Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

Wurzel fassen sollte, daß er mit der rücksichtslosen despotischen Oktroyiruug
von Neuerungen, wie mit der Abstellung eingewurzelter Mißstände das Lebens-
interesse und das sittliche Gefühl von Tausenden auf's empfindlichste verletzte.
War es ein Wunder, daß der mächtige Adel und die orthodoxe Geistlichkeit
dem kecken Emporkömmling, dem bürgerlichen "Ministerdoktor", dem sittenlosen
Freigeiste, der ihre Privilegien und ihre Anschauungen mit nackter Gewaltsam¬
keit antastete, den grimmigsten Haß entgegentrngen? Aber kaum minder groß
wurde allmählich die Empörung auch in den anderen Schichten der Gesellschaft.
Die Beamten grollten, weil sie keinen Tag sicher waren, ihr Amt zu behalten,
die Offiziere, weil das Heer reduzirt werden sollte, die Bürger von Kopenhagen,
weil sie an Stelle ihrer gewohnten hauptstädtischen Verwaltung eine neue
erhalten hatten, die Arbeiter, weil sie durch Schließung der Staatsfabriken um
ihr Brod gekommen waren, endlich das Volk insgesammt, weil es seine nationale
dänische Sprache in allen offiziellen Erlassen verdrängt sah durch die deutsche.
Kurz: Bewegung, Empörung, Haß auf allen Seiten. Was Struensee Gutes
gewollt und gewirkt, war bald vergessen; man sah nur noch das Schlechte. Er
erschien als der Kerkermeister des armen kranken Königs, als der Verführer
der Königin. Da kam die Doppelkuude von der Geburt einer Prinzessin und
der Erhebung Struensee's zum Kabinetsminister, zum Grafen. Sie steigerte
den Haß auf's höchste, zerstörte den letzten Nimbus, entriß ihm die letzten Be¬
wunderer. Die sinnlosesten, bösartigsten Gerüchte wurden ausgesprengt und
gern geglaubt. Man sprach von Komplotten, die gegen das Leben des Königs
geschmiedet würden; man raunte sich zu. Struensee wolle die Königin heirathen
und sich zum Herrscher machen; man wollte wissen, er gehe damit um, den
Kronprinzen Friedrich, der unter seiner Oberleitung und nach seinen allerdings
sehr strengen pädagogischen Prinzipien erzogen wurde, aus dem Wege zu räumen.
Struensee ahnte, was ihm bevorstand; er fühlte den Boden unter den Füßen
schwanken. Aber niemand merkte ihm die Unruhe an, die ihn erfaßt hatte;
sein Stolz gebot ihm, gleichgiltig zu bleiben gegenüber der Gefahr und nicht
freiwillig seinen Posten, das große angefangene Werk der Umgestaltung Däne¬
mark's, aufzugeben.

Allein die Dinge wurden doch bald stärker als er und enthüllten seinen
zagenden Kleinmuth. Aufrührerische Matrosen, die in tumultuarischen Zuge im
September 1771 vor der damaligen Residenz des Hofes, dem Schlosse Hirsch
Holm, erschienen, wurden durch Geld zur Rückkehr nach Kopenhagen bewogen,
und als zu Weihnachten desselben Jahres die königliche Leibgarde, weil sie sich
in die befohlene Auflösung nicht fügen wollte, anfing, zu mentem, war Struensee
schwach genug, mit ihr zu unterhandeln und ihre Forderungen zu befriedigen.
Auch daß er durch Modifizirung der Preßfreiheit die zügellosen Angriffe der


Wurzel fassen sollte, daß er mit der rücksichtslosen despotischen Oktroyiruug
von Neuerungen, wie mit der Abstellung eingewurzelter Mißstände das Lebens-
interesse und das sittliche Gefühl von Tausenden auf's empfindlichste verletzte.
War es ein Wunder, daß der mächtige Adel und die orthodoxe Geistlichkeit
dem kecken Emporkömmling, dem bürgerlichen „Ministerdoktor", dem sittenlosen
Freigeiste, der ihre Privilegien und ihre Anschauungen mit nackter Gewaltsam¬
keit antastete, den grimmigsten Haß entgegentrngen? Aber kaum minder groß
wurde allmählich die Empörung auch in den anderen Schichten der Gesellschaft.
Die Beamten grollten, weil sie keinen Tag sicher waren, ihr Amt zu behalten,
die Offiziere, weil das Heer reduzirt werden sollte, die Bürger von Kopenhagen,
weil sie an Stelle ihrer gewohnten hauptstädtischen Verwaltung eine neue
erhalten hatten, die Arbeiter, weil sie durch Schließung der Staatsfabriken um
ihr Brod gekommen waren, endlich das Volk insgesammt, weil es seine nationale
dänische Sprache in allen offiziellen Erlassen verdrängt sah durch die deutsche.
Kurz: Bewegung, Empörung, Haß auf allen Seiten. Was Struensee Gutes
gewollt und gewirkt, war bald vergessen; man sah nur noch das Schlechte. Er
erschien als der Kerkermeister des armen kranken Königs, als der Verführer
der Königin. Da kam die Doppelkuude von der Geburt einer Prinzessin und
der Erhebung Struensee's zum Kabinetsminister, zum Grafen. Sie steigerte
den Haß auf's höchste, zerstörte den letzten Nimbus, entriß ihm die letzten Be¬
wunderer. Die sinnlosesten, bösartigsten Gerüchte wurden ausgesprengt und
gern geglaubt. Man sprach von Komplotten, die gegen das Leben des Königs
geschmiedet würden; man raunte sich zu. Struensee wolle die Königin heirathen
und sich zum Herrscher machen; man wollte wissen, er gehe damit um, den
Kronprinzen Friedrich, der unter seiner Oberleitung und nach seinen allerdings
sehr strengen pädagogischen Prinzipien erzogen wurde, aus dem Wege zu räumen.
Struensee ahnte, was ihm bevorstand; er fühlte den Boden unter den Füßen
schwanken. Aber niemand merkte ihm die Unruhe an, die ihn erfaßt hatte;
sein Stolz gebot ihm, gleichgiltig zu bleiben gegenüber der Gefahr und nicht
freiwillig seinen Posten, das große angefangene Werk der Umgestaltung Däne¬
mark's, aufzugeben.

Allein die Dinge wurden doch bald stärker als er und enthüllten seinen
zagenden Kleinmuth. Aufrührerische Matrosen, die in tumultuarischen Zuge im
September 1771 vor der damaligen Residenz des Hofes, dem Schlosse Hirsch
Holm, erschienen, wurden durch Geld zur Rückkehr nach Kopenhagen bewogen,
und als zu Weihnachten desselben Jahres die königliche Leibgarde, weil sie sich
in die befohlene Auflösung nicht fügen wollte, anfing, zu mentem, war Struensee
schwach genug, mit ihr zu unterhandeln und ihre Forderungen zu befriedigen.
Auch daß er durch Modifizirung der Preßfreiheit die zügellosen Angriffe der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0074" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/142571"/>
          <p xml:id="ID_203" prev="#ID_202"> Wurzel fassen sollte, daß er mit der rücksichtslosen despotischen Oktroyiruug<lb/>
von Neuerungen, wie mit der Abstellung eingewurzelter Mißstände das Lebens-<lb/>
interesse und das sittliche Gefühl von Tausenden auf's empfindlichste verletzte.<lb/>
War es ein Wunder, daß der mächtige Adel und die orthodoxe Geistlichkeit<lb/>
dem kecken Emporkömmling, dem bürgerlichen &#x201E;Ministerdoktor", dem sittenlosen<lb/>
Freigeiste, der ihre Privilegien und ihre Anschauungen mit nackter Gewaltsam¬<lb/>
keit antastete, den grimmigsten Haß entgegentrngen? Aber kaum minder groß<lb/>
wurde allmählich die Empörung auch in den anderen Schichten der Gesellschaft.<lb/>
Die Beamten grollten, weil sie keinen Tag sicher waren, ihr Amt zu behalten,<lb/>
die Offiziere, weil das Heer reduzirt werden sollte, die Bürger von Kopenhagen,<lb/>
weil sie an Stelle ihrer gewohnten hauptstädtischen Verwaltung eine neue<lb/>
erhalten hatten, die Arbeiter, weil sie durch Schließung der Staatsfabriken um<lb/>
ihr Brod gekommen waren, endlich das Volk insgesammt, weil es seine nationale<lb/>
dänische Sprache in allen offiziellen Erlassen verdrängt sah durch die deutsche.<lb/>
Kurz: Bewegung, Empörung, Haß auf allen Seiten. Was Struensee Gutes<lb/>
gewollt und gewirkt, war bald vergessen; man sah nur noch das Schlechte. Er<lb/>
erschien als der Kerkermeister des armen kranken Königs, als der Verführer<lb/>
der Königin. Da kam die Doppelkuude von der Geburt einer Prinzessin und<lb/>
der Erhebung Struensee's zum Kabinetsminister, zum Grafen. Sie steigerte<lb/>
den Haß auf's höchste, zerstörte den letzten Nimbus, entriß ihm die letzten Be¬<lb/>
wunderer. Die sinnlosesten, bösartigsten Gerüchte wurden ausgesprengt und<lb/>
gern geglaubt. Man sprach von Komplotten, die gegen das Leben des Königs<lb/>
geschmiedet würden; man raunte sich zu. Struensee wolle die Königin heirathen<lb/>
und sich zum Herrscher machen; man wollte wissen, er gehe damit um, den<lb/>
Kronprinzen Friedrich, der unter seiner Oberleitung und nach seinen allerdings<lb/>
sehr strengen pädagogischen Prinzipien erzogen wurde, aus dem Wege zu räumen.<lb/>
Struensee ahnte, was ihm bevorstand; er fühlte den Boden unter den Füßen<lb/>
schwanken. Aber niemand merkte ihm die Unruhe an, die ihn erfaßt hatte;<lb/>
sein Stolz gebot ihm, gleichgiltig zu bleiben gegenüber der Gefahr und nicht<lb/>
freiwillig seinen Posten, das große angefangene Werk der Umgestaltung Däne¬<lb/>
mark's, aufzugeben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_204" next="#ID_205"> Allein die Dinge wurden doch bald stärker als er und enthüllten seinen<lb/>
zagenden Kleinmuth. Aufrührerische Matrosen, die in tumultuarischen Zuge im<lb/>
September 1771 vor der damaligen Residenz des Hofes, dem Schlosse Hirsch<lb/>
Holm, erschienen, wurden durch Geld zur Rückkehr nach Kopenhagen bewogen,<lb/>
und als zu Weihnachten desselben Jahres die königliche Leibgarde, weil sie sich<lb/>
in die befohlene Auflösung nicht fügen wollte, anfing, zu mentem, war Struensee<lb/>
schwach genug, mit ihr zu unterhandeln und ihre Forderungen zu befriedigen.<lb/>
Auch daß er durch Modifizirung der Preßfreiheit die zügellosen Angriffe der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0074] Wurzel fassen sollte, daß er mit der rücksichtslosen despotischen Oktroyiruug von Neuerungen, wie mit der Abstellung eingewurzelter Mißstände das Lebens- interesse und das sittliche Gefühl von Tausenden auf's empfindlichste verletzte. War es ein Wunder, daß der mächtige Adel und die orthodoxe Geistlichkeit dem kecken Emporkömmling, dem bürgerlichen „Ministerdoktor", dem sittenlosen Freigeiste, der ihre Privilegien und ihre Anschauungen mit nackter Gewaltsam¬ keit antastete, den grimmigsten Haß entgegentrngen? Aber kaum minder groß wurde allmählich die Empörung auch in den anderen Schichten der Gesellschaft. Die Beamten grollten, weil sie keinen Tag sicher waren, ihr Amt zu behalten, die Offiziere, weil das Heer reduzirt werden sollte, die Bürger von Kopenhagen, weil sie an Stelle ihrer gewohnten hauptstädtischen Verwaltung eine neue erhalten hatten, die Arbeiter, weil sie durch Schließung der Staatsfabriken um ihr Brod gekommen waren, endlich das Volk insgesammt, weil es seine nationale dänische Sprache in allen offiziellen Erlassen verdrängt sah durch die deutsche. Kurz: Bewegung, Empörung, Haß auf allen Seiten. Was Struensee Gutes gewollt und gewirkt, war bald vergessen; man sah nur noch das Schlechte. Er erschien als der Kerkermeister des armen kranken Königs, als der Verführer der Königin. Da kam die Doppelkuude von der Geburt einer Prinzessin und der Erhebung Struensee's zum Kabinetsminister, zum Grafen. Sie steigerte den Haß auf's höchste, zerstörte den letzten Nimbus, entriß ihm die letzten Be¬ wunderer. Die sinnlosesten, bösartigsten Gerüchte wurden ausgesprengt und gern geglaubt. Man sprach von Komplotten, die gegen das Leben des Königs geschmiedet würden; man raunte sich zu. Struensee wolle die Königin heirathen und sich zum Herrscher machen; man wollte wissen, er gehe damit um, den Kronprinzen Friedrich, der unter seiner Oberleitung und nach seinen allerdings sehr strengen pädagogischen Prinzipien erzogen wurde, aus dem Wege zu räumen. Struensee ahnte, was ihm bevorstand; er fühlte den Boden unter den Füßen schwanken. Aber niemand merkte ihm die Unruhe an, die ihn erfaßt hatte; sein Stolz gebot ihm, gleichgiltig zu bleiben gegenüber der Gefahr und nicht freiwillig seinen Posten, das große angefangene Werk der Umgestaltung Däne¬ mark's, aufzugeben. Allein die Dinge wurden doch bald stärker als er und enthüllten seinen zagenden Kleinmuth. Aufrührerische Matrosen, die in tumultuarischen Zuge im September 1771 vor der damaligen Residenz des Hofes, dem Schlosse Hirsch Holm, erschienen, wurden durch Geld zur Rückkehr nach Kopenhagen bewogen, und als zu Weihnachten desselben Jahres die königliche Leibgarde, weil sie sich in die befohlene Auflösung nicht fügen wollte, anfing, zu mentem, war Struensee schwach genug, mit ihr zu unterhandeln und ihre Forderungen zu befriedigen. Auch daß er durch Modifizirung der Preßfreiheit die zügellosen Angriffe der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/74
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/74>, abgerufen am 27.11.2024.