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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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zur Bildung eines großserbischen Reiches, wie es die Omladina erstrebte, ver¬
wendet werden konnten, und die sich andrerseits an die von Jugoslaven be¬
wohnten Provinzen der Habsburger angliedern ließen. In Albanien gab es
keine solchen Elemente. Man hatte keinerlei Grund, die Albanesen oder Arnauten,
welche sowohl ihrer Nationalität und Sprache als ihrer Religion nach, d. h.
als nicht der orthodoxen Kirche angehörig, ein Trennungseleinent für die slavi¬
schen Völkerschaften im Westen der Balkanhalbinsel bilden, in ihrer Unabhän¬
gigkeit zu beschränken. Albanien ist kein Operationsfeld für die panslavistische
Propaganda, wie es Bosnien und die Herzegowina fast seit drei Jahrzehnten
gewesen sind. Die Bewohner der Berge und Thalniederungen jenes Landes
werden im Gegentheile, wenn es den Wühlereien der panslavistischen Agitatoren
wieder einmal gelingen sollte, den Frieden in den Balkanlandschaften zu stören
und einen Insurrektionskrieg anzufachen, bereitwillige und willkommene Bundes¬
genossen Oesterreichs bei der Bekämpfung und Dämpfuug des Feuers sein.
Es sind Leute, auf die mau bei solchen Fällen mit uicht geringerer Sicherheit
zählen kann als auf die Türken und die Griechen.

Vor der Hand find die Ränke der Panslavisten allerdings nicht sehr zu
fürchten. So lange Oesterreich-Ungarn die Stellung innehat, die es soeben
durch die Besetzung der Lia-Linie eingenommen, wird das Streben der serbi¬
schen und bulgarischen Revolutionäre, dieser Vortruppen Rußlands, zur Grün¬
dung eines jugoslavischen Reiches nicht in der Lage sein, ernstliche Versuche
zur Verwirklichung ihrer Projekte zu unternehmen. Die nunmehr zum Ab¬
schlüsse gelangte Ausbreitung und Befestigung der österreichischen Machtsphäre
auf der Balkanhalbinsel ist eine derartige, daß man in Wien ruhig der weiteren
Entwickelung der orientalischen Frage entgegensehen kann. Schneller und ener¬
gischer als je vorher und als jede andere Macht ist man dort jetzt im Stande,
thätig in das, was sich zu gestalten beginnt, einzugreifen und es in das Bett
seiner Interessen zu lenken. Man wird aber, wenn nicht Alles täuscht, diese
günstige Situation zunächst nur im konservativen Sinne ausnutzen. Man denkt
uicht daran, der Entwickelung der Dinge durch künstliche Förderung des Zer-
setzungsprozesses der Türkei nachzuhelfen und deren schließlichen, fast unab¬
wendbar erscheinenden Zerfall zu beschleunigen, wie dies Rußland seither gethan.
Man wird, jedenfalls so lange die von Andmssy befolgte Politik seinen Nach¬
folgern zur Richtschnur dient, sobald die in Stambul regierenden einigen Ernst
und einiges Geschick in der Ausführung der beim Frieden von 1878 über-
nommenen Verpflichtungen zeigen, alles aufbieten, um der Türkei, die als
solche für Oesterreich-Ungarn schon längst unschädlich geworden ist, die Arbeit
der Reorganisation zu erleichtern. Thut die Pforte in dieser Beziehung nichts
oder nicht genug, wie man das zu sehen gewohnt ist, läßt sie die verständige


zur Bildung eines großserbischen Reiches, wie es die Omladina erstrebte, ver¬
wendet werden konnten, und die sich andrerseits an die von Jugoslaven be¬
wohnten Provinzen der Habsburger angliedern ließen. In Albanien gab es
keine solchen Elemente. Man hatte keinerlei Grund, die Albanesen oder Arnauten,
welche sowohl ihrer Nationalität und Sprache als ihrer Religion nach, d. h.
als nicht der orthodoxen Kirche angehörig, ein Trennungseleinent für die slavi¬
schen Völkerschaften im Westen der Balkanhalbinsel bilden, in ihrer Unabhän¬
gigkeit zu beschränken. Albanien ist kein Operationsfeld für die panslavistische
Propaganda, wie es Bosnien und die Herzegowina fast seit drei Jahrzehnten
gewesen sind. Die Bewohner der Berge und Thalniederungen jenes Landes
werden im Gegentheile, wenn es den Wühlereien der panslavistischen Agitatoren
wieder einmal gelingen sollte, den Frieden in den Balkanlandschaften zu stören
und einen Insurrektionskrieg anzufachen, bereitwillige und willkommene Bundes¬
genossen Oesterreichs bei der Bekämpfung und Dämpfuug des Feuers sein.
Es sind Leute, auf die mau bei solchen Fällen mit uicht geringerer Sicherheit
zählen kann als auf die Türken und die Griechen.

Vor der Hand find die Ränke der Panslavisten allerdings nicht sehr zu
fürchten. So lange Oesterreich-Ungarn die Stellung innehat, die es soeben
durch die Besetzung der Lia-Linie eingenommen, wird das Streben der serbi¬
schen und bulgarischen Revolutionäre, dieser Vortruppen Rußlands, zur Grün¬
dung eines jugoslavischen Reiches nicht in der Lage sein, ernstliche Versuche
zur Verwirklichung ihrer Projekte zu unternehmen. Die nunmehr zum Ab¬
schlüsse gelangte Ausbreitung und Befestigung der österreichischen Machtsphäre
auf der Balkanhalbinsel ist eine derartige, daß man in Wien ruhig der weiteren
Entwickelung der orientalischen Frage entgegensehen kann. Schneller und ener¬
gischer als je vorher und als jede andere Macht ist man dort jetzt im Stande,
thätig in das, was sich zu gestalten beginnt, einzugreifen und es in das Bett
seiner Interessen zu lenken. Man wird aber, wenn nicht Alles täuscht, diese
günstige Situation zunächst nur im konservativen Sinne ausnutzen. Man denkt
uicht daran, der Entwickelung der Dinge durch künstliche Förderung des Zer-
setzungsprozesses der Türkei nachzuhelfen und deren schließlichen, fast unab¬
wendbar erscheinenden Zerfall zu beschleunigen, wie dies Rußland seither gethan.
Man wird, jedenfalls so lange die von Andmssy befolgte Politik seinen Nach¬
folgern zur Richtschnur dient, sobald die in Stambul regierenden einigen Ernst
und einiges Geschick in der Ausführung der beim Frieden von 1878 über-
nommenen Verpflichtungen zeigen, alles aufbieten, um der Türkei, die als
solche für Oesterreich-Ungarn schon längst unschädlich geworden ist, die Arbeit
der Reorganisation zu erleichtern. Thut die Pforte in dieser Beziehung nichts
oder nicht genug, wie man das zu sehen gewohnt ist, läßt sie die verständige


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/523>, abgerufen am 27.11.2024.