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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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in einem praktischen Eudiimonismus. Die Tugend erklärte er für die Begierde,
so zu handeln, daß man seinen Mitmenschen möglichst ausgebreiteten Nutzen
schaffe und dabei zugleich sein eigenes Glück befördere; auf die Motive des
Handelns komme es nicht an. Eigentlicher Endzweck des Lebens aber sei die
Sinnenlust, der man jedoch mit Klugheit und Vorsicht nachstreben müsse, damit
man sich und andere vor schädlichen Folgen bewahre. Die Enthaltsamkeit sei
lediglich eine Tugend des Vorurtheils; ganze Nationen Hütten bestanden, ohne
diese Tugend zu kennen oder auszuüben. Diese Sätze verrathen, wie man sieht,
keine besonders tiefe Weisheit, aber sie sind charakteristisch für den Mann und
feine Zeit. Und Struensee hat sein Programm treulich erfüllt: er hat mit
seiner überlegenen Einsicht, seiner rastlosen Thätigkeit, seinem entschlossenen
Muthe der menschlichen Gesellschaft nach Kräften zu nützen gesucht und dabei
den Becher des Lebensgenusses mit vollen Zügen ausgeschlürft. Dort trieb
ihn sein brennender Ehrgeiz, seine philanthropische Neigung, hier folgte er seinen
stark entwickelten epikureischen Trieben, vor allem seiner Lust an den Weibern.
Er eilte von einem galanten Abenteuer zum andern. Bekannte er doch selbst
später im Kerker, daß er ein gefährlicher Verführer gewesen, daß er auch gut¬
denkende Frauenzimmer überwunden, daß fast keine, an die er sich gewagt, im
Stande gewesen sei, ihm auf die Länge zu widerstehen. Noch bezeichnender aber
für ihn ist die Aeußerung, er habe einmal die Absicht gehabt, nach Malaga
oder Ostindien zu gehen, und zwar sei er dazu durch den Gedanken mitbe¬
stimmt worden, daß in einer wärmeren Gegend die Freuden der Wollust stärker
und reizender sein würden.

Es läßt sich denken, wie peinlich die Libertinage, die Religionslosigkeit des
Sohnes den sittenstrengen, ganz von seinem Gott erfüllten Vater berühren mußte.
In Mona, wohin dieser 1757 auf Veranlassung des frommen Ministers
Bernstorff von Halle mit seiner Familie übergesiedelt war, kam es zum förm¬
lichen Bruch. Die Wege der beiden einander so unähnlichen Menschen trennten
sich für immer. Nur durch die Zeitungen erfuhr der Vater, der seit 1760 in
Rendsburg als Generalsuperintendent von Holstein und Schleswig fungirte, von
der glänzenden Karriere seines Sohnes, die ihm freilich keine Freude, nur tiefen
Kummer bereitete. Erst als der entsetzliche Sturz aus der Höhe erfolgt war,
knüpften sich die Fäden wieder an, und tief ergreifend sind die letzten Briefe,
die zwischen dem Gefängniß und dem Elternhause hin und her gingen.

Struensee begann seine Laufbahn fehr bescheiden als Stadtphysikus von
Mona. Aber seine Praxis war anfangs nicht erheblich, auch seine Neigung
zum ärztlichen Berufe nicht gerade groß, und so warf er sich daneben auf
die Schriftstellers. Er gab eine populäre "Monatsschrift zum Nutzen und
Vergnügen" heraus, die indessen sehr bald wieder einging, und schrieb politische


in einem praktischen Eudiimonismus. Die Tugend erklärte er für die Begierde,
so zu handeln, daß man seinen Mitmenschen möglichst ausgebreiteten Nutzen
schaffe und dabei zugleich sein eigenes Glück befördere; auf die Motive des
Handelns komme es nicht an. Eigentlicher Endzweck des Lebens aber sei die
Sinnenlust, der man jedoch mit Klugheit und Vorsicht nachstreben müsse, damit
man sich und andere vor schädlichen Folgen bewahre. Die Enthaltsamkeit sei
lediglich eine Tugend des Vorurtheils; ganze Nationen Hütten bestanden, ohne
diese Tugend zu kennen oder auszuüben. Diese Sätze verrathen, wie man sieht,
keine besonders tiefe Weisheit, aber sie sind charakteristisch für den Mann und
feine Zeit. Und Struensee hat sein Programm treulich erfüllt: er hat mit
seiner überlegenen Einsicht, seiner rastlosen Thätigkeit, seinem entschlossenen
Muthe der menschlichen Gesellschaft nach Kräften zu nützen gesucht und dabei
den Becher des Lebensgenusses mit vollen Zügen ausgeschlürft. Dort trieb
ihn sein brennender Ehrgeiz, seine philanthropische Neigung, hier folgte er seinen
stark entwickelten epikureischen Trieben, vor allem seiner Lust an den Weibern.
Er eilte von einem galanten Abenteuer zum andern. Bekannte er doch selbst
später im Kerker, daß er ein gefährlicher Verführer gewesen, daß er auch gut¬
denkende Frauenzimmer überwunden, daß fast keine, an die er sich gewagt, im
Stande gewesen sei, ihm auf die Länge zu widerstehen. Noch bezeichnender aber
für ihn ist die Aeußerung, er habe einmal die Absicht gehabt, nach Malaga
oder Ostindien zu gehen, und zwar sei er dazu durch den Gedanken mitbe¬
stimmt worden, daß in einer wärmeren Gegend die Freuden der Wollust stärker
und reizender sein würden.

Es läßt sich denken, wie peinlich die Libertinage, die Religionslosigkeit des
Sohnes den sittenstrengen, ganz von seinem Gott erfüllten Vater berühren mußte.
In Mona, wohin dieser 1757 auf Veranlassung des frommen Ministers
Bernstorff von Halle mit seiner Familie übergesiedelt war, kam es zum förm¬
lichen Bruch. Die Wege der beiden einander so unähnlichen Menschen trennten
sich für immer. Nur durch die Zeitungen erfuhr der Vater, der seit 1760 in
Rendsburg als Generalsuperintendent von Holstein und Schleswig fungirte, von
der glänzenden Karriere seines Sohnes, die ihm freilich keine Freude, nur tiefen
Kummer bereitete. Erst als der entsetzliche Sturz aus der Höhe erfolgt war,
knüpften sich die Fäden wieder an, und tief ergreifend sind die letzten Briefe,
die zwischen dem Gefängniß und dem Elternhause hin und her gingen.

Struensee begann seine Laufbahn fehr bescheiden als Stadtphysikus von
Mona. Aber seine Praxis war anfangs nicht erheblich, auch seine Neigung
zum ärztlichen Berufe nicht gerade groß, und so warf er sich daneben auf
die Schriftstellers. Er gab eine populäre „Monatsschrift zum Nutzen und
Vergnügen" heraus, die indessen sehr bald wieder einging, und schrieb politische


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[0062] in einem praktischen Eudiimonismus. Die Tugend erklärte er für die Begierde, so zu handeln, daß man seinen Mitmenschen möglichst ausgebreiteten Nutzen schaffe und dabei zugleich sein eigenes Glück befördere; auf die Motive des Handelns komme es nicht an. Eigentlicher Endzweck des Lebens aber sei die Sinnenlust, der man jedoch mit Klugheit und Vorsicht nachstreben müsse, damit man sich und andere vor schädlichen Folgen bewahre. Die Enthaltsamkeit sei lediglich eine Tugend des Vorurtheils; ganze Nationen Hütten bestanden, ohne diese Tugend zu kennen oder auszuüben. Diese Sätze verrathen, wie man sieht, keine besonders tiefe Weisheit, aber sie sind charakteristisch für den Mann und feine Zeit. Und Struensee hat sein Programm treulich erfüllt: er hat mit seiner überlegenen Einsicht, seiner rastlosen Thätigkeit, seinem entschlossenen Muthe der menschlichen Gesellschaft nach Kräften zu nützen gesucht und dabei den Becher des Lebensgenusses mit vollen Zügen ausgeschlürft. Dort trieb ihn sein brennender Ehrgeiz, seine philanthropische Neigung, hier folgte er seinen stark entwickelten epikureischen Trieben, vor allem seiner Lust an den Weibern. Er eilte von einem galanten Abenteuer zum andern. Bekannte er doch selbst später im Kerker, daß er ein gefährlicher Verführer gewesen, daß er auch gut¬ denkende Frauenzimmer überwunden, daß fast keine, an die er sich gewagt, im Stande gewesen sei, ihm auf die Länge zu widerstehen. Noch bezeichnender aber für ihn ist die Aeußerung, er habe einmal die Absicht gehabt, nach Malaga oder Ostindien zu gehen, und zwar sei er dazu durch den Gedanken mitbe¬ stimmt worden, daß in einer wärmeren Gegend die Freuden der Wollust stärker und reizender sein würden. Es läßt sich denken, wie peinlich die Libertinage, die Religionslosigkeit des Sohnes den sittenstrengen, ganz von seinem Gott erfüllten Vater berühren mußte. In Mona, wohin dieser 1757 auf Veranlassung des frommen Ministers Bernstorff von Halle mit seiner Familie übergesiedelt war, kam es zum förm¬ lichen Bruch. Die Wege der beiden einander so unähnlichen Menschen trennten sich für immer. Nur durch die Zeitungen erfuhr der Vater, der seit 1760 in Rendsburg als Generalsuperintendent von Holstein und Schleswig fungirte, von der glänzenden Karriere seines Sohnes, die ihm freilich keine Freude, nur tiefen Kummer bereitete. Erst als der entsetzliche Sturz aus der Höhe erfolgt war, knüpften sich die Fäden wieder an, und tief ergreifend sind die letzten Briefe, die zwischen dem Gefängniß und dem Elternhause hin und her gingen. Struensee begann seine Laufbahn fehr bescheiden als Stadtphysikus von Mona. Aber seine Praxis war anfangs nicht erheblich, auch seine Neigung zum ärztlichen Berufe nicht gerade groß, und so warf er sich daneben auf die Schriftstellers. Er gab eine populäre „Monatsschrift zum Nutzen und Vergnügen" heraus, die indessen sehr bald wieder einging, und schrieb politische

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/62>, abgerufen am 27.11.2024.