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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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durchaus nicht im Verhältniß zur Kolossalität der Statue selbst. Sie aber
auf eine künstlerische Tradition zurückzuführen, der zufolge Moses in bildlichen
Darstellungen durch Hörner charaktersirt werden mußte, ist unzulässig, weil vor
Michel Angelo weder Maler noch Bildhauer von Bedeutuug ihn damit versehen
haben dürften.

In den römischen Katakomben begegnet man sehr oft bildlichen Darstellungen
des Moses. Meist erblickt man ihn hier, wie er mit seinem Stäbe den Felsen
schlägt, dem reichlich Wasser entströmt, und zwar soll durch dieses Bild, welches
zeigt, wie auf Gottes Geheiß dem todten Gesteine lebendiges Wasser entlockt
wird, nach der Ansicht des Ambrosius die Auferstehung des todten Menschen¬
leibes zu neuem Leben symbolisirt werden. Im Grabgewölbe der heiligen
Agnese tritt uns Moses dabei in so klassischer Form entgegen, daß behauptet
wird, Naffael habe dies Bild gesehen, ehe er seine Moses-Gestalten im Vatikan
zu malen begann. Außerdem finden wir ihn in den Katakomben wiederholt
noch in drei weiteren Situationen seines Lebens. Bisweilen sehen wir ihn am
Dornbusche, wie er auf Gottes Zuruf des heiligen Bodens wegen seinen Schuh
auszieht -- wohl eine Hindeutung darauf, daß auch das Grab ein heiliger
Boden sei; dann, wie er mit seinem Stäbe auf einige mit Manna gefüllte Körbe
hinweist; endlich, wie er am Sinai das Gesetz für sein Volk empfängt. Aber
auf keiner dieser Abbildungen ist er mit Hörnern oder auch nur mit einem
Heiligenscheine versehen. Auch eine plastische Darstellung, das Relief eines
alten Sarkophages, der 1592 beim Ausgraben der Fundamente der Peterskirche
gefunden worden, zeigt zu Anfang einer Reihe verschiedener menschlicher Figuren
Moses ohne Hörner und ohne Heiligenschein. Unter den Mosaiken der Kirche
zu S. Vitale in Ravenna, welche 547 unter Kaiser Justinian eingeweiht wurde,
ist Moses dargestellt, wie er das Gesetz aus Gottes Hand empfängt. Von Gott
ist nichts weiter sichtbar als das Symbol der Allmacht, eine von oben herab¬
gestreckte Hand. Moses nimmt das Gesetz mit verhüllten Händen entgegen,
weil das Heilige nur so berührt werden darf; das Geficht hält er abgewandt,
wohl weil er Gottes Antlitz nicht schauen darf. Gegen die biblische Erzählung
ist er übrigens als Jüngling aufgefaßt; der Künstler stand offenbar noch unter
dem Gesetze des antiken Idealismus, der dem Unvergänglichen das Gepräge der
Jugend gab. Aber auch dieser Moses trägt keine Hörner, sondern ist nur von
einer Aureole, einem Heiligenschein, umgeben. Mit keinem von beiden erscheint
er auf zwei alten Glasvasen-Fragmenten und einem alten Metall-Medaillon des
christlichen Museums im Vatikan, die in den römischen Grabgewölben gefunden
worden sind.

Aber auch in späteren Jahrhunderten, in denen, welche dem des Michel
Angelo unmittelbar vorangegangen, erscheint Moses in der bildenden Kunst


durchaus nicht im Verhältniß zur Kolossalität der Statue selbst. Sie aber
auf eine künstlerische Tradition zurückzuführen, der zufolge Moses in bildlichen
Darstellungen durch Hörner charaktersirt werden mußte, ist unzulässig, weil vor
Michel Angelo weder Maler noch Bildhauer von Bedeutuug ihn damit versehen
haben dürften.

In den römischen Katakomben begegnet man sehr oft bildlichen Darstellungen
des Moses. Meist erblickt man ihn hier, wie er mit seinem Stäbe den Felsen
schlägt, dem reichlich Wasser entströmt, und zwar soll durch dieses Bild, welches
zeigt, wie auf Gottes Geheiß dem todten Gesteine lebendiges Wasser entlockt
wird, nach der Ansicht des Ambrosius die Auferstehung des todten Menschen¬
leibes zu neuem Leben symbolisirt werden. Im Grabgewölbe der heiligen
Agnese tritt uns Moses dabei in so klassischer Form entgegen, daß behauptet
wird, Naffael habe dies Bild gesehen, ehe er seine Moses-Gestalten im Vatikan
zu malen begann. Außerdem finden wir ihn in den Katakomben wiederholt
noch in drei weiteren Situationen seines Lebens. Bisweilen sehen wir ihn am
Dornbusche, wie er auf Gottes Zuruf des heiligen Bodens wegen seinen Schuh
auszieht — wohl eine Hindeutung darauf, daß auch das Grab ein heiliger
Boden sei; dann, wie er mit seinem Stäbe auf einige mit Manna gefüllte Körbe
hinweist; endlich, wie er am Sinai das Gesetz für sein Volk empfängt. Aber
auf keiner dieser Abbildungen ist er mit Hörnern oder auch nur mit einem
Heiligenscheine versehen. Auch eine plastische Darstellung, das Relief eines
alten Sarkophages, der 1592 beim Ausgraben der Fundamente der Peterskirche
gefunden worden, zeigt zu Anfang einer Reihe verschiedener menschlicher Figuren
Moses ohne Hörner und ohne Heiligenschein. Unter den Mosaiken der Kirche
zu S. Vitale in Ravenna, welche 547 unter Kaiser Justinian eingeweiht wurde,
ist Moses dargestellt, wie er das Gesetz aus Gottes Hand empfängt. Von Gott
ist nichts weiter sichtbar als das Symbol der Allmacht, eine von oben herab¬
gestreckte Hand. Moses nimmt das Gesetz mit verhüllten Händen entgegen,
weil das Heilige nur so berührt werden darf; das Geficht hält er abgewandt,
wohl weil er Gottes Antlitz nicht schauen darf. Gegen die biblische Erzählung
ist er übrigens als Jüngling aufgefaßt; der Künstler stand offenbar noch unter
dem Gesetze des antiken Idealismus, der dem Unvergänglichen das Gepräge der
Jugend gab. Aber auch dieser Moses trägt keine Hörner, sondern ist nur von
einer Aureole, einem Heiligenschein, umgeben. Mit keinem von beiden erscheint
er auf zwei alten Glasvasen-Fragmenten und einem alten Metall-Medaillon des
christlichen Museums im Vatikan, die in den römischen Grabgewölben gefunden
worden sind.

Aber auch in späteren Jahrhunderten, in denen, welche dem des Michel
Angelo unmittelbar vorangegangen, erscheint Moses in der bildenden Kunst


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/78>, abgerufen am 27.11.2024.