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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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überhaupt nicht von ihr, als ob sie irgend einen besondern Moment aus dem
Leben des Moses darstellen solle. Sie schildern sie vielmehr nur als ein
Meisterwerk, das den großen Volksbefreier und Gesetzgeber in der Weise vor¬
führe, wie ihn Michel Angelo der biblischen Erzählung zufolge sich gedacht und
aus der Geschichte seiner Thaten gleichsam^ zusammengefaßt habe. Schon
Onatremöre de Quincy gab dem Beschauer zu bedenken, daß die Statue nach
dem ursprünglichen Plane nicht dazu bestimmt war, irgend eine dramatische
Handlung oder auch nur eine lebhafte Bewegung auszudrücken, sondern nur
mit einer andern Figur eine Gruppe von zwei sitzenden Personen auf dem
Grabmale des Papstes zu bilden. Trotzdem ist nicht zu verkennen, daß eine
heftige Bewegung die ganze Gestalt durchzittert, und daß sie, wenn auch jetzt
uoch ruhig, doch bald in eine dramatische Aktion eintreten kann. Dafür zeugt
uicht nur der aufgehobene, nur noch mit der Spitze den Boden berührende
linke Fuß, sondern besonders der nach links gewandte Kopf mit dem wie auf
einen bestimmten Punkt gerichteten Blick, am meisten aber die zusammengeballten
Stirnmuskeln und der nicht sowohl strenge, als vielmehr zornige Ausdruck des
ganzen Gesichts. Dies Antlitz gleicht einer düstern, gewitterschwangern Wolke.
Noch schwebt sie ruhig daher, aber bald werden gewaltige Blitze aus ihr her-
niederzncken, bald wird sie unter mächtigen Donnern sich entladen.

Der Moses des Michel Angelo gleicht hierin dem ältern, aber ebenfalls
hochberühmten plastischen Werke des Meisters, dem sogenannten "Giganten",
dem David in Florenz. Auch dieser ist in einer äußerlich ruhigen Haltung
dargestellt; dennoch scheint eine innere Bewegung alle seine Glieder zu durch¬
zucken und der ganze Leib auf den bevorstehenden Kampf mit Goliath gespannt
zu sein. Mit ebenfalls nach links gewandtem Haupte schaut er kühnen, ja
trotzigen Ausdruckes nach seinem Gegner hin, aus den Augenblick harrend, da
er den glatten Stein, den er in seiner am Leibe herabhängenden Rechten birgt,
in die Schleuder zwängen wird, die in der erhobenen Linken ruht, um dann
mit einem Wurfe den nahenden mächtigen Feind niederzuschmettern.

Schade, daß wir nicht wie bei David mit Bestimmtheit angeben können,
welcher Aktion Moses hier entgegengeht, was in seiner Brust den Sturm herauf¬
beschworen, der seinem Leibe die Spannung verleiht, den sein Antlitz und die
zornig hervortretende Unterlippe verkündigen. Daß es die Verehrung des
goldnen Kalbes oder eine frühere Auflehnung des Volkes nicht ist, glauben
wir nachgewiesen zu haben. Nach jenem Rückfalle des in der Wüste lebenden
Israel gab es aber noch so mannigfache Ereignisse, die Moses' Zorn gegen die
widersetzliche Horde erregten, daß die Bestimmung des richtigen Momentes un¬
gemein schwer fällt. Doch ragen zwei unter diesen Ereignissen hervor, die dem
Herzen des großen Vvlksführers besonders wehe gethan haben mögen: die


überhaupt nicht von ihr, als ob sie irgend einen besondern Moment aus dem
Leben des Moses darstellen solle. Sie schildern sie vielmehr nur als ein
Meisterwerk, das den großen Volksbefreier und Gesetzgeber in der Weise vor¬
führe, wie ihn Michel Angelo der biblischen Erzählung zufolge sich gedacht und
aus der Geschichte seiner Thaten gleichsam^ zusammengefaßt habe. Schon
Onatremöre de Quincy gab dem Beschauer zu bedenken, daß die Statue nach
dem ursprünglichen Plane nicht dazu bestimmt war, irgend eine dramatische
Handlung oder auch nur eine lebhafte Bewegung auszudrücken, sondern nur
mit einer andern Figur eine Gruppe von zwei sitzenden Personen auf dem
Grabmale des Papstes zu bilden. Trotzdem ist nicht zu verkennen, daß eine
heftige Bewegung die ganze Gestalt durchzittert, und daß sie, wenn auch jetzt
uoch ruhig, doch bald in eine dramatische Aktion eintreten kann. Dafür zeugt
uicht nur der aufgehobene, nur noch mit der Spitze den Boden berührende
linke Fuß, sondern besonders der nach links gewandte Kopf mit dem wie auf
einen bestimmten Punkt gerichteten Blick, am meisten aber die zusammengeballten
Stirnmuskeln und der nicht sowohl strenge, als vielmehr zornige Ausdruck des
ganzen Gesichts. Dies Antlitz gleicht einer düstern, gewitterschwangern Wolke.
Noch schwebt sie ruhig daher, aber bald werden gewaltige Blitze aus ihr her-
niederzncken, bald wird sie unter mächtigen Donnern sich entladen.

Der Moses des Michel Angelo gleicht hierin dem ältern, aber ebenfalls
hochberühmten plastischen Werke des Meisters, dem sogenannten „Giganten",
dem David in Florenz. Auch dieser ist in einer äußerlich ruhigen Haltung
dargestellt; dennoch scheint eine innere Bewegung alle seine Glieder zu durch¬
zucken und der ganze Leib auf den bevorstehenden Kampf mit Goliath gespannt
zu sein. Mit ebenfalls nach links gewandtem Haupte schaut er kühnen, ja
trotzigen Ausdruckes nach seinem Gegner hin, aus den Augenblick harrend, da
er den glatten Stein, den er in seiner am Leibe herabhängenden Rechten birgt,
in die Schleuder zwängen wird, die in der erhobenen Linken ruht, um dann
mit einem Wurfe den nahenden mächtigen Feind niederzuschmettern.

Schade, daß wir nicht wie bei David mit Bestimmtheit angeben können,
welcher Aktion Moses hier entgegengeht, was in seiner Brust den Sturm herauf¬
beschworen, der seinem Leibe die Spannung verleiht, den sein Antlitz und die
zornig hervortretende Unterlippe verkündigen. Daß es die Verehrung des
goldnen Kalbes oder eine frühere Auflehnung des Volkes nicht ist, glauben
wir nachgewiesen zu haben. Nach jenem Rückfalle des in der Wüste lebenden
Israel gab es aber noch so mannigfache Ereignisse, die Moses' Zorn gegen die
widersetzliche Horde erregten, daß die Bestimmung des richtigen Momentes un¬
gemein schwer fällt. Doch ragen zwei unter diesen Ereignissen hervor, die dem
Herzen des großen Vvlksführers besonders wehe gethan haben mögen: die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/85>, abgerufen am 01.09.2024.