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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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ganzen drei Jahre seines Aufenthaltes in Altona lediglich auf Kosten seines
Freundes lebte. Allein immer erblickte er in diesem nur seine Kreatur, und
wenn wirklich, wie berichtet wird, sie einander das Wort gegeben haben, wenn
je einer von ihnen zu Macht und Einfluß gelangen sollte, daß er dann den
Andern an seine Seite berufen werde, so hat Rcmtzau sicherlich nicht daran
gedacht, im Fall er der Glückliche sein sollte, Struensee dann noch die Rolle
eines Freundes spielen zu lassen, sondern nur die seines Klienten und seines
Arztes. Allein nicht den Grafen, fondern den Bürgersohn traf das Loos. Im
Frühjahr 1768 erschien König Christian VII. von Dänemark in Holstein,
im Begriff, eine längere Reise in's Ausland, nach England und Frankreich, zu
unternehmen. Ein Arzt sollte ihn auf der Reise begleiten, und die Wahl fiel
auf Struensee. Für ihn verwandte sich der damalige allmächtige Günstling des
Königs, Gras Hotel, sür ihn wirkte aber auch indirekt mit allem Eifer Graf
Rantzau, der eben selbst bei dem Versuche, sich aufs neue eine einflußreiche
Stellung in Dünemark zu sichern, Schiffbruch gelitten hatte und nun seine
eigenen ehrgeizigen Pläne durch Struensee's Erhebung fördern zu können hoffte.
Am 6. Juni trat Struensee in das königliche Gefolge ein. Er stand damit auf
der untersten Sprosse der ersehnten Leiter; Rantzau durfte überzeugt sein, daß
er das weitere Emporklimmen von selbst besorgen werde.

Die Reise des Königs, die etwa ein halbes Jahr dauerte, führte nach Eng¬
land und Frankreich. Sie wurde für Struensee in mehrfacher Beziehung wichtig.
Er fand hier die mannigfachste Gelegenheit, seine Anschauungen und Kenntnisse
zu erweitern, interessante Bekanntschaften anzuknüpfen, vor allem aber dem jungen
neunzehnjährigen König, der feiner Fürsorge anvertraut war, näher zu treten,
sich ihm durch gute Rathschläge nützlich zu erweisen, ihn durch Vorlesen und
Gespräch zu unterhalten. Und wenn irgend einer, so bedürfte Christian VII.
der wachsamen Pflege eines intelligenten und energischen Arztes. Der beklagens¬
werte Monarch trug von Jugend auf den Keim einer geistigen Störung in sich,
die rasch sich entwickelnd schließlich zu völligem Wahnsinn sich gestaltete. Eine
total verkehrte, geradezu barbarische Erziehung, sowie der sittenverderbende Ein¬
fluß, den nichtswürdige Pagen und Kammerdiener ausübten, trugen das Ihrige
dazu bei, alle besseren Anlagen seiner Natur zu ersticken, dagegen seine zahlreichen
Schrullen und Fehler sorgsam großzuziehen. Als Christian siebzehnjährig den
Thron bestieg, bot er den widerwärtigen Anblick eines geistig und sittlich dege-
nerirten Menschen. Das Staatsgrundgesetz von 1665 legte die unumschränkteste
Herrschaft auf staatlichem und kirchlichem Gebiete in seine Hände: seinem trägen,
gedankenlosen Sinn waren die Geschäfte, von denen er allerdings nicht das
Geringste verstand, ein Greuel; er überließ sie seinen Ministern; was diese ihm
vorlegten, unterzeichnete er; was sie ihm diktirten, schrieb er mechanisch nach.


ganzen drei Jahre seines Aufenthaltes in Altona lediglich auf Kosten seines
Freundes lebte. Allein immer erblickte er in diesem nur seine Kreatur, und
wenn wirklich, wie berichtet wird, sie einander das Wort gegeben haben, wenn
je einer von ihnen zu Macht und Einfluß gelangen sollte, daß er dann den
Andern an seine Seite berufen werde, so hat Rcmtzau sicherlich nicht daran
gedacht, im Fall er der Glückliche sein sollte, Struensee dann noch die Rolle
eines Freundes spielen zu lassen, sondern nur die seines Klienten und seines
Arztes. Allein nicht den Grafen, fondern den Bürgersohn traf das Loos. Im
Frühjahr 1768 erschien König Christian VII. von Dänemark in Holstein,
im Begriff, eine längere Reise in's Ausland, nach England und Frankreich, zu
unternehmen. Ein Arzt sollte ihn auf der Reise begleiten, und die Wahl fiel
auf Struensee. Für ihn verwandte sich der damalige allmächtige Günstling des
Königs, Gras Hotel, sür ihn wirkte aber auch indirekt mit allem Eifer Graf
Rantzau, der eben selbst bei dem Versuche, sich aufs neue eine einflußreiche
Stellung in Dünemark zu sichern, Schiffbruch gelitten hatte und nun seine
eigenen ehrgeizigen Pläne durch Struensee's Erhebung fördern zu können hoffte.
Am 6. Juni trat Struensee in das königliche Gefolge ein. Er stand damit auf
der untersten Sprosse der ersehnten Leiter; Rantzau durfte überzeugt sein, daß
er das weitere Emporklimmen von selbst besorgen werde.

Die Reise des Königs, die etwa ein halbes Jahr dauerte, führte nach Eng¬
land und Frankreich. Sie wurde für Struensee in mehrfacher Beziehung wichtig.
Er fand hier die mannigfachste Gelegenheit, seine Anschauungen und Kenntnisse
zu erweitern, interessante Bekanntschaften anzuknüpfen, vor allem aber dem jungen
neunzehnjährigen König, der feiner Fürsorge anvertraut war, näher zu treten,
sich ihm durch gute Rathschläge nützlich zu erweisen, ihn durch Vorlesen und
Gespräch zu unterhalten. Und wenn irgend einer, so bedürfte Christian VII.
der wachsamen Pflege eines intelligenten und energischen Arztes. Der beklagens¬
werte Monarch trug von Jugend auf den Keim einer geistigen Störung in sich,
die rasch sich entwickelnd schließlich zu völligem Wahnsinn sich gestaltete. Eine
total verkehrte, geradezu barbarische Erziehung, sowie der sittenverderbende Ein¬
fluß, den nichtswürdige Pagen und Kammerdiener ausübten, trugen das Ihrige
dazu bei, alle besseren Anlagen seiner Natur zu ersticken, dagegen seine zahlreichen
Schrullen und Fehler sorgsam großzuziehen. Als Christian siebzehnjährig den
Thron bestieg, bot er den widerwärtigen Anblick eines geistig und sittlich dege-
nerirten Menschen. Das Staatsgrundgesetz von 1665 legte die unumschränkteste
Herrschaft auf staatlichem und kirchlichem Gebiete in seine Hände: seinem trägen,
gedankenlosen Sinn waren die Geschäfte, von denen er allerdings nicht das
Geringste verstand, ein Greuel; er überließ sie seinen Ministern; was diese ihm
vorlegten, unterzeichnete er; was sie ihm diktirten, schrieb er mechanisch nach.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/64>, abgerufen am 27.11.2024.