Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

geschaffen werden sollte, der große Meister nicht einen Moment aus der Geschichte
des Moses gewählt haben wird, für den diese Stellung am wenigsten geeignet,
ja geradezu unmöglich ist. Ans diesem Grunde einerseits, andrerseits deshalb,
weil, wie oben nachgewiesen, die Hörner an Moses' Haupte zur Zeit der Ver¬
ehrung des goldenen Kalbes ein in die Augen springender Anachronismus wären,
dürfen wir wohl mit vollem Rechte die oben angeführte Auffassung der Kunst¬
historiker als eine irrige bezeichnen.

Als Stütze für unsre Behauptung, Michel Angelo werde sich keines Ana¬
chronismus schuldig gemacht haben, können uns Raffael's Loggien im Vatikan,
die sogenannte "Bibel Raffael's", dienen. Hier erblicken wir Moses in den
hervorragendsten Momenten seines Lebens. Wir sehen ihn zunächst als Kind
in der "Findung Mosis", dann, wie ihm Gott im Dornbusche erscheint -- eine
Szene, die Raffael auch in der ses-n-la, ä'Niockoro in etwas veränderter
Weise zur Anschauung bringt -- später beim Durchgange durch's rothe Meer
und hierauf in Refidim, wie er mit seinem Stäbe auf den Felsen schlägt, um
Wasser aus ihm hervorzurufen.*) Ferner begegnen wir ihm, wie er zum ersten
Male die Gesetzestafeln von Gott empfängt, alsdann, wie er beim Anblicke der
das goldene Kalb anbetenden Jsraeliten die Tafeln wegwirft, endlich, wie Gott,
hinter einer Wolke verborgen, mit ihm spricht. Auf keinem dieser Gemälde
erscheint Moses mit den beiden Strahlenbündeln am Haupte. Erst in dem
folgende" Bilde, in welchem ihn Raffael darstellt, wie er die zweiten Gesetzes¬
tafeln dem Volke bringt, sehen wir die Strahlenbüschel an seinem Haupte, und
zwar mit Recht erst hier, weil erst hier, dem biblischen Berichte zufolge, "Moses'
Antlitz strahlte" oder "gehörnt war".

l?Aus demselben Grunde fehlen auch die Strahlenbündel an Moses'
Haupte auf zwei anderen Darstellungen, die nach Zeichnungen Raffael's in
den Bordüren der berühmten Teppiche des Vatikan ausgeführt und von Pietro
Sande gestochen sein sollen. Auf dem einen erblickt man Moses am jenseitigen
User des rothen Meeres mit seinem Stäbe die Fluthen desselben in ihr Bett
zurückleitend, während am diesseitigen Ufer das aegyptische Heer, in das Bett
hineinreitend, von den Wellen erfaßt wird. Auf dem andren überreicht Gott
dem Moses die Gesetzestafeln.

Als ältere Zeugen treten aber der "Bibel Raffael's" die oben schon be¬
rührten Gemälde an der linken Wand der sixtinischen Kapelle zur Seite. Das



*) Moses schlägt an zwei verschiedenen Lagerorten an einen Felsen, um ihm Wasser
zu entlocken. Das erste Mal in Refidim, das zweite Mal in Kadesch. Die Reihenfolge der
Bilder zeigt jedoch, daß hier das erste Ereignis, gemeint ist.

geschaffen werden sollte, der große Meister nicht einen Moment aus der Geschichte
des Moses gewählt haben wird, für den diese Stellung am wenigsten geeignet,
ja geradezu unmöglich ist. Ans diesem Grunde einerseits, andrerseits deshalb,
weil, wie oben nachgewiesen, die Hörner an Moses' Haupte zur Zeit der Ver¬
ehrung des goldenen Kalbes ein in die Augen springender Anachronismus wären,
dürfen wir wohl mit vollem Rechte die oben angeführte Auffassung der Kunst¬
historiker als eine irrige bezeichnen.

Als Stütze für unsre Behauptung, Michel Angelo werde sich keines Ana¬
chronismus schuldig gemacht haben, können uns Raffael's Loggien im Vatikan,
die sogenannte „Bibel Raffael's", dienen. Hier erblicken wir Moses in den
hervorragendsten Momenten seines Lebens. Wir sehen ihn zunächst als Kind
in der „Findung Mosis", dann, wie ihm Gott im Dornbusche erscheint — eine
Szene, die Raffael auch in der ses-n-la, ä'Niockoro in etwas veränderter
Weise zur Anschauung bringt — später beim Durchgange durch's rothe Meer
und hierauf in Refidim, wie er mit seinem Stäbe auf den Felsen schlägt, um
Wasser aus ihm hervorzurufen.*) Ferner begegnen wir ihm, wie er zum ersten
Male die Gesetzestafeln von Gott empfängt, alsdann, wie er beim Anblicke der
das goldene Kalb anbetenden Jsraeliten die Tafeln wegwirft, endlich, wie Gott,
hinter einer Wolke verborgen, mit ihm spricht. Auf keinem dieser Gemälde
erscheint Moses mit den beiden Strahlenbündeln am Haupte. Erst in dem
folgende» Bilde, in welchem ihn Raffael darstellt, wie er die zweiten Gesetzes¬
tafeln dem Volke bringt, sehen wir die Strahlenbüschel an seinem Haupte, und
zwar mit Recht erst hier, weil erst hier, dem biblischen Berichte zufolge, „Moses'
Antlitz strahlte" oder „gehörnt war".

l?Aus demselben Grunde fehlen auch die Strahlenbündel an Moses'
Haupte auf zwei anderen Darstellungen, die nach Zeichnungen Raffael's in
den Bordüren der berühmten Teppiche des Vatikan ausgeführt und von Pietro
Sande gestochen sein sollen. Auf dem einen erblickt man Moses am jenseitigen
User des rothen Meeres mit seinem Stäbe die Fluthen desselben in ihr Bett
zurückleitend, während am diesseitigen Ufer das aegyptische Heer, in das Bett
hineinreitend, von den Wellen erfaßt wird. Auf dem andren überreicht Gott
dem Moses die Gesetzestafeln.

Als ältere Zeugen treten aber der „Bibel Raffael's" die oben schon be¬
rührten Gemälde an der linken Wand der sixtinischen Kapelle zur Seite. Das



*) Moses schlägt an zwei verschiedenen Lagerorten an einen Felsen, um ihm Wasser
zu entlocken. Das erste Mal in Refidim, das zweite Mal in Kadesch. Die Reihenfolge der
Bilder zeigt jedoch, daß hier das erste Ereignis, gemeint ist.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0082" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/142579"/>
          <p xml:id="ID_232" prev="#ID_231"> geschaffen werden sollte, der große Meister nicht einen Moment aus der Geschichte<lb/>
des Moses gewählt haben wird, für den diese Stellung am wenigsten geeignet,<lb/>
ja geradezu unmöglich ist. Ans diesem Grunde einerseits, andrerseits deshalb,<lb/>
weil, wie oben nachgewiesen, die Hörner an Moses' Haupte zur Zeit der Ver¬<lb/>
ehrung des goldenen Kalbes ein in die Augen springender Anachronismus wären,<lb/>
dürfen wir wohl mit vollem Rechte die oben angeführte Auffassung der Kunst¬<lb/>
historiker als eine irrige bezeichnen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_233"> Als Stütze für unsre Behauptung, Michel Angelo werde sich keines Ana¬<lb/>
chronismus schuldig gemacht haben, können uns Raffael's Loggien im Vatikan,<lb/>
die sogenannte &#x201E;Bibel Raffael's", dienen. Hier erblicken wir Moses in den<lb/>
hervorragendsten Momenten seines Lebens. Wir sehen ihn zunächst als Kind<lb/>
in der &#x201E;Findung Mosis", dann, wie ihm Gott im Dornbusche erscheint &#x2014; eine<lb/>
Szene, die Raffael auch in der ses-n-la, ä'Niockoro in etwas veränderter<lb/>
Weise zur Anschauung bringt &#x2014; später beim Durchgange durch's rothe Meer<lb/>
und hierauf in Refidim, wie er mit seinem Stäbe auf den Felsen schlägt, um<lb/>
Wasser aus ihm hervorzurufen.*) Ferner begegnen wir ihm, wie er zum ersten<lb/>
Male die Gesetzestafeln von Gott empfängt, alsdann, wie er beim Anblicke der<lb/>
das goldene Kalb anbetenden Jsraeliten die Tafeln wegwirft, endlich, wie Gott,<lb/>
hinter einer Wolke verborgen, mit ihm spricht. Auf keinem dieser Gemälde<lb/>
erscheint Moses mit den beiden Strahlenbündeln am Haupte. Erst in dem<lb/>
folgende» Bilde, in welchem ihn Raffael darstellt, wie er die zweiten Gesetzes¬<lb/>
tafeln dem Volke bringt, sehen wir die Strahlenbüschel an seinem Haupte, und<lb/>
zwar mit Recht erst hier, weil erst hier, dem biblischen Berichte zufolge, &#x201E;Moses'<lb/>
Antlitz strahlte" oder &#x201E;gehörnt war".</p><lb/>
          <p xml:id="ID_234"> l?Aus demselben Grunde fehlen auch die Strahlenbündel an Moses'<lb/>
Haupte auf zwei anderen Darstellungen, die nach Zeichnungen Raffael's in<lb/>
den Bordüren der berühmten Teppiche des Vatikan ausgeführt und von Pietro<lb/>
Sande gestochen sein sollen. Auf dem einen erblickt man Moses am jenseitigen<lb/>
User des rothen Meeres mit seinem Stäbe die Fluthen desselben in ihr Bett<lb/>
zurückleitend, während am diesseitigen Ufer das aegyptische Heer, in das Bett<lb/>
hineinreitend, von den Wellen erfaßt wird. Auf dem andren überreicht Gott<lb/>
dem Moses die Gesetzestafeln.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_235" next="#ID_236"> Als ältere Zeugen treten aber der &#x201E;Bibel Raffael's" die oben schon be¬<lb/>
rührten Gemälde an der linken Wand der sixtinischen Kapelle zur Seite. Das</p><lb/>
          <note xml:id="FID_4" place="foot"> *) Moses schlägt an zwei verschiedenen Lagerorten an einen Felsen, um ihm Wasser<lb/>
zu entlocken. Das erste Mal in Refidim, das zweite Mal in Kadesch. Die Reihenfolge der<lb/>
Bilder zeigt jedoch, daß hier das erste Ereignis, gemeint ist.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0082] geschaffen werden sollte, der große Meister nicht einen Moment aus der Geschichte des Moses gewählt haben wird, für den diese Stellung am wenigsten geeignet, ja geradezu unmöglich ist. Ans diesem Grunde einerseits, andrerseits deshalb, weil, wie oben nachgewiesen, die Hörner an Moses' Haupte zur Zeit der Ver¬ ehrung des goldenen Kalbes ein in die Augen springender Anachronismus wären, dürfen wir wohl mit vollem Rechte die oben angeführte Auffassung der Kunst¬ historiker als eine irrige bezeichnen. Als Stütze für unsre Behauptung, Michel Angelo werde sich keines Ana¬ chronismus schuldig gemacht haben, können uns Raffael's Loggien im Vatikan, die sogenannte „Bibel Raffael's", dienen. Hier erblicken wir Moses in den hervorragendsten Momenten seines Lebens. Wir sehen ihn zunächst als Kind in der „Findung Mosis", dann, wie ihm Gott im Dornbusche erscheint — eine Szene, die Raffael auch in der ses-n-la, ä'Niockoro in etwas veränderter Weise zur Anschauung bringt — später beim Durchgange durch's rothe Meer und hierauf in Refidim, wie er mit seinem Stäbe auf den Felsen schlägt, um Wasser aus ihm hervorzurufen.*) Ferner begegnen wir ihm, wie er zum ersten Male die Gesetzestafeln von Gott empfängt, alsdann, wie er beim Anblicke der das goldene Kalb anbetenden Jsraeliten die Tafeln wegwirft, endlich, wie Gott, hinter einer Wolke verborgen, mit ihm spricht. Auf keinem dieser Gemälde erscheint Moses mit den beiden Strahlenbündeln am Haupte. Erst in dem folgende» Bilde, in welchem ihn Raffael darstellt, wie er die zweiten Gesetzes¬ tafeln dem Volke bringt, sehen wir die Strahlenbüschel an seinem Haupte, und zwar mit Recht erst hier, weil erst hier, dem biblischen Berichte zufolge, „Moses' Antlitz strahlte" oder „gehörnt war". l?Aus demselben Grunde fehlen auch die Strahlenbündel an Moses' Haupte auf zwei anderen Darstellungen, die nach Zeichnungen Raffael's in den Bordüren der berühmten Teppiche des Vatikan ausgeführt und von Pietro Sande gestochen sein sollen. Auf dem einen erblickt man Moses am jenseitigen User des rothen Meeres mit seinem Stäbe die Fluthen desselben in ihr Bett zurückleitend, während am diesseitigen Ufer das aegyptische Heer, in das Bett hineinreitend, von den Wellen erfaßt wird. Auf dem andren überreicht Gott dem Moses die Gesetzestafeln. Als ältere Zeugen treten aber der „Bibel Raffael's" die oben schon be¬ rührten Gemälde an der linken Wand der sixtinischen Kapelle zur Seite. Das *) Moses schlägt an zwei verschiedenen Lagerorten an einen Felsen, um ihm Wasser zu entlocken. Das erste Mal in Refidim, das zweite Mal in Kadesch. Die Reihenfolge der Bilder zeigt jedoch, daß hier das erste Ereignis, gemeint ist.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/82
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/82>, abgerufen am 01.09.2024.