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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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weitaus das Beste geboten wird, was bis jetzt über Struensee zu Tage geför¬
dert worden ist. Das ganze erreichbare, überaus weitschichtige Quellenmaterial,
zu dem Dänemark und Deutschland, Frankreich und England beigesteuert haben,
ist hier nach den strengen Grundsätzen historischer Kritik durchgearbeitet, und
auf diesen Fundamenten erhebt sich ein in scharfen Konturen gezeichnetes
Charakterbild des Helden, in welchem wir zum ersten Male mit Sicherheit die
echten Züge Struensee's erkennen dürfen. Eine leichte Aufgabe war es nicht,
die der Verfasser sich gestellt hatte. "Der Parteien Gunst und Haß" hat sich
seit hundert Jahren redlich bemüht, Verwirrung zu stiften und die Wahrheit
zu verdunkeln, und nur ein scharfer, vorurtheilsfreier Blick vermochte in jedem
Fall das Richtige oder doch das Wahrscheinlichste aus dem Gewirr streitender
Meinungen herauszufinden. Auch das war ein sehr erschwerendes Hinderniß,
daß die Benutzung gerade der wichtigsten Quelle, der Prozeßakten, sich nur zum
kleinen Theile ermöglichen ließ. Einiges aus diesem Aktenmaterial war aller¬
dings bereits bekannt. Die dänische Regierung hat nach dem Falle Struensee's
selbst einige Aktenstücke publizirt; die Kenntniß anderer verdanken wir den
französisch geschriebenen Memoiren des Dänen Falckenskiold und des Schweizers
Reverdil, sowie einem Geschichtswerke des Dänen Flamant, das Jenssen-Tusch
in seinem übrigens weit über Gebühr geschätzten und viel zu häufig benutzten
Buche "Die Verschwörung gegen die Königin Karoline Mathilde und die
Grafen Struensee und Brandt" meist in wörtlicher Uebertragung wiedergegeben
hat. Aber gerade die interessantesten Stücke werden bis auf den heutigen Tag
sorgfältig der Forschung entzogen, und es ist schon als ein besonders glücklicher
Umstand zu bezeichnen, daß es Wittich gestattet wurde, an einem der vier Orte,
an denen das gesammte Material deponirt ist, wenigstens Einsicht in die Ver¬
höre von Struensee und Brandt -- wenn auch ohne jede Mitwirkung der
Feder -- zu nehmen. Aber auch hiervon abgesehen, sind die bisher erschlossenen
Quellen bei aller Reichhaltigkeit doch nicht dazu angethan, jeder wißbegierigen
Frage Rede und Antwort zu stehen. Unter diesen Umständen hat der Verfasser
mit Recht darauf verzichtet, eine ausführliche Biographie oder gar ein Zeit¬
gemälde großen Stils zu entwerfen. Was er gibt, ist eine Art von "erwei¬
tertem Essay", der "in übersichtlicher historischer Entwickelung die Momente,
auf die es ankommt, zu einem eindrucksvoller Gesammtbilde vereinigen" soll,
und wir glauben, daß er gerade mit dieser Form den Wünschen zahlreicher
Leser entgegenkommen wird, denen in unserer schnelllebigen Zeit ^e/" LtM^
5^/" x"xov ist. An diesen Essay schließen sich dann siebzehn Exkurse, in
denen theils die wichtigeren Streitpunkte -- wir heben besonders die Bespre¬
chung des Verhältnisses Struensee's zur Königin Karoline Mathilde hervor --
einer sorgfältigen Erörterung unterworfen werden, theils das im Texte nur


weitaus das Beste geboten wird, was bis jetzt über Struensee zu Tage geför¬
dert worden ist. Das ganze erreichbare, überaus weitschichtige Quellenmaterial,
zu dem Dänemark und Deutschland, Frankreich und England beigesteuert haben,
ist hier nach den strengen Grundsätzen historischer Kritik durchgearbeitet, und
auf diesen Fundamenten erhebt sich ein in scharfen Konturen gezeichnetes
Charakterbild des Helden, in welchem wir zum ersten Male mit Sicherheit die
echten Züge Struensee's erkennen dürfen. Eine leichte Aufgabe war es nicht,
die der Verfasser sich gestellt hatte. „Der Parteien Gunst und Haß" hat sich
seit hundert Jahren redlich bemüht, Verwirrung zu stiften und die Wahrheit
zu verdunkeln, und nur ein scharfer, vorurtheilsfreier Blick vermochte in jedem
Fall das Richtige oder doch das Wahrscheinlichste aus dem Gewirr streitender
Meinungen herauszufinden. Auch das war ein sehr erschwerendes Hinderniß,
daß die Benutzung gerade der wichtigsten Quelle, der Prozeßakten, sich nur zum
kleinen Theile ermöglichen ließ. Einiges aus diesem Aktenmaterial war aller¬
dings bereits bekannt. Die dänische Regierung hat nach dem Falle Struensee's
selbst einige Aktenstücke publizirt; die Kenntniß anderer verdanken wir den
französisch geschriebenen Memoiren des Dänen Falckenskiold und des Schweizers
Reverdil, sowie einem Geschichtswerke des Dänen Flamant, das Jenssen-Tusch
in seinem übrigens weit über Gebühr geschätzten und viel zu häufig benutzten
Buche „Die Verschwörung gegen die Königin Karoline Mathilde und die
Grafen Struensee und Brandt" meist in wörtlicher Uebertragung wiedergegeben
hat. Aber gerade die interessantesten Stücke werden bis auf den heutigen Tag
sorgfältig der Forschung entzogen, und es ist schon als ein besonders glücklicher
Umstand zu bezeichnen, daß es Wittich gestattet wurde, an einem der vier Orte,
an denen das gesammte Material deponirt ist, wenigstens Einsicht in die Ver¬
höre von Struensee und Brandt — wenn auch ohne jede Mitwirkung der
Feder — zu nehmen. Aber auch hiervon abgesehen, sind die bisher erschlossenen
Quellen bei aller Reichhaltigkeit doch nicht dazu angethan, jeder wißbegierigen
Frage Rede und Antwort zu stehen. Unter diesen Umständen hat der Verfasser
mit Recht darauf verzichtet, eine ausführliche Biographie oder gar ein Zeit¬
gemälde großen Stils zu entwerfen. Was er gibt, ist eine Art von „erwei¬
tertem Essay", der „in übersichtlicher historischer Entwickelung die Momente,
auf die es ankommt, zu einem eindrucksvoller Gesammtbilde vereinigen" soll,
und wir glauben, daß er gerade mit dieser Form den Wünschen zahlreicher
Leser entgegenkommen wird, denen in unserer schnelllebigen Zeit ^e/« LtM^
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denen theils die wichtigeren Streitpunkte — wir heben besonders die Bespre¬
chung des Verhältnisses Struensee's zur Königin Karoline Mathilde hervor —
einer sorgfältigen Erörterung unterworfen werden, theils das im Texte nur


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/60>, abgerufen am 27.11.2024.