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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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Luft, Waldes- und Wiesengrün und ländlicher Stille, dann rege Beschäftigung
mit der von ihm, wie bemerkt, warm geliebten Landwirthschaft, endlich Genuß
der Natur, zu der ihn gleichfalls zu allen Zeiten innige Neigung hingezogen
hat. Er trägt hier nicht, wie in Berlin fast ausnahmslos, die Jnterimsuniform
der gelben Kürassiere, sondern im Hause einen schwarzen Anzug und -- so
wenigstens im Herbst 1877 -- ein weiches, weißes Halstuch mit blaßrothen
und blauen Blümchen, beim Ausgehen oder Ausreiter aber eine dicke graue
Joppe und einen breitrandigen Schlapphut mit hohem Kopftheile. Wie mau
weiß, litt er seit Jahren an Schlaflosigkeit. Durch die Gasteiner Kur im,
Sommer des letztgenannten Jahres hatte es sich wie mit Anderem so auch
damit wesentlich gebessert. In Folge dessen stand der Kanzler früher als sonst
auf, um schon nach neun Uhr einen Spaziergang zu machen, wobei ihn ein
gelinder Regen nicht anzufechten schien. Dann begleiteten ihn der erwähnte
schwere Knotenstock und seine Ulmer Doggen Sutti und Flörchen, von denen
ihm jener vom Oberstallmeister des Königs von Baiern, Graf Holnstein, zum
Geschenk gemacht worden war. Nicht lange nach meiner Anwesenheit in Varziu
las man in den Zeitungen, daß ein schlechter Kerl, der unentdeckt geblieben,
ihm den Hund, welchem der Fürst sehr zugethan war, zu Schanden geschlagen,
sodaß er bald darauf verendet war. Indeß ist er ihm seitdem dnrch einen
ganz ähnlichen, nur weniger gutmüthigen oder, wenn man will, argwöhnischeren
ersetzt worden, der manchem unsrer Reichstagsabgeordneten als Mitgast bei den
parlamentarischen Sonnabends-Routs im Palais auf der Wilhelmsstraße begegnet
sein wird.

Die Tagesordnung im Varziner Herrenhause ist etwa folgende. Zwischen
zehn und elf Uhr setzt sich der Kanzler mit der Familie und den etwaigen
Gästen des Hauses zu einem Frühstück nach englischer Art, bei dem ich ihn
selbst aber nur Milch und dann eine oder zwei Tassen schwarzen Kaffee trinken
sowie etwas geröstetes Weißbrod nebst zwei weichgekochten Eiern essen sah. Dabei
legt man ihm die von der Post und dem Telegraphenamt gekommenen Eingänge
vor, über deren Erledigung er sofort die nothwendigen Weisungen ertheilt.
Kurz vor oder nach diesem Lunch werden mit den Pächtern, Bauern oder
Förstern der Herrschaft sowie mit Handwerksleuten Privatgeschäfte besprochen.
Zwischen ein und zwei Uhr folgt hierauf ein Ritt oder eine Ausfahrt im offnen
Wagen, oft weit hinaus ins Gelände, bisweilen, weil ein Neubau oder eine
junge Schonung oder der Fortschritt einer Feldarbeit zu besichtigen ist, oder
weil der Fürst einem Fischzug in einem der Waldteiche seiner Güter beiwohnen
oder den Holzpapiermühlen einen Besuch abstatten will, häufig auch nur der
Bewegung und Erfrischung im Freien halber. Besuche bei Nachbarn oder von


Luft, Waldes- und Wiesengrün und ländlicher Stille, dann rege Beschäftigung
mit der von ihm, wie bemerkt, warm geliebten Landwirthschaft, endlich Genuß
der Natur, zu der ihn gleichfalls zu allen Zeiten innige Neigung hingezogen
hat. Er trägt hier nicht, wie in Berlin fast ausnahmslos, die Jnterimsuniform
der gelben Kürassiere, sondern im Hause einen schwarzen Anzug und — so
wenigstens im Herbst 1877 — ein weiches, weißes Halstuch mit blaßrothen
und blauen Blümchen, beim Ausgehen oder Ausreiter aber eine dicke graue
Joppe und einen breitrandigen Schlapphut mit hohem Kopftheile. Wie mau
weiß, litt er seit Jahren an Schlaflosigkeit. Durch die Gasteiner Kur im,
Sommer des letztgenannten Jahres hatte es sich wie mit Anderem so auch
damit wesentlich gebessert. In Folge dessen stand der Kanzler früher als sonst
auf, um schon nach neun Uhr einen Spaziergang zu machen, wobei ihn ein
gelinder Regen nicht anzufechten schien. Dann begleiteten ihn der erwähnte
schwere Knotenstock und seine Ulmer Doggen Sutti und Flörchen, von denen
ihm jener vom Oberstallmeister des Königs von Baiern, Graf Holnstein, zum
Geschenk gemacht worden war. Nicht lange nach meiner Anwesenheit in Varziu
las man in den Zeitungen, daß ein schlechter Kerl, der unentdeckt geblieben,
ihm den Hund, welchem der Fürst sehr zugethan war, zu Schanden geschlagen,
sodaß er bald darauf verendet war. Indeß ist er ihm seitdem dnrch einen
ganz ähnlichen, nur weniger gutmüthigen oder, wenn man will, argwöhnischeren
ersetzt worden, der manchem unsrer Reichstagsabgeordneten als Mitgast bei den
parlamentarischen Sonnabends-Routs im Palais auf der Wilhelmsstraße begegnet
sein wird.

Die Tagesordnung im Varziner Herrenhause ist etwa folgende. Zwischen
zehn und elf Uhr setzt sich der Kanzler mit der Familie und den etwaigen
Gästen des Hauses zu einem Frühstück nach englischer Art, bei dem ich ihn
selbst aber nur Milch und dann eine oder zwei Tassen schwarzen Kaffee trinken
sowie etwas geröstetes Weißbrod nebst zwei weichgekochten Eiern essen sah. Dabei
legt man ihm die von der Post und dem Telegraphenamt gekommenen Eingänge
vor, über deren Erledigung er sofort die nothwendigen Weisungen ertheilt.
Kurz vor oder nach diesem Lunch werden mit den Pächtern, Bauern oder
Förstern der Herrschaft sowie mit Handwerksleuten Privatgeschäfte besprochen.
Zwischen ein und zwei Uhr folgt hierauf ein Ritt oder eine Ausfahrt im offnen
Wagen, oft weit hinaus ins Gelände, bisweilen, weil ein Neubau oder eine
junge Schonung oder der Fortschritt einer Feldarbeit zu besichtigen ist, oder
weil der Fürst einem Fischzug in einem der Waldteiche seiner Güter beiwohnen
oder den Holzpapiermühlen einen Besuch abstatten will, häufig auch nur der
Bewegung und Erfrischung im Freien halber. Besuche bei Nachbarn oder von


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[0541] Luft, Waldes- und Wiesengrün und ländlicher Stille, dann rege Beschäftigung mit der von ihm, wie bemerkt, warm geliebten Landwirthschaft, endlich Genuß der Natur, zu der ihn gleichfalls zu allen Zeiten innige Neigung hingezogen hat. Er trägt hier nicht, wie in Berlin fast ausnahmslos, die Jnterimsuniform der gelben Kürassiere, sondern im Hause einen schwarzen Anzug und — so wenigstens im Herbst 1877 — ein weiches, weißes Halstuch mit blaßrothen und blauen Blümchen, beim Ausgehen oder Ausreiter aber eine dicke graue Joppe und einen breitrandigen Schlapphut mit hohem Kopftheile. Wie mau weiß, litt er seit Jahren an Schlaflosigkeit. Durch die Gasteiner Kur im, Sommer des letztgenannten Jahres hatte es sich wie mit Anderem so auch damit wesentlich gebessert. In Folge dessen stand der Kanzler früher als sonst auf, um schon nach neun Uhr einen Spaziergang zu machen, wobei ihn ein gelinder Regen nicht anzufechten schien. Dann begleiteten ihn der erwähnte schwere Knotenstock und seine Ulmer Doggen Sutti und Flörchen, von denen ihm jener vom Oberstallmeister des Königs von Baiern, Graf Holnstein, zum Geschenk gemacht worden war. Nicht lange nach meiner Anwesenheit in Varziu las man in den Zeitungen, daß ein schlechter Kerl, der unentdeckt geblieben, ihm den Hund, welchem der Fürst sehr zugethan war, zu Schanden geschlagen, sodaß er bald darauf verendet war. Indeß ist er ihm seitdem dnrch einen ganz ähnlichen, nur weniger gutmüthigen oder, wenn man will, argwöhnischeren ersetzt worden, der manchem unsrer Reichstagsabgeordneten als Mitgast bei den parlamentarischen Sonnabends-Routs im Palais auf der Wilhelmsstraße begegnet sein wird. Die Tagesordnung im Varziner Herrenhause ist etwa folgende. Zwischen zehn und elf Uhr setzt sich der Kanzler mit der Familie und den etwaigen Gästen des Hauses zu einem Frühstück nach englischer Art, bei dem ich ihn selbst aber nur Milch und dann eine oder zwei Tassen schwarzen Kaffee trinken sowie etwas geröstetes Weißbrod nebst zwei weichgekochten Eiern essen sah. Dabei legt man ihm die von der Post und dem Telegraphenamt gekommenen Eingänge vor, über deren Erledigung er sofort die nothwendigen Weisungen ertheilt. Kurz vor oder nach diesem Lunch werden mit den Pächtern, Bauern oder Förstern der Herrschaft sowie mit Handwerksleuten Privatgeschäfte besprochen. Zwischen ein und zwei Uhr folgt hierauf ein Ritt oder eine Ausfahrt im offnen Wagen, oft weit hinaus ins Gelände, bisweilen, weil ein Neubau oder eine junge Schonung oder der Fortschritt einer Feldarbeit zu besichtigen ist, oder weil der Fürst einem Fischzug in einem der Waldteiche seiner Güter beiwohnen oder den Holzpapiermühlen einen Besuch abstatten will, häufig auch nur der Bewegung und Erfrischung im Freien halber. Besuche bei Nachbarn oder von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/541>, abgerufen am 27.11.2024.