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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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seinen Stab übergibt. Dann wie ihm ein Engel vom Berge Nebo aus das Land
der Verheißung jzeigt, und wie er selbst vom Berge herabsteigt. Endlich noch
links auf der Höhe einige Figuren um Moses' Leichnam.

Auf den ersten drei der eben beschriebenen Bildern bemerkt man wieder¬
um an keiner Moses-Figur die Strahlenbündel am Haupte. Erst auf dem
vierten Bilde treten sie auf, und zwar hier auch nicht an derjenigen Moses-
Figur, welche die Gesetzestafeln von Gott empfängt, ebensowenig an der, welche
die Tafeln beim Anblicke der Verehrung des goldenen Kalbes zerbricht, sondern
erst an der, welche die neuen, die zweiten Gesetzestafeln dem versammelten
Volke entgegenhält. Wie bei Michel Angelo die Hörner, so erheben sich hier
von der Stirn des Moses aus zwei goldene Strahlenbündel. Von da an aber
ist jede Moses-Figur auf dein fünften und sechsten Bilde mit denselben goldenen
Strahlenbüscheln versehen.

Wie Raffael's Gemälde und die Bilder der Sixtina, so zeigen aber auch
schon die angeführten Abbildungen in den Katakomben Rom's, wie in den Mo¬
saiken zu Rcwenna, daß ihre Meister bei der Darstellung des großen Gesetzgebers
genau der Bibel gefolgt find. Weder beim Dornbusch, uoch beim Empfange
des Gesetzes, noch beim Felsen in Refidim, noch beim Manna sieht man jemals
an Moses' Haupte Strahlenbündel, weil alle diese Begebenheiten vor die Ueber-
bringung der zweiten Gesetzestafeln fallen. Sonst hat ihm die Kunst nur
uoch in der "Krönung Mariae", wie in der "Verklärung Christi", wo Moses
bereits im Himmel ist, oder gemeinsam mit dem Propheten Elias Christus auf
dem Berge Tabor erscheint, einen Heiligenschein mit Strahlenbüscheln gegeben.
Auch Raffael hat ihn in seiner "Verklärung Christi" mit kleinen Strahlenbüscheln
versehen. Sie fehlen zwar, beiläufig bemerkt, in dem von Raffael und Antonio
Morghen veröffentlichten Stiche, find aber vollständig sichtbar in dem vorzüg¬
licheren Stiche, den Raffael Morghen allein ausgeführt hat. Wenn aber alle
diese Meister nicht von der biblischen Erzählung abgewichen sind, sollte es
Michel Angelo gethan haben? Soll er, der sich wohl von mancher Tradition
losgesagt, um den Eingebungen seines titanischen Geistes zu folgen, der aber
doch der falsch übersetzten Bibelstelle zu Liebe Moses mit Hörnern dargestellt
hat, ihm diese Hörner für einen Moment gegeben haben, in welchem sie, der
Bibel zufolge, seinem Haupte noch gar nicht zukommen? Eine solche Annahme
ist wohl kaum statthaft. Dann kann aber Michel Angelo's Moses auch nicht dar¬
gestellt sein, "wie er erzürnt über die Verehrung des goldenen Kalbes auf¬
springen will", sondern es muß dem Künstler ein andrer Moment aus der
Geschichte des großen Gesetzgebers vorgeschwebt haben. Welches aber ist dieser
Moment?

Viele alte und neue Kunsthistoriker, die über die Statue berichte", sprechen


seinen Stab übergibt. Dann wie ihm ein Engel vom Berge Nebo aus das Land
der Verheißung jzeigt, und wie er selbst vom Berge herabsteigt. Endlich noch
links auf der Höhe einige Figuren um Moses' Leichnam.

Auf den ersten drei der eben beschriebenen Bildern bemerkt man wieder¬
um an keiner Moses-Figur die Strahlenbündel am Haupte. Erst auf dem
vierten Bilde treten sie auf, und zwar hier auch nicht an derjenigen Moses-
Figur, welche die Gesetzestafeln von Gott empfängt, ebensowenig an der, welche
die Tafeln beim Anblicke der Verehrung des goldenen Kalbes zerbricht, sondern
erst an der, welche die neuen, die zweiten Gesetzestafeln dem versammelten
Volke entgegenhält. Wie bei Michel Angelo die Hörner, so erheben sich hier
von der Stirn des Moses aus zwei goldene Strahlenbündel. Von da an aber
ist jede Moses-Figur auf dein fünften und sechsten Bilde mit denselben goldenen
Strahlenbüscheln versehen.

Wie Raffael's Gemälde und die Bilder der Sixtina, so zeigen aber auch
schon die angeführten Abbildungen in den Katakomben Rom's, wie in den Mo¬
saiken zu Rcwenna, daß ihre Meister bei der Darstellung des großen Gesetzgebers
genau der Bibel gefolgt find. Weder beim Dornbusch, uoch beim Empfange
des Gesetzes, noch beim Felsen in Refidim, noch beim Manna sieht man jemals
an Moses' Haupte Strahlenbündel, weil alle diese Begebenheiten vor die Ueber-
bringung der zweiten Gesetzestafeln fallen. Sonst hat ihm die Kunst nur
uoch in der „Krönung Mariae", wie in der „Verklärung Christi", wo Moses
bereits im Himmel ist, oder gemeinsam mit dem Propheten Elias Christus auf
dem Berge Tabor erscheint, einen Heiligenschein mit Strahlenbüscheln gegeben.
Auch Raffael hat ihn in seiner „Verklärung Christi" mit kleinen Strahlenbüscheln
versehen. Sie fehlen zwar, beiläufig bemerkt, in dem von Raffael und Antonio
Morghen veröffentlichten Stiche, find aber vollständig sichtbar in dem vorzüg¬
licheren Stiche, den Raffael Morghen allein ausgeführt hat. Wenn aber alle
diese Meister nicht von der biblischen Erzählung abgewichen sind, sollte es
Michel Angelo gethan haben? Soll er, der sich wohl von mancher Tradition
losgesagt, um den Eingebungen seines titanischen Geistes zu folgen, der aber
doch der falsch übersetzten Bibelstelle zu Liebe Moses mit Hörnern dargestellt
hat, ihm diese Hörner für einen Moment gegeben haben, in welchem sie, der
Bibel zufolge, seinem Haupte noch gar nicht zukommen? Eine solche Annahme
ist wohl kaum statthaft. Dann kann aber Michel Angelo's Moses auch nicht dar¬
gestellt sein, „wie er erzürnt über die Verehrung des goldenen Kalbes auf¬
springen will", sondern es muß dem Künstler ein andrer Moment aus der
Geschichte des großen Gesetzgebers vorgeschwebt haben. Welches aber ist dieser
Moment?

Viele alte und neue Kunsthistoriker, die über die Statue berichte«, sprechen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/84>, abgerufen am 27.11.2024.