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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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Einen Tag vor Nachtigal brach Fräulein Tiune von Mursuk auf, um --
nie wieder zu kommen; Nachtigal selbst verließ, begleitet von Giuseppe Valpreda,
Mohammed und zwei Schwarzen, Ali und Saat, sowie dem Tubu-Edlen, am
6. Juni die Stadt zu der für den Antritt einer Reise ungewöhnlichen Stunde,
um 1 Uhr Mittags, in Folge dessen er nicht nur auf das Geleit seiner zahl¬
reichen Freunde, die um diese Stunde der Ruhe pflegten, sondern auch auf die
feierlichen Segenswünsche verzichten mußte, welche die Zurückbleibenden wie
die Abreisenden in einmüthiger Stimmung im FMHa beten. "Es ist ein
feierlicher Anblick," sagt Nachtigal, "wenn alle Anwesenden aufrecht stehend und
die Innenfläche der halberhobener Hände nach oben gerichtet, das schöne Ein¬
gangsgebet des Koran murmeln, mit der Rechten über Gesicht und Bart streichen
und mit einfachem Händedruck oder arabischer Umarmung in ernstem Schweigen
auseinander gehen."

Die Reisenden bewegten sich anfangs auf dem Wege nach Bornu vor¬
wärts und machten in Kawm, dem Heimatsorte des alten Mohammed, einen
längeren Halt. Vor der Ankunft daselbst wurde die kleine Karawane durch
ein vorausgesendetes Gastgeschenk, bestehend aus Gerstenbrei, Weizenbrod und
einigen Hühnern, von Hadsch DsckMer bewillkommnet. Es war dies ein kräf¬
tiger, ziemlich hellfarbiger Mann, dem man seine 80 und einige Jahre (er er¬
wies schon dem Kapitän Lyon im Jahre 1819 Gastfreundschaft) nicht ansah,
und herrschte mit unbestrittener autdokratischer Gewalt über den Distrikt, dessen
Verwaltung ihm anvertraut war.

Schon in den nächsten Tagen aber machte sich die Glühhitze des Sahara-
Sommers drückend fühlbar; gegen 2 Uhr Mittags wurden 49" v. im Schatten
beobachtet. Kein Wunder, daß die Beinwunden, welche sich Nachtigal bei der
mehrtägigen Fußwanderung geholt hatte, nicht heilen wollten und ihn neben
andern Ursachen zu einem fünftägigen Aufenthalt in Katrün veranlaßten. In¬
zwischen gelang es durch die Bemühungen des Hadsch DsckMer, noch einen
weiteren tibestikundigen Begleiter in der Person des Bü Zew zu gewinnen,
der sich der Verwandtschaft mit den Angesehensten seines Stammes rühmen
konnte, allerdings gegen das Opfer von etwa 350 Mark und gegen das Ver¬
sprechen, die Reise nicht über einige Monate auszudehnen. Hier schon sollte
der kühne Reisende eine Ahnung von der Habgier und Begehrlichkeit der Tubu
bekommen, denn Bü Zeit drang darauf, die Zahl der für seine Landsleute
bestimmten Geschenke noch um ein bedeutendes zu vermehren, ein Umstand, der
die ohnehin spärlichen Mittel Nachtigals noch mehr verminderte und zum Theil
mit schuld war an der unerquicklichen, fast verzweifelten Lage, in die er sich
im Tubu-Lande versetzt sah.

Der Morgen des 17. Juni sah die kleine Karawane wieder auf dem


Einen Tag vor Nachtigal brach Fräulein Tiune von Mursuk auf, um —
nie wieder zu kommen; Nachtigal selbst verließ, begleitet von Giuseppe Valpreda,
Mohammed und zwei Schwarzen, Ali und Saat, sowie dem Tubu-Edlen, am
6. Juni die Stadt zu der für den Antritt einer Reise ungewöhnlichen Stunde,
um 1 Uhr Mittags, in Folge dessen er nicht nur auf das Geleit seiner zahl¬
reichen Freunde, die um diese Stunde der Ruhe pflegten, sondern auch auf die
feierlichen Segenswünsche verzichten mußte, welche die Zurückbleibenden wie
die Abreisenden in einmüthiger Stimmung im FMHa beten. „Es ist ein
feierlicher Anblick," sagt Nachtigal, „wenn alle Anwesenden aufrecht stehend und
die Innenfläche der halberhobener Hände nach oben gerichtet, das schöne Ein¬
gangsgebet des Koran murmeln, mit der Rechten über Gesicht und Bart streichen
und mit einfachem Händedruck oder arabischer Umarmung in ernstem Schweigen
auseinander gehen."

Die Reisenden bewegten sich anfangs auf dem Wege nach Bornu vor¬
wärts und machten in Kawm, dem Heimatsorte des alten Mohammed, einen
längeren Halt. Vor der Ankunft daselbst wurde die kleine Karawane durch
ein vorausgesendetes Gastgeschenk, bestehend aus Gerstenbrei, Weizenbrod und
einigen Hühnern, von Hadsch DsckMer bewillkommnet. Es war dies ein kräf¬
tiger, ziemlich hellfarbiger Mann, dem man seine 80 und einige Jahre (er er¬
wies schon dem Kapitän Lyon im Jahre 1819 Gastfreundschaft) nicht ansah,
und herrschte mit unbestrittener autdokratischer Gewalt über den Distrikt, dessen
Verwaltung ihm anvertraut war.

Schon in den nächsten Tagen aber machte sich die Glühhitze des Sahara-
Sommers drückend fühlbar; gegen 2 Uhr Mittags wurden 49" v. im Schatten
beobachtet. Kein Wunder, daß die Beinwunden, welche sich Nachtigal bei der
mehrtägigen Fußwanderung geholt hatte, nicht heilen wollten und ihn neben
andern Ursachen zu einem fünftägigen Aufenthalt in Katrün veranlaßten. In¬
zwischen gelang es durch die Bemühungen des Hadsch DsckMer, noch einen
weiteren tibestikundigen Begleiter in der Person des Bü Zew zu gewinnen,
der sich der Verwandtschaft mit den Angesehensten seines Stammes rühmen
konnte, allerdings gegen das Opfer von etwa 350 Mark und gegen das Ver¬
sprechen, die Reise nicht über einige Monate auszudehnen. Hier schon sollte
der kühne Reisende eine Ahnung von der Habgier und Begehrlichkeit der Tubu
bekommen, denn Bü Zeit drang darauf, die Zahl der für seine Landsleute
bestimmten Geschenke noch um ein bedeutendes zu vermehren, ein Umstand, der
die ohnehin spärlichen Mittel Nachtigals noch mehr verminderte und zum Theil
mit schuld war an der unerquicklichen, fast verzweifelten Lage, in die er sich
im Tubu-Lande versetzt sah.

Der Morgen des 17. Juni sah die kleine Karawane wieder auf dem


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[0530] Einen Tag vor Nachtigal brach Fräulein Tiune von Mursuk auf, um — nie wieder zu kommen; Nachtigal selbst verließ, begleitet von Giuseppe Valpreda, Mohammed und zwei Schwarzen, Ali und Saat, sowie dem Tubu-Edlen, am 6. Juni die Stadt zu der für den Antritt einer Reise ungewöhnlichen Stunde, um 1 Uhr Mittags, in Folge dessen er nicht nur auf das Geleit seiner zahl¬ reichen Freunde, die um diese Stunde der Ruhe pflegten, sondern auch auf die feierlichen Segenswünsche verzichten mußte, welche die Zurückbleibenden wie die Abreisenden in einmüthiger Stimmung im FMHa beten. „Es ist ein feierlicher Anblick," sagt Nachtigal, „wenn alle Anwesenden aufrecht stehend und die Innenfläche der halberhobener Hände nach oben gerichtet, das schöne Ein¬ gangsgebet des Koran murmeln, mit der Rechten über Gesicht und Bart streichen und mit einfachem Händedruck oder arabischer Umarmung in ernstem Schweigen auseinander gehen." Die Reisenden bewegten sich anfangs auf dem Wege nach Bornu vor¬ wärts und machten in Kawm, dem Heimatsorte des alten Mohammed, einen längeren Halt. Vor der Ankunft daselbst wurde die kleine Karawane durch ein vorausgesendetes Gastgeschenk, bestehend aus Gerstenbrei, Weizenbrod und einigen Hühnern, von Hadsch DsckMer bewillkommnet. Es war dies ein kräf¬ tiger, ziemlich hellfarbiger Mann, dem man seine 80 und einige Jahre (er er¬ wies schon dem Kapitän Lyon im Jahre 1819 Gastfreundschaft) nicht ansah, und herrschte mit unbestrittener autdokratischer Gewalt über den Distrikt, dessen Verwaltung ihm anvertraut war. Schon in den nächsten Tagen aber machte sich die Glühhitze des Sahara- Sommers drückend fühlbar; gegen 2 Uhr Mittags wurden 49" v. im Schatten beobachtet. Kein Wunder, daß die Beinwunden, welche sich Nachtigal bei der mehrtägigen Fußwanderung geholt hatte, nicht heilen wollten und ihn neben andern Ursachen zu einem fünftägigen Aufenthalt in Katrün veranlaßten. In¬ zwischen gelang es durch die Bemühungen des Hadsch DsckMer, noch einen weiteren tibestikundigen Begleiter in der Person des Bü Zew zu gewinnen, der sich der Verwandtschaft mit den Angesehensten seines Stammes rühmen konnte, allerdings gegen das Opfer von etwa 350 Mark und gegen das Ver¬ sprechen, die Reise nicht über einige Monate auszudehnen. Hier schon sollte der kühne Reisende eine Ahnung von der Habgier und Begehrlichkeit der Tubu bekommen, denn Bü Zeit drang darauf, die Zahl der für seine Landsleute bestimmten Geschenke noch um ein bedeutendes zu vermehren, ein Umstand, der die ohnehin spärlichen Mittel Nachtigals noch mehr verminderte und zum Theil mit schuld war an der unerquicklichen, fast verzweifelten Lage, in die er sich im Tubu-Lande versetzt sah. Der Morgen des 17. Juni sah die kleine Karawane wieder auf dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/530>, abgerufen am 01.09.2024.