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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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etwa das, was sie gepredigt haben, die Reformation gefördert, sondern nnr das,
daß sie durch die Predigt, die sie mehr als andere sich angelegen sein ließen,
das erkenntnißmäßige Interesse für religiöse Fragen aufrecht erhielten. Der
Inhalt ihrer Predigt war keineswegs evangelisch, konnte es nicht sein. Die
herrschenden Bestrebungen des Augustinerordens standen aufs feindlichste
dem Interesse des Protestantismus entgegen. Mit dem Kampfe gegen den
Ablaß begann Luther das reformatorische Werk. Noch 1502 und 1504 wurde
der Erfurter Augustinerkonoent mit reichen Ablaßbriefen beschenkt, derselbe
Konvent, in dem Luther wenige Monate später Ruhe für seine Seele suchen
sollte. Hieran muß man sich erinnern -- so schließt Kolbe den ersten Theil
seines Werks --, um ganz und voll die sittliche Größe von Luthers That zu
begreifen; um zu verstehen, was es sagen wollte, daß es gerade ein Augustiner
war, der gegen den Ablaß auftrat, der den Abfall vom Papstthum auf seiue
Fahne schrieb.

Auch im zweiten Theile der Koldeschen Schrift, welche die Persönlichkeit
und die Theologie Johanns v. Staupitz zu ihrem Gegenstande hat, thun wir
neue Blicke; das Verhältniß des Mannes zu Luther und sein Einfluß erscheint
in einem wesentlich anderen Lichte, als wir sie bisher zu sehen pflegten. Beides
bezeichnet Kolbe mit den Worten: "Nicht ein theologisches System, sondern
einzelne hingeworfene Bemerkungen, wie sie ihm sein einfach praktisch-christlicher
Sinn im Beichtstuhl eingab, waren es, womit er Luther aufrichtete." Nicht
ein theologisches System; als Staupitz Luther kennen lernte, hatte er schwerlich
ein solches, wenigstens wohl kaum das, als dessen Vertreter wir ihn später
kennen lernen. Als ihm einmal Luther im Erfurter Kloster -- es fällt diese
Unterredung also in die Jahre 1505 bis 1508 -- seine Ideen über die Prä¬
destination vortrug, wies ihn Staupitz mit den Worten zurecht: "Warum plagest
du dich also mit diesen Spekulationen und hohen Gedanken? Schau an die
Wunden Christi und sein Blut, das er für dich vergossen hat; daraus wird
die Vorsehung Hervorscheinen. Deshalb soll man den Sohn Gottes hören, der
Mensch worden und darum erschienen ist, daß er die Werke des Teufels zerstöre
und dich der Vorsehung gewiß mache. Und darum saget er auch zu dir: du
bist mein Schäflein, denn du hörest meine Stimme, und niemand wird dich
aus meiner Hand reißen." Und derselbe Staupitz, der damals die Prädestina¬
tionslehre ablehnte, trägt sie 1517 in einer besonderen, diesem Thema gewid¬
meten Schrift stivollus Ah exseutimiö Ästerri^o prasäkstmÄtioiiis) offen vor,
und zwar als Mittelpunkt seiner ganzen theologischen Anschauung. Noch mehr,
er hat diese Theorie nicht blos wissenschaftlich gelehrt, sondern im Advent 1516
mit großem Beifall in Nürnberg gepredigt. Werden wir da nicht der Hypothese
Koldes zustimmen müssen, daß wir diese Wendung in Stnnpitz' Theologie


etwa das, was sie gepredigt haben, die Reformation gefördert, sondern nnr das,
daß sie durch die Predigt, die sie mehr als andere sich angelegen sein ließen,
das erkenntnißmäßige Interesse für religiöse Fragen aufrecht erhielten. Der
Inhalt ihrer Predigt war keineswegs evangelisch, konnte es nicht sein. Die
herrschenden Bestrebungen des Augustinerordens standen aufs feindlichste
dem Interesse des Protestantismus entgegen. Mit dem Kampfe gegen den
Ablaß begann Luther das reformatorische Werk. Noch 1502 und 1504 wurde
der Erfurter Augustinerkonoent mit reichen Ablaßbriefen beschenkt, derselbe
Konvent, in dem Luther wenige Monate später Ruhe für seine Seele suchen
sollte. Hieran muß man sich erinnern — so schließt Kolbe den ersten Theil
seines Werks —, um ganz und voll die sittliche Größe von Luthers That zu
begreifen; um zu verstehen, was es sagen wollte, daß es gerade ein Augustiner
war, der gegen den Ablaß auftrat, der den Abfall vom Papstthum auf seiue
Fahne schrieb.

Auch im zweiten Theile der Koldeschen Schrift, welche die Persönlichkeit
und die Theologie Johanns v. Staupitz zu ihrem Gegenstande hat, thun wir
neue Blicke; das Verhältniß des Mannes zu Luther und sein Einfluß erscheint
in einem wesentlich anderen Lichte, als wir sie bisher zu sehen pflegten. Beides
bezeichnet Kolbe mit den Worten: „Nicht ein theologisches System, sondern
einzelne hingeworfene Bemerkungen, wie sie ihm sein einfach praktisch-christlicher
Sinn im Beichtstuhl eingab, waren es, womit er Luther aufrichtete." Nicht
ein theologisches System; als Staupitz Luther kennen lernte, hatte er schwerlich
ein solches, wenigstens wohl kaum das, als dessen Vertreter wir ihn später
kennen lernen. Als ihm einmal Luther im Erfurter Kloster — es fällt diese
Unterredung also in die Jahre 1505 bis 1508 — seine Ideen über die Prä¬
destination vortrug, wies ihn Staupitz mit den Worten zurecht: „Warum plagest
du dich also mit diesen Spekulationen und hohen Gedanken? Schau an die
Wunden Christi und sein Blut, das er für dich vergossen hat; daraus wird
die Vorsehung Hervorscheinen. Deshalb soll man den Sohn Gottes hören, der
Mensch worden und darum erschienen ist, daß er die Werke des Teufels zerstöre
und dich der Vorsehung gewiß mache. Und darum saget er auch zu dir: du
bist mein Schäflein, denn du hörest meine Stimme, und niemand wird dich
aus meiner Hand reißen." Und derselbe Staupitz, der damals die Prädestina¬
tionslehre ablehnte, trägt sie 1517 in einer besonderen, diesem Thema gewid¬
meten Schrift stivollus Ah exseutimiö Ästerri^o prasäkstmÄtioiiis) offen vor,
und zwar als Mittelpunkt seiner ganzen theologischen Anschauung. Noch mehr,
er hat diese Theorie nicht blos wissenschaftlich gelehrt, sondern im Advent 1516
mit großem Beifall in Nürnberg gepredigt. Werden wir da nicht der Hypothese
Koldes zustimmen müssen, daß wir diese Wendung in Stnnpitz' Theologie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/106>, abgerufen am 23.07.2024.