Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.Struensee stand auf dem Gipfel seines Glückes und seiner Größe. Im So ganz auf sich selbst gestellt, aufs höchste überzeugt von der Ueber- Struensee stand auf dem Gipfel seines Glückes und seiner Größe. Im So ganz auf sich selbst gestellt, aufs höchste überzeugt von der Ueber- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0072" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/142569"/> <p xml:id="ID_199"> Struensee stand auf dem Gipfel seines Glückes und seiner Größe. Im<lb/> ganzen dänischen Reiche herrschte nur ein Wille, der seinige. Und er verstand<lb/> es, diesen Willen geltend zu machen. Wehe dem, der ihm widersprach oder sich<lb/> gar widersetzte! Regieren hieß bei ihm: befehlen und Gehorsam empfangen.<lb/> Seine Einsicht war unfehlbar. Es lag nicht in seiner Natur, sich von irgend<lb/> jemandem belehren zu lassen. Er besaß zwar das für einen Selbstherrscher un¬<lb/> entbehrliche Talent, die tüchtigsten Männer auszuwählen und zu seinem Dienste<lb/> heranzuziehen, allein sie alle mußten sich bescheiden, unbedingt seinen Anordnungen<lb/> zu folgen. Jeden Versuch, Einfluß auf ihn auszuüben, wehrte er mit Entschieden¬<lb/> heit ab. Davon wußten auch seine intimsten Freunde zu erzählen. Von Brandt<lb/> konnte allerdings auf politischem Gebiete nicht die Rede sein, da diesem alles<lb/> andere näher lag als Staatsgeschäfte. Allein auch Graf Rcmtzan sah sich in<lb/> seiner Erwartung, eine selbständige Stellung einzunehmen, sehr bald bitter getäuscht.<lb/> Struensee hatte sich gleich anfangs überzeugt, daß eine Kooperation mit diesem<lb/> leidenschaftlichen, zügellosen Manne unmöglich sei. Hätte ihn dieser doch mit<lb/> seiner wüthenden Rachgier, die er gegen Rußland empfand, beinahe in einen<lb/> Krieg mit der Großmacht des Ostens verwickelt. Seit dieser Zeit war Struensee<lb/> mit Recht auf seiner Hut, und ohne je die Absicht zu hegen, mit dem alten Freunde<lb/> zu brechen, suchte er doch seinen Einfluß soviel als möglich zu beschränken.</p><lb/> <p xml:id="ID_200" next="#ID_201"> So ganz auf sich selbst gestellt, aufs höchste überzeugt von der Ueber-<lb/> legenheit seines Geistes und der unwiderstehlichen Macht seines Willens, ohne<lb/> eine Partei im Lande für sich zu haben, ja auch ohne die Nothwendigkeit einer<lb/> solchen zu begreifen, stand Struensee, der Fremde, der Arzt, am Ruder des<lb/> dänischen Staates. Die Schwierigkeiten für ihn mußten unendlich sein, denn wie<lb/> unzureichend war zumal seiue praktische Vorbereitung für eine staatsmännische<lb/> Thätigkeit großen Stils! Und um eine solche handelte es sich. Nicht<lb/> gemächlich dahintrollen wollte Struensee in den ausgetretenen Gleisen der<lb/> bisherigen Staatskunst, sondern neue Bahnen einschlagen zu höheren Zielen.<lb/> Das ganze morsch gewordene Staatsgebäude sollte zerfallen, kein Stein mehr<lb/> auf dem andern bleiben und ein Neubau errichtet werden, gegründet auf den<lb/> leuchtenden Ideen der Aufklärung, des Fortschritts, der Toleranz und der Huma¬<lb/> nität, welche die edelsten Geister der Zeit bewegten. Das dänische Volk, so wenig<lb/> sympathisch es ihm war, sollte nach außen hin eine sichere und geachtete Stellung<lb/> im Kreise der Nationen einnehmen und in seinen inneren Verhältnissen aller<lb/> Segnungen theilhaftig werden, die fein nach Völkerbeglückung dürstendes Herz<lb/> nnr verleihen könne. Und die Nachwelt muß ihm das Zeugniß geben,<lb/> daß, wie er das Beste in unermüdlicher Thätigkeit erstrebt, so auch in der<lb/> kurzen Frist von kaum anderthalb Jahren, die ihm das Geschick zu regieren<lb/> verstattete, viel Unhaltbares und Unwürdiges beseitigt und nicht wenig</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0072]
Struensee stand auf dem Gipfel seines Glückes und seiner Größe. Im
ganzen dänischen Reiche herrschte nur ein Wille, der seinige. Und er verstand
es, diesen Willen geltend zu machen. Wehe dem, der ihm widersprach oder sich
gar widersetzte! Regieren hieß bei ihm: befehlen und Gehorsam empfangen.
Seine Einsicht war unfehlbar. Es lag nicht in seiner Natur, sich von irgend
jemandem belehren zu lassen. Er besaß zwar das für einen Selbstherrscher un¬
entbehrliche Talent, die tüchtigsten Männer auszuwählen und zu seinem Dienste
heranzuziehen, allein sie alle mußten sich bescheiden, unbedingt seinen Anordnungen
zu folgen. Jeden Versuch, Einfluß auf ihn auszuüben, wehrte er mit Entschieden¬
heit ab. Davon wußten auch seine intimsten Freunde zu erzählen. Von Brandt
konnte allerdings auf politischem Gebiete nicht die Rede sein, da diesem alles
andere näher lag als Staatsgeschäfte. Allein auch Graf Rcmtzan sah sich in
seiner Erwartung, eine selbständige Stellung einzunehmen, sehr bald bitter getäuscht.
Struensee hatte sich gleich anfangs überzeugt, daß eine Kooperation mit diesem
leidenschaftlichen, zügellosen Manne unmöglich sei. Hätte ihn dieser doch mit
seiner wüthenden Rachgier, die er gegen Rußland empfand, beinahe in einen
Krieg mit der Großmacht des Ostens verwickelt. Seit dieser Zeit war Struensee
mit Recht auf seiner Hut, und ohne je die Absicht zu hegen, mit dem alten Freunde
zu brechen, suchte er doch seinen Einfluß soviel als möglich zu beschränken.
So ganz auf sich selbst gestellt, aufs höchste überzeugt von der Ueber-
legenheit seines Geistes und der unwiderstehlichen Macht seines Willens, ohne
eine Partei im Lande für sich zu haben, ja auch ohne die Nothwendigkeit einer
solchen zu begreifen, stand Struensee, der Fremde, der Arzt, am Ruder des
dänischen Staates. Die Schwierigkeiten für ihn mußten unendlich sein, denn wie
unzureichend war zumal seiue praktische Vorbereitung für eine staatsmännische
Thätigkeit großen Stils! Und um eine solche handelte es sich. Nicht
gemächlich dahintrollen wollte Struensee in den ausgetretenen Gleisen der
bisherigen Staatskunst, sondern neue Bahnen einschlagen zu höheren Zielen.
Das ganze morsch gewordene Staatsgebäude sollte zerfallen, kein Stein mehr
auf dem andern bleiben und ein Neubau errichtet werden, gegründet auf den
leuchtenden Ideen der Aufklärung, des Fortschritts, der Toleranz und der Huma¬
nität, welche die edelsten Geister der Zeit bewegten. Das dänische Volk, so wenig
sympathisch es ihm war, sollte nach außen hin eine sichere und geachtete Stellung
im Kreise der Nationen einnehmen und in seinen inneren Verhältnissen aller
Segnungen theilhaftig werden, die fein nach Völkerbeglückung dürstendes Herz
nnr verleihen könne. Und die Nachwelt muß ihm das Zeugniß geben,
daß, wie er das Beste in unermüdlicher Thätigkeit erstrebt, so auch in der
kurzen Frist von kaum anderthalb Jahren, die ihm das Geschick zu regieren
verstattete, viel Unhaltbares und Unwürdiges beseitigt und nicht wenig
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