Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
politische Briefe.
19. Das Schreiben des Staatsministers Dr. Falk.

Unter dem 2. September hat Dr. Falk an die Redaktion einer Monats¬
schrift, die ihn zur Mitarbeiterschaft aufforderte, ein Schreiben gerichtet, worin
der vor kurzem aus dem Staatsdienst geschiedene Minister sich über die Lage
seines ehemaligen Ministeriums ausspricht.

Der Schritt hat etwas Auffallendes, ganz abgesehen von dem Inhalt des
Schreibens. Scheidet ein Staatsmann aus dem Ministerium wegen Meinungs¬
verschiedenheiten mit einer Regierung, der er bisher angehörte, so ist unseres
Trachtens, wenn nicht etwa völliges Schweigen geboten ist, der loyalste Weg
zur Auseinandersetzung, einige Worte der Erklärung an das Parlament zu
richten, sobald dasselbe versammelt ist. Wenn der Minister aber, wie das ja
bei uns vorkommen kann, nicht Mitglied des Reichstags oder des Landtags
ist, so muß er allerdings einen andern Weg der Öffentlichkeit suchen, wenn er
zu sprechen hat. In so beengter Lage war Dr. Falk nicht. Sein Scheiden
erfolgte bei versammeltem Reichstag, zu dem er allerdings als preußischer Minister
nicht sprechen konnte. Aber in wenigen Wochen tritt der Landtag zusammen,
für welchen Dr. Falk unzweifelhaft einen Abgeordnetensitz erhält. War es nicht
leicht, bis dahin zu warten? Man sagt jedoch: Das Abgeordnetenhaus wird
neu gewählt, und der Brief des Dr. Falk ist ein Wahlbrief, ist bestimmt, den
Wählern eine Anleitung zu geben. Betrachten wir ihn so.

Dr. Falk fordert in seinem Schreiben die Wähler auf, ihre Stimmen
Liberalen zu geben, weil er "wegen des Unterrichtswesens wirklich Sorge trägt".
"Ueber den Geist, in welchem das Unterrichtswesen geleitet wird, entscheidet
stets die Verwaltung." Dr. Falk ist besorgt, "daß die gegenwärtige Verwaltung
den an sie gerichteten Anforderungen in ganz anderer Weise entgegenkommt als
er, Dr. Falk, das für statthaft gehalten."

Ist denn aber das Abgeordnetenhaus berufen, den Geist der Verwaltung
zu lenken? Unmittelbar eingreifen in die Verwaltung darf es nach allen
staatsrechtlichen Begriffen, selbst denen der parlamentarisch regierten Länder,
nicht. Will also or. Falk die Abgeordneten auffordern, seinen Nachfolger, den
Minister v. Puttkamer, zu stürzen? Will er die Wähler auffordern, Abgeordnete
zu erkiesen, die angethan sind, einen solchen Sturz zu versuchen?

Es wäre das eine Absicht, die, wir müssen es gestehen, einem Mitgliede
der freikonservativen Partei, für das man Herrn Dr. Falk bisher gehalten,


politische Briefe.
19. Das Schreiben des Staatsministers Dr. Falk.

Unter dem 2. September hat Dr. Falk an die Redaktion einer Monats¬
schrift, die ihn zur Mitarbeiterschaft aufforderte, ein Schreiben gerichtet, worin
der vor kurzem aus dem Staatsdienst geschiedene Minister sich über die Lage
seines ehemaligen Ministeriums ausspricht.

Der Schritt hat etwas Auffallendes, ganz abgesehen von dem Inhalt des
Schreibens. Scheidet ein Staatsmann aus dem Ministerium wegen Meinungs¬
verschiedenheiten mit einer Regierung, der er bisher angehörte, so ist unseres
Trachtens, wenn nicht etwa völliges Schweigen geboten ist, der loyalste Weg
zur Auseinandersetzung, einige Worte der Erklärung an das Parlament zu
richten, sobald dasselbe versammelt ist. Wenn der Minister aber, wie das ja
bei uns vorkommen kann, nicht Mitglied des Reichstags oder des Landtags
ist, so muß er allerdings einen andern Weg der Öffentlichkeit suchen, wenn er
zu sprechen hat. In so beengter Lage war Dr. Falk nicht. Sein Scheiden
erfolgte bei versammeltem Reichstag, zu dem er allerdings als preußischer Minister
nicht sprechen konnte. Aber in wenigen Wochen tritt der Landtag zusammen,
für welchen Dr. Falk unzweifelhaft einen Abgeordnetensitz erhält. War es nicht
leicht, bis dahin zu warten? Man sagt jedoch: Das Abgeordnetenhaus wird
neu gewählt, und der Brief des Dr. Falk ist ein Wahlbrief, ist bestimmt, den
Wählern eine Anleitung zu geben. Betrachten wir ihn so.

Dr. Falk fordert in seinem Schreiben die Wähler auf, ihre Stimmen
Liberalen zu geben, weil er „wegen des Unterrichtswesens wirklich Sorge trägt".
„Ueber den Geist, in welchem das Unterrichtswesen geleitet wird, entscheidet
stets die Verwaltung." Dr. Falk ist besorgt, „daß die gegenwärtige Verwaltung
den an sie gerichteten Anforderungen in ganz anderer Weise entgegenkommt als
er, Dr. Falk, das für statthaft gehalten."

Ist denn aber das Abgeordnetenhaus berufen, den Geist der Verwaltung
zu lenken? Unmittelbar eingreifen in die Verwaltung darf es nach allen
staatsrechtlichen Begriffen, selbst denen der parlamentarisch regierten Länder,
nicht. Will also or. Falk die Abgeordneten auffordern, seinen Nachfolger, den
Minister v. Puttkamer, zu stürzen? Will er die Wähler auffordern, Abgeordnete
zu erkiesen, die angethan sind, einen solchen Sturz zu versuchen?

Es wäre das eine Absicht, die, wir müssen es gestehen, einem Mitgliede
der freikonservativen Partei, für das man Herrn Dr. Falk bisher gehalten,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0553" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/143050"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> politische Briefe.<lb/>
19. Das Schreiben des Staatsministers Dr. Falk.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1650"> Unter dem 2. September hat Dr. Falk an die Redaktion einer Monats¬<lb/>
schrift, die ihn zur Mitarbeiterschaft aufforderte, ein Schreiben gerichtet, worin<lb/>
der vor kurzem aus dem Staatsdienst geschiedene Minister sich über die Lage<lb/>
seines ehemaligen Ministeriums ausspricht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1651"> Der Schritt hat etwas Auffallendes, ganz abgesehen von dem Inhalt des<lb/>
Schreibens. Scheidet ein Staatsmann aus dem Ministerium wegen Meinungs¬<lb/>
verschiedenheiten mit einer Regierung, der er bisher angehörte, so ist unseres<lb/>
Trachtens, wenn nicht etwa völliges Schweigen geboten ist, der loyalste Weg<lb/>
zur Auseinandersetzung, einige Worte der Erklärung an das Parlament zu<lb/>
richten, sobald dasselbe versammelt ist. Wenn der Minister aber, wie das ja<lb/>
bei uns vorkommen kann, nicht Mitglied des Reichstags oder des Landtags<lb/>
ist, so muß er allerdings einen andern Weg der Öffentlichkeit suchen, wenn er<lb/>
zu sprechen hat. In so beengter Lage war Dr. Falk nicht. Sein Scheiden<lb/>
erfolgte bei versammeltem Reichstag, zu dem er allerdings als preußischer Minister<lb/>
nicht sprechen konnte. Aber in wenigen Wochen tritt der Landtag zusammen,<lb/>
für welchen Dr. Falk unzweifelhaft einen Abgeordnetensitz erhält. War es nicht<lb/>
leicht, bis dahin zu warten? Man sagt jedoch: Das Abgeordnetenhaus wird<lb/>
neu gewählt, und der Brief des Dr. Falk ist ein Wahlbrief, ist bestimmt, den<lb/>
Wählern eine Anleitung zu geben. Betrachten wir ihn so.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1652"> Dr. Falk fordert in seinem Schreiben die Wähler auf, ihre Stimmen<lb/>
Liberalen zu geben, weil er &#x201E;wegen des Unterrichtswesens wirklich Sorge trägt".<lb/>
&#x201E;Ueber den Geist, in welchem das Unterrichtswesen geleitet wird, entscheidet<lb/>
stets die Verwaltung." Dr. Falk ist besorgt, &#x201E;daß die gegenwärtige Verwaltung<lb/>
den an sie gerichteten Anforderungen in ganz anderer Weise entgegenkommt als<lb/>
er, Dr. Falk, das für statthaft gehalten."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1653"> Ist denn aber das Abgeordnetenhaus berufen, den Geist der Verwaltung<lb/>
zu lenken? Unmittelbar eingreifen in die Verwaltung darf es nach allen<lb/>
staatsrechtlichen Begriffen, selbst denen der parlamentarisch regierten Länder,<lb/>
nicht. Will also or. Falk die Abgeordneten auffordern, seinen Nachfolger, den<lb/>
Minister v. Puttkamer, zu stürzen? Will er die Wähler auffordern, Abgeordnete<lb/>
zu erkiesen, die angethan sind, einen solchen Sturz zu versuchen?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1654" next="#ID_1655"> Es wäre das eine Absicht, die, wir müssen es gestehen, einem Mitgliede<lb/>
der freikonservativen Partei, für das man Herrn Dr. Falk bisher gehalten,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0553] politische Briefe. 19. Das Schreiben des Staatsministers Dr. Falk. Unter dem 2. September hat Dr. Falk an die Redaktion einer Monats¬ schrift, die ihn zur Mitarbeiterschaft aufforderte, ein Schreiben gerichtet, worin der vor kurzem aus dem Staatsdienst geschiedene Minister sich über die Lage seines ehemaligen Ministeriums ausspricht. Der Schritt hat etwas Auffallendes, ganz abgesehen von dem Inhalt des Schreibens. Scheidet ein Staatsmann aus dem Ministerium wegen Meinungs¬ verschiedenheiten mit einer Regierung, der er bisher angehörte, so ist unseres Trachtens, wenn nicht etwa völliges Schweigen geboten ist, der loyalste Weg zur Auseinandersetzung, einige Worte der Erklärung an das Parlament zu richten, sobald dasselbe versammelt ist. Wenn der Minister aber, wie das ja bei uns vorkommen kann, nicht Mitglied des Reichstags oder des Landtags ist, so muß er allerdings einen andern Weg der Öffentlichkeit suchen, wenn er zu sprechen hat. In so beengter Lage war Dr. Falk nicht. Sein Scheiden erfolgte bei versammeltem Reichstag, zu dem er allerdings als preußischer Minister nicht sprechen konnte. Aber in wenigen Wochen tritt der Landtag zusammen, für welchen Dr. Falk unzweifelhaft einen Abgeordnetensitz erhält. War es nicht leicht, bis dahin zu warten? Man sagt jedoch: Das Abgeordnetenhaus wird neu gewählt, und der Brief des Dr. Falk ist ein Wahlbrief, ist bestimmt, den Wählern eine Anleitung zu geben. Betrachten wir ihn so. Dr. Falk fordert in seinem Schreiben die Wähler auf, ihre Stimmen Liberalen zu geben, weil er „wegen des Unterrichtswesens wirklich Sorge trägt". „Ueber den Geist, in welchem das Unterrichtswesen geleitet wird, entscheidet stets die Verwaltung." Dr. Falk ist besorgt, „daß die gegenwärtige Verwaltung den an sie gerichteten Anforderungen in ganz anderer Weise entgegenkommt als er, Dr. Falk, das für statthaft gehalten." Ist denn aber das Abgeordnetenhaus berufen, den Geist der Verwaltung zu lenken? Unmittelbar eingreifen in die Verwaltung darf es nach allen staatsrechtlichen Begriffen, selbst denen der parlamentarisch regierten Länder, nicht. Will also or. Falk die Abgeordneten auffordern, seinen Nachfolger, den Minister v. Puttkamer, zu stürzen? Will er die Wähler auffordern, Abgeordnete zu erkiesen, die angethan sind, einen solchen Sturz zu versuchen? Es wäre das eine Absicht, die, wir müssen es gestehen, einem Mitgliede der freikonservativen Partei, für das man Herrn Dr. Falk bisher gehalten,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/553
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/553>, abgerufen am 27.11.2024.