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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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römischen X hinter dem Namen "Mose" befindet, ebenso die der hebräischen
Sprache völlig fremde Vertheilung der Buchstaben eines und desselben Wortes
auf verschieden Zeilen.

Wie auf diesen Medaillen nun, so scheint allerdings auch auf Kirchen¬
bildern schon vor Michel Angelo Moses hin und wieder mit Hörnern versehen
worden zu "sein. Wir schließen dies aus einer Bemerkung des Augustinus
Secundus, der 1537 von Papst Paul III. zum Bischof von Chismno in Candien
ernannt wurde, also ein Zeitgenosse Michel Angelo's war und lange vor ihm,
im Jahre 1550, in Venedig starb. Dieser sagt: "Die Juden verlachen und ver¬
wünschen uns, so oft sie Moses mit gehörnten Antlitze in unseren Tempeln
abgebildet sehen, da sie thörichter Weise daraus urtheilen, daß wir Moses
gleichsam für irgend einen Teufel oder feine Frau für eine Ehebrecherin hielten."
Da wir indeß auf den oben erwähnten Gemälden von der Hand großer
Meister, die Michel Angelo vorangegangen oder seine älteren Zeitgenossen waren,
Moses ohne Hörner finden, so wird der große Florentiner schwerlich durch
eine künstlerische Tradition zu seiner Darstellung genöthigt gewesen sein.

Wohl aber könnte die Frage entstehen, ob er die Hörner etwa als Aus¬
kunftsmittel zur plastischen Darstellung der beiden Strahlenbüschel an Moses'
Haupte betrachtet habe, da diese ja ebenso wie der Stab und die Gesetzestafeln
bisweilen Moses auf Gemälden charakterisiren. Möglich wäre dies wohl, zu¬
mal da in manchen orientalischen Sprachen das Wort "Strahl" unter anderen
auch durch "Horn" ausgedrückt wird. So werden z. B. in der arabischen, wie
in der nachbiblischen oder neuhebräischen Poesie die "Strahlen der Sonne" auch
die "Hörner der Sonne" genannt. Doch sobald diese Strahlenbttschel, wie eben
nachgewiesen, zu Moses' Charakterisirung nicht unumgänglich nothwendig sind,
weshalb hat sie Michel Angelo überhaupt plastisch dargestellt, wenn dies nur
auf Kostender Schönheit geschehen konnte? Er that es, ebenso wie diejenigen,
welche die Moses-Medaillen prägten, und etwa noch einige Maler vor ihm, ver¬
anlaßt dnrch die falsche lateinische Uebersetzung einer hebräischen Bibelstelle.

Im zweiten Buche Mosis (34, 29), wo erzählt wird, daß Moses vom
Berge Sinai mit den beiden Tafeln in der Hand herabkam, heißt es weiter:
"Und Moses wußte nicht, daß die Haut seines Angesichts strahlte, weil er (Gott)
mit ihm geredet hatte." Das Wort "strahlte" wird aber im hebräischen Originale
durch Kg-ran ausgedrückt, was mit dem Hauptworte Ksron, Horn, ein und
desselben Stammes ist und hier "Hörner auswerfen", d. h. "domförmige Strahlen
verbreiten" bedeutet. Die von der katholischen Kirche rezipirte, für allein giltig
erklärte lateinische Uebersetzung der Bibel, die sogenannte Vulgata, bestrebte sich,
nach dem Vorbilde der griechischen Uebersetzung den hebräischen Text möglichst
wörtlich zu übertragen. So verwerthete sie an dieser Stelle das aus dem


römischen X hinter dem Namen „Mose" befindet, ebenso die der hebräischen
Sprache völlig fremde Vertheilung der Buchstaben eines und desselben Wortes
auf verschieden Zeilen.

Wie auf diesen Medaillen nun, so scheint allerdings auch auf Kirchen¬
bildern schon vor Michel Angelo Moses hin und wieder mit Hörnern versehen
worden zu «sein. Wir schließen dies aus einer Bemerkung des Augustinus
Secundus, der 1537 von Papst Paul III. zum Bischof von Chismno in Candien
ernannt wurde, also ein Zeitgenosse Michel Angelo's war und lange vor ihm,
im Jahre 1550, in Venedig starb. Dieser sagt: „Die Juden verlachen und ver¬
wünschen uns, so oft sie Moses mit gehörnten Antlitze in unseren Tempeln
abgebildet sehen, da sie thörichter Weise daraus urtheilen, daß wir Moses
gleichsam für irgend einen Teufel oder feine Frau für eine Ehebrecherin hielten."
Da wir indeß auf den oben erwähnten Gemälden von der Hand großer
Meister, die Michel Angelo vorangegangen oder seine älteren Zeitgenossen waren,
Moses ohne Hörner finden, so wird der große Florentiner schwerlich durch
eine künstlerische Tradition zu seiner Darstellung genöthigt gewesen sein.

Wohl aber könnte die Frage entstehen, ob er die Hörner etwa als Aus¬
kunftsmittel zur plastischen Darstellung der beiden Strahlenbüschel an Moses'
Haupte betrachtet habe, da diese ja ebenso wie der Stab und die Gesetzestafeln
bisweilen Moses auf Gemälden charakterisiren. Möglich wäre dies wohl, zu¬
mal da in manchen orientalischen Sprachen das Wort „Strahl" unter anderen
auch durch „Horn" ausgedrückt wird. So werden z. B. in der arabischen, wie
in der nachbiblischen oder neuhebräischen Poesie die „Strahlen der Sonne" auch
die „Hörner der Sonne" genannt. Doch sobald diese Strahlenbttschel, wie eben
nachgewiesen, zu Moses' Charakterisirung nicht unumgänglich nothwendig sind,
weshalb hat sie Michel Angelo überhaupt plastisch dargestellt, wenn dies nur
auf Kostender Schönheit geschehen konnte? Er that es, ebenso wie diejenigen,
welche die Moses-Medaillen prägten, und etwa noch einige Maler vor ihm, ver¬
anlaßt dnrch die falsche lateinische Uebersetzung einer hebräischen Bibelstelle.

Im zweiten Buche Mosis (34, 29), wo erzählt wird, daß Moses vom
Berge Sinai mit den beiden Tafeln in der Hand herabkam, heißt es weiter:
„Und Moses wußte nicht, daß die Haut seines Angesichts strahlte, weil er (Gott)
mit ihm geredet hatte." Das Wort „strahlte" wird aber im hebräischen Originale
durch Kg-ran ausgedrückt, was mit dem Hauptworte Ksron, Horn, ein und
desselben Stammes ist und hier „Hörner auswerfen", d. h. „domförmige Strahlen
verbreiten" bedeutet. Die von der katholischen Kirche rezipirte, für allein giltig
erklärte lateinische Uebersetzung der Bibel, die sogenannte Vulgata, bestrebte sich,
nach dem Vorbilde der griechischen Uebersetzung den hebräischen Text möglichst
wörtlich zu übertragen. So verwerthete sie an dieser Stelle das aus dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/80>, abgerufen am 01.09.2024.