschen Fabrik hergestellt wird. Es ist demselben kein englisches oder
französisches Fabrikat gleichzustellen. Die Kruppschen Geschützrohre haben die
Bezeichnung Ring-, auch Mautelröhre, da der Kern derselben durch mächtige
Ringlagen diejenige Verstärkung erhält, welche für die Gesammte-Widerstandsfühig-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/116>, abgerufen am 23.07.2024.