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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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man annehmen, daß er, obgleich die seinen Plänen entgegen stehenden Wider¬
stände sich damals im Wesentlichen noch wenig abgeschwächt hatten, dennoch durch
die Schwenkung der britischen Politik dazu ermuthigt wurde, mit den auf die
Absetzung des Khedive Bezug nehmenden eigenen Ideen offener und rücksichts¬
loser hervorzutreten. Diese seine Initiative überstürzte sich aber keineswegs.
Die Dinge, um die es sich handelte, hatten durch das außer aller Vorausberechnung
liegende Auftreten Deutschland's so zu sagen eine räumliche Verschiebung und
Erweiterung erfahren. Ihr Schwerpunkt war nicht unerheblich verrückt worden.
Aus dem vergleichsweise engen, nur durch drei Mächte, die Psorte, England
und Frankreich, formirter Kreise war er in einen ungleich weiteren versetzt. Die
ganze Frage hatte die höhere Bedeutung einer allgemein europäisch-orientalischen
gewonnen. Daß sich hieraus für deu Standpunkt, der von dem osmanischen
Premierminister in der aegyptischen Angelegenheit eingenommen und vertreten
wurde, außerordentliche Vortheile ergaben, die ihm aus's allerentschiedenste
das Wort redeten, liegt auf der Hand. Khereddin war aber ganz der Mann,
diese nicht nur sofort herauszuerkennen, sondern auch zu benutzen und, wenn
auch nicht ohne die ihm durch Takt und Klugheit gebotene Reserve, auszubeuten.
Wenn bisher die Pforte in den aegyptischen Fragen ausschließlich mit England
und Frankreich zu rechnen gehabt hatte, so waren dadurch die bezüglichen
Unterhandlungen zwar einfacher gewesen, als sie hente es geworden sind, aber
andrerseits war auch der türkischen Staatskunst die Losung des hochwichtigen Pro¬
blems wesentlich erschwert, dem eignen Interesse zu seinem Rechte und zu der
der Stellung des Sultans als Suzerän entsprechenden Geltung zu verhelfen.

Dem vereinigten Willen der beiden Westmächte einen Widerstand mit
Erfolg entgegenzusetzen, war in den meisten Fällen, wenn nicht in allen,
der Türkei augenscheinlich versagt. Nur dann, wenn die Anschauungen des
Londoner und Pariser Kabinettes über das, was geschehen sollte, von einander
abwichen, war dem Divan Gelegenheit geboten, eine Stellung zwischen beiden
zu gewinnen, um in dem einen oder andern Sinne eine Vermittelung zu ver¬
suchen, oder, falls dies den eigenen türkischen Interessen mehr entsprach, die
bestehende britisch-französische Differenz noch zu verschärfen. Der damit darge¬
botene Aktionskreis blieb unter allen Umständen ein ausnehmend eng begrenzter,
und selbstverständlich wurden die Auskunftsmittel und die Bewegungsfreiheit
der Pforten-Politik dadurch auf ein Minimum reduzirt. Die Konsequenzen
davon mußten aber in Anbetracht der bereits erwähnten Stellung des Sultans
zu Aegypten als Suzerän um so drückender empfunden worden. Diese Sach¬
lage hat nun mit der Einreichung des deutschen Protestes, wie wenig auch ge¬
rade dieser Effekt in Berlin beabsichtigt worden sein mag, wie durch einen
Zauberschlag sich verändert. Wenn auch die Türkei von nun an, wo die aegyp-


man annehmen, daß er, obgleich die seinen Plänen entgegen stehenden Wider¬
stände sich damals im Wesentlichen noch wenig abgeschwächt hatten, dennoch durch
die Schwenkung der britischen Politik dazu ermuthigt wurde, mit den auf die
Absetzung des Khedive Bezug nehmenden eigenen Ideen offener und rücksichts¬
loser hervorzutreten. Diese seine Initiative überstürzte sich aber keineswegs.
Die Dinge, um die es sich handelte, hatten durch das außer aller Vorausberechnung
liegende Auftreten Deutschland's so zu sagen eine räumliche Verschiebung und
Erweiterung erfahren. Ihr Schwerpunkt war nicht unerheblich verrückt worden.
Aus dem vergleichsweise engen, nur durch drei Mächte, die Psorte, England
und Frankreich, formirter Kreise war er in einen ungleich weiteren versetzt. Die
ganze Frage hatte die höhere Bedeutung einer allgemein europäisch-orientalischen
gewonnen. Daß sich hieraus für deu Standpunkt, der von dem osmanischen
Premierminister in der aegyptischen Angelegenheit eingenommen und vertreten
wurde, außerordentliche Vortheile ergaben, die ihm aus's allerentschiedenste
das Wort redeten, liegt auf der Hand. Khereddin war aber ganz der Mann,
diese nicht nur sofort herauszuerkennen, sondern auch zu benutzen und, wenn
auch nicht ohne die ihm durch Takt und Klugheit gebotene Reserve, auszubeuten.
Wenn bisher die Pforte in den aegyptischen Fragen ausschließlich mit England
und Frankreich zu rechnen gehabt hatte, so waren dadurch die bezüglichen
Unterhandlungen zwar einfacher gewesen, als sie hente es geworden sind, aber
andrerseits war auch der türkischen Staatskunst die Losung des hochwichtigen Pro¬
blems wesentlich erschwert, dem eignen Interesse zu seinem Rechte und zu der
der Stellung des Sultans als Suzerän entsprechenden Geltung zu verhelfen.

Dem vereinigten Willen der beiden Westmächte einen Widerstand mit
Erfolg entgegenzusetzen, war in den meisten Fällen, wenn nicht in allen,
der Türkei augenscheinlich versagt. Nur dann, wenn die Anschauungen des
Londoner und Pariser Kabinettes über das, was geschehen sollte, von einander
abwichen, war dem Divan Gelegenheit geboten, eine Stellung zwischen beiden
zu gewinnen, um in dem einen oder andern Sinne eine Vermittelung zu ver¬
suchen, oder, falls dies den eigenen türkischen Interessen mehr entsprach, die
bestehende britisch-französische Differenz noch zu verschärfen. Der damit darge¬
botene Aktionskreis blieb unter allen Umständen ein ausnehmend eng begrenzter,
und selbstverständlich wurden die Auskunftsmittel und die Bewegungsfreiheit
der Pforten-Politik dadurch auf ein Minimum reduzirt. Die Konsequenzen
davon mußten aber in Anbetracht der bereits erwähnten Stellung des Sultans
zu Aegypten als Suzerän um so drückender empfunden worden. Diese Sach¬
lage hat nun mit der Einreichung des deutschen Protestes, wie wenig auch ge¬
rade dieser Effekt in Berlin beabsichtigt worden sein mag, wie durch einen
Zauberschlag sich verändert. Wenn auch die Türkei von nun an, wo die aegyp-


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[0099] man annehmen, daß er, obgleich die seinen Plänen entgegen stehenden Wider¬ stände sich damals im Wesentlichen noch wenig abgeschwächt hatten, dennoch durch die Schwenkung der britischen Politik dazu ermuthigt wurde, mit den auf die Absetzung des Khedive Bezug nehmenden eigenen Ideen offener und rücksichts¬ loser hervorzutreten. Diese seine Initiative überstürzte sich aber keineswegs. Die Dinge, um die es sich handelte, hatten durch das außer aller Vorausberechnung liegende Auftreten Deutschland's so zu sagen eine räumliche Verschiebung und Erweiterung erfahren. Ihr Schwerpunkt war nicht unerheblich verrückt worden. Aus dem vergleichsweise engen, nur durch drei Mächte, die Psorte, England und Frankreich, formirter Kreise war er in einen ungleich weiteren versetzt. Die ganze Frage hatte die höhere Bedeutung einer allgemein europäisch-orientalischen gewonnen. Daß sich hieraus für deu Standpunkt, der von dem osmanischen Premierminister in der aegyptischen Angelegenheit eingenommen und vertreten wurde, außerordentliche Vortheile ergaben, die ihm aus's allerentschiedenste das Wort redeten, liegt auf der Hand. Khereddin war aber ganz der Mann, diese nicht nur sofort herauszuerkennen, sondern auch zu benutzen und, wenn auch nicht ohne die ihm durch Takt und Klugheit gebotene Reserve, auszubeuten. Wenn bisher die Pforte in den aegyptischen Fragen ausschließlich mit England und Frankreich zu rechnen gehabt hatte, so waren dadurch die bezüglichen Unterhandlungen zwar einfacher gewesen, als sie hente es geworden sind, aber andrerseits war auch der türkischen Staatskunst die Losung des hochwichtigen Pro¬ blems wesentlich erschwert, dem eignen Interesse zu seinem Rechte und zu der der Stellung des Sultans als Suzerän entsprechenden Geltung zu verhelfen. Dem vereinigten Willen der beiden Westmächte einen Widerstand mit Erfolg entgegenzusetzen, war in den meisten Fällen, wenn nicht in allen, der Türkei augenscheinlich versagt. Nur dann, wenn die Anschauungen des Londoner und Pariser Kabinettes über das, was geschehen sollte, von einander abwichen, war dem Divan Gelegenheit geboten, eine Stellung zwischen beiden zu gewinnen, um in dem einen oder andern Sinne eine Vermittelung zu ver¬ suchen, oder, falls dies den eigenen türkischen Interessen mehr entsprach, die bestehende britisch-französische Differenz noch zu verschärfen. Der damit darge¬ botene Aktionskreis blieb unter allen Umständen ein ausnehmend eng begrenzter, und selbstverständlich wurden die Auskunftsmittel und die Bewegungsfreiheit der Pforten-Politik dadurch auf ein Minimum reduzirt. Die Konsequenzen davon mußten aber in Anbetracht der bereits erwähnten Stellung des Sultans zu Aegypten als Suzerän um so drückender empfunden worden. Diese Sach¬ lage hat nun mit der Einreichung des deutschen Protestes, wie wenig auch ge¬ rade dieser Effekt in Berlin beabsichtigt worden sein mag, wie durch einen Zauberschlag sich verändert. Wenn auch die Türkei von nun an, wo die aegyp-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/99>, abgerufen am 27.11.2024.