Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

die päpstliche Entscheidung bezüglich der Machtstellung der Kurie haben mußte.
Der Orden des heiligen Franziscus hatte sich bisher ein unermeßliches Ver¬
mögen gesammelt; um ihm das Vorrecht der Armuth zu bewahren, hatte Papst
Nikolaus III, verordnet, daß der Papst Eigenthümer dieses Vermögens sein,
die Ordensrnitglieder dagegen den Nießbrauch haben sollten. Durch die Kon¬
stitution vom 8. Dezember 1322 war dieses Vorrecht zurückgezogen worden,
und damit war dem Orden der Weg verschlossen, sich unter dem glänzenden
Tugendschein der vollkommenen Armuth Reichthümer auf Reichthümer zu ver¬
schaffen. Dies konnte es aber nicht sein, was Marsiglio dazu bewog, gegen
die Kirche in die Schranken zu treten; nicht die Sympathie für den verwelt¬
lichten Orden war es, die ihn dazu bestimmte, sondern die Erkenntniß, daß es
dem Papste darauf ankomme, jeden Widerspruch gegen die päpstliche Macht¬
stellung zu vernichten. Ein Widerspruch aber gegen die Verweltlichung der
Kirche war das Dogma des Minontenordens von der Armuth Christi immer
gewesen.

Da kam die unglückliche Doppelwahl in Deutschland, sie gab Johann
Gelegenheit, alle die Ansprüche, welche seine Anhänger theoretisch verfochten,
praktisch zu machen. So lange Ludwig der Baier und Friedrich von Oester¬
reich um die Krone kämpften, nahm er eine Vakanz des deutschen Kaiserthums
an, während welcher ihm das Regiment zustehe. Als endlich Ludwig den
entscheidenden Sieg bei Mühldorf errang, griff ihn Johann XXII. auf das
heftigste an, warf ihm vor, daß er vor der päpstlichen Bestätigung als römi¬
scher König auftrete, und als die Gegner des Papstes in Italien bei dem
Wittelsbacher Unterstützung fanden, wurde am 23. März 1324 an die Thüre
der Kathedrale zu Avignon ein päpstlicher Erlaß angeschlagen, der die Exkom¬
munikation Ludwigs verkündete.

So war König Ludwig Leidensgenosse der Minoriten geworden, die jetzt
bei ihm Unterstützung fanden. Durch sie wurden für die nächste Zeit seine
politischen Maßnahmen bestimmt.

Der Gedanke konnte nicht fern liegen, die kirchliche mit der staatlichen
Opposition zu vereinigen, um den gemeinsamen Widersacher zu stürzen. In
Marsiglio reiste dieser Entschluß zur That, und während Ludwig Johann des
apostolischen Stuhles für verlustig erklärte und von dem falschen Papst an ein
allgemeines Concil und einen zukünftigen, rechtmäßigen Papst cippellirte, ver¬
faßte Marsiglio insgeheim ein umfangreiches Werk, welches dazu bestimmt war,
die politische Macht der Päpste zu untergraben: den vstsrlLvr xaois (Ver¬
theidiger des Friedens). Es ist allerdings bewiesen, daß außer Marsiglio auch
Johann von Jandun an dem Werke Theil hatte. Aber das sssv, mit dem der
Verfasser stets auftritt, und das er einmal als 650 ^nisnoriäW ( ^ivlnuz,


die päpstliche Entscheidung bezüglich der Machtstellung der Kurie haben mußte.
Der Orden des heiligen Franziscus hatte sich bisher ein unermeßliches Ver¬
mögen gesammelt; um ihm das Vorrecht der Armuth zu bewahren, hatte Papst
Nikolaus III, verordnet, daß der Papst Eigenthümer dieses Vermögens sein,
die Ordensrnitglieder dagegen den Nießbrauch haben sollten. Durch die Kon¬
stitution vom 8. Dezember 1322 war dieses Vorrecht zurückgezogen worden,
und damit war dem Orden der Weg verschlossen, sich unter dem glänzenden
Tugendschein der vollkommenen Armuth Reichthümer auf Reichthümer zu ver¬
schaffen. Dies konnte es aber nicht sein, was Marsiglio dazu bewog, gegen
die Kirche in die Schranken zu treten; nicht die Sympathie für den verwelt¬
lichten Orden war es, die ihn dazu bestimmte, sondern die Erkenntniß, daß es
dem Papste darauf ankomme, jeden Widerspruch gegen die päpstliche Macht¬
stellung zu vernichten. Ein Widerspruch aber gegen die Verweltlichung der
Kirche war das Dogma des Minontenordens von der Armuth Christi immer
gewesen.

Da kam die unglückliche Doppelwahl in Deutschland, sie gab Johann
Gelegenheit, alle die Ansprüche, welche seine Anhänger theoretisch verfochten,
praktisch zu machen. So lange Ludwig der Baier und Friedrich von Oester¬
reich um die Krone kämpften, nahm er eine Vakanz des deutschen Kaiserthums
an, während welcher ihm das Regiment zustehe. Als endlich Ludwig den
entscheidenden Sieg bei Mühldorf errang, griff ihn Johann XXII. auf das
heftigste an, warf ihm vor, daß er vor der päpstlichen Bestätigung als römi¬
scher König auftrete, und als die Gegner des Papstes in Italien bei dem
Wittelsbacher Unterstützung fanden, wurde am 23. März 1324 an die Thüre
der Kathedrale zu Avignon ein päpstlicher Erlaß angeschlagen, der die Exkom¬
munikation Ludwigs verkündete.

So war König Ludwig Leidensgenosse der Minoriten geworden, die jetzt
bei ihm Unterstützung fanden. Durch sie wurden für die nächste Zeit seine
politischen Maßnahmen bestimmt.

Der Gedanke konnte nicht fern liegen, die kirchliche mit der staatlichen
Opposition zu vereinigen, um den gemeinsamen Widersacher zu stürzen. In
Marsiglio reiste dieser Entschluß zur That, und während Ludwig Johann des
apostolischen Stuhles für verlustig erklärte und von dem falschen Papst an ein
allgemeines Concil und einen zukünftigen, rechtmäßigen Papst cippellirte, ver¬
faßte Marsiglio insgeheim ein umfangreiches Werk, welches dazu bestimmt war,
die politische Macht der Päpste zu untergraben: den vstsrlLvr xaois (Ver¬
theidiger des Friedens). Es ist allerdings bewiesen, daß außer Marsiglio auch
Johann von Jandun an dem Werke Theil hatte. Aber das sssv, mit dem der
Verfasser stets auftritt, und das er einmal als 650 ^nisnoriäW ( ^ivlnuz,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0011" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/143066"/>
          <p xml:id="ID_27" prev="#ID_26"> die päpstliche Entscheidung bezüglich der Machtstellung der Kurie haben mußte.<lb/>
Der Orden des heiligen Franziscus hatte sich bisher ein unermeßliches Ver¬<lb/>
mögen gesammelt; um ihm das Vorrecht der Armuth zu bewahren, hatte Papst<lb/>
Nikolaus III, verordnet, daß der Papst Eigenthümer dieses Vermögens sein,<lb/>
die Ordensrnitglieder dagegen den Nießbrauch haben sollten. Durch die Kon¬<lb/>
stitution vom 8. Dezember 1322 war dieses Vorrecht zurückgezogen worden,<lb/>
und damit war dem Orden der Weg verschlossen, sich unter dem glänzenden<lb/>
Tugendschein der vollkommenen Armuth Reichthümer auf Reichthümer zu ver¬<lb/>
schaffen. Dies konnte es aber nicht sein, was Marsiglio dazu bewog, gegen<lb/>
die Kirche in die Schranken zu treten; nicht die Sympathie für den verwelt¬<lb/>
lichten Orden war es, die ihn dazu bestimmte, sondern die Erkenntniß, daß es<lb/>
dem Papste darauf ankomme, jeden Widerspruch gegen die päpstliche Macht¬<lb/>
stellung zu vernichten. Ein Widerspruch aber gegen die Verweltlichung der<lb/>
Kirche war das Dogma des Minontenordens von der Armuth Christi immer<lb/>
gewesen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_28"> Da kam die unglückliche Doppelwahl in Deutschland, sie gab Johann<lb/>
Gelegenheit, alle die Ansprüche, welche seine Anhänger theoretisch verfochten,<lb/>
praktisch zu machen. So lange Ludwig der Baier und Friedrich von Oester¬<lb/>
reich um die Krone kämpften, nahm er eine Vakanz des deutschen Kaiserthums<lb/>
an, während welcher ihm das Regiment zustehe. Als endlich Ludwig den<lb/>
entscheidenden Sieg bei Mühldorf errang, griff ihn Johann XXII. auf das<lb/>
heftigste an, warf ihm vor, daß er vor der päpstlichen Bestätigung als römi¬<lb/>
scher König auftrete, und als die Gegner des Papstes in Italien bei dem<lb/>
Wittelsbacher Unterstützung fanden, wurde am 23. März 1324 an die Thüre<lb/>
der Kathedrale zu Avignon ein päpstlicher Erlaß angeschlagen, der die Exkom¬<lb/>
munikation Ludwigs verkündete.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_29"> So war König Ludwig Leidensgenosse der Minoriten geworden, die jetzt<lb/>
bei ihm Unterstützung fanden. Durch sie wurden für die nächste Zeit seine<lb/>
politischen Maßnahmen bestimmt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_30" next="#ID_31"> Der Gedanke konnte nicht fern liegen, die kirchliche mit der staatlichen<lb/>
Opposition zu vereinigen, um den gemeinsamen Widersacher zu stürzen. In<lb/>
Marsiglio reiste dieser Entschluß zur That, und während Ludwig Johann des<lb/>
apostolischen Stuhles für verlustig erklärte und von dem falschen Papst an ein<lb/>
allgemeines Concil und einen zukünftigen, rechtmäßigen Papst cippellirte, ver¬<lb/>
faßte Marsiglio insgeheim ein umfangreiches Werk, welches dazu bestimmt war,<lb/>
die politische Macht der Päpste zu untergraben: den vstsrlLvr xaois (Ver¬<lb/>
theidiger des Friedens). Es ist allerdings bewiesen, daß außer Marsiglio auch<lb/>
Johann von Jandun an dem Werke Theil hatte. Aber das sssv, mit dem der<lb/>
Verfasser stets auftritt, und das er einmal als 650 ^nisnoriäW ( ^ivlnuz,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0011] die päpstliche Entscheidung bezüglich der Machtstellung der Kurie haben mußte. Der Orden des heiligen Franziscus hatte sich bisher ein unermeßliches Ver¬ mögen gesammelt; um ihm das Vorrecht der Armuth zu bewahren, hatte Papst Nikolaus III, verordnet, daß der Papst Eigenthümer dieses Vermögens sein, die Ordensrnitglieder dagegen den Nießbrauch haben sollten. Durch die Kon¬ stitution vom 8. Dezember 1322 war dieses Vorrecht zurückgezogen worden, und damit war dem Orden der Weg verschlossen, sich unter dem glänzenden Tugendschein der vollkommenen Armuth Reichthümer auf Reichthümer zu ver¬ schaffen. Dies konnte es aber nicht sein, was Marsiglio dazu bewog, gegen die Kirche in die Schranken zu treten; nicht die Sympathie für den verwelt¬ lichten Orden war es, die ihn dazu bestimmte, sondern die Erkenntniß, daß es dem Papste darauf ankomme, jeden Widerspruch gegen die päpstliche Macht¬ stellung zu vernichten. Ein Widerspruch aber gegen die Verweltlichung der Kirche war das Dogma des Minontenordens von der Armuth Christi immer gewesen. Da kam die unglückliche Doppelwahl in Deutschland, sie gab Johann Gelegenheit, alle die Ansprüche, welche seine Anhänger theoretisch verfochten, praktisch zu machen. So lange Ludwig der Baier und Friedrich von Oester¬ reich um die Krone kämpften, nahm er eine Vakanz des deutschen Kaiserthums an, während welcher ihm das Regiment zustehe. Als endlich Ludwig den entscheidenden Sieg bei Mühldorf errang, griff ihn Johann XXII. auf das heftigste an, warf ihm vor, daß er vor der päpstlichen Bestätigung als römi¬ scher König auftrete, und als die Gegner des Papstes in Italien bei dem Wittelsbacher Unterstützung fanden, wurde am 23. März 1324 an die Thüre der Kathedrale zu Avignon ein päpstlicher Erlaß angeschlagen, der die Exkom¬ munikation Ludwigs verkündete. So war König Ludwig Leidensgenosse der Minoriten geworden, die jetzt bei ihm Unterstützung fanden. Durch sie wurden für die nächste Zeit seine politischen Maßnahmen bestimmt. Der Gedanke konnte nicht fern liegen, die kirchliche mit der staatlichen Opposition zu vereinigen, um den gemeinsamen Widersacher zu stürzen. In Marsiglio reiste dieser Entschluß zur That, und während Ludwig Johann des apostolischen Stuhles für verlustig erklärte und von dem falschen Papst an ein allgemeines Concil und einen zukünftigen, rechtmäßigen Papst cippellirte, ver¬ faßte Marsiglio insgeheim ein umfangreiches Werk, welches dazu bestimmt war, die politische Macht der Päpste zu untergraben: den vstsrlLvr xaois (Ver¬ theidiger des Friedens). Es ist allerdings bewiesen, daß außer Marsiglio auch Johann von Jandun an dem Werke Theil hatte. Aber das sssv, mit dem der Verfasser stets auftritt, und das er einmal als 650 ^nisnoriäW ( ^ivlnuz,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/11
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/11>, abgerufen am 23.07.2024.