Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

verhältnißmäßig geringem Aufwand an Geld und sonstigen Opfern erreicht
worden. Möglich, daß es hie und da noch zu einem kleinen Putsche der
halb wilden Gebirgsleute des Lia-Gebiets kommt, aber auch dies würde die
ungeheure Aufregung nicht rechtfertigen, welche die Novibazar-Frage in Oester¬
reich-Ungarn hervorgerufen hat.

Das Hauptverdienst bei der ungestörten Ausführung der Okkupation ge¬
bührt unstreitig der Pforte, welche diesmal in der That ohne Zweideutigkeit
gehandelt hat. Man erklärt dies dadurch, daß durch eine geheime Konvention
der Türkei von Seiten Oesterreichs ihr europäischer Besitzstand in ähnlicher
Weise gewährleistet worden sei wie von Seiten Englands derjenige ihrer asia¬
tischen Provinzen. Wir glauben daran nicht, sind vielmehr überzeugt, daß
Bosnien und die Herzegowina endgiltig in deu Besitz Oesterreich-Ungarns über¬
gegangen sind. Man hat der Pforte in Betreff dieser Provinzen gewisse Zuge¬
ständnisse gemacht, die das wahre Verhältniß verhüllen, und sie hat darauf zur
friedlichen Durchführung der Okkupation des Lia-Gebiets die Hand geboten,
da dieselbe anch in ihrem Interesse war. Da jene Konzessionen nur eine
moralische oder, wie die Diplomatensprache die Sache bezeichnet, eine platonische
Bedeutung haben und die Oesterreicher in der Verwaltung des eroberten Landes
nicht im mindesten hemmen und beschränken, so hat Graf Andrassy weise, ge¬
handelt, als er, um Geld und Blut zu sparen, jene Scheinzugeständnisse be¬
willigte. Dieselben hatten die Voraussetzung, es werde der Pforte gelingen,
dem Zersetzungsprozeß der Türkei für immer ein Ende zu machen, und diese
Voraussetzung wird sich aller Wahrscheinlichkeit nach nicht erfüllen.

Die Bedeutung der Stellung Oesterreichs in dem jetzt von ihm okkupirten
Theil Altserbiens ist leicht zu erkennen. Die Besetzung des Dreiecks am Lia
schließt die Position der österreichisch-ungarischen Truppen in Bosnien strate¬
gisch ab. Diese Stellung beherrscht ferner die Handelswege, die von der save
nach Süden führen, man hat sich mit ihr die große, für die Doppelinonarchie
an der mittleren Donau hochwichtige Welthandelsstraße ucich Salonik gesichert.
Man hat endlich mit ihr einen Damm gegen die Bestrebungen des Panslavis-
mus errichtet, welcher Ungarn und mittelbar auch Oesterreich von Süden her
bedrohte. Indem man seinen Machtbezirk bis in die schmale Gasse hinein er¬
weiterte, welche der Türkei nach dem Frieden zwischen Serbien und Monte¬
negro verblieben war, trennte man in wirksamster Weise diese slavischen Klein¬
staaten, die bisher immer vorgeschobene Posten Rußlands waren, und gewann
eine Verstärkung des österreichischen Einflusses auf dieselben. Der vor kurzem
erfolgte Besuch des Fürsten nitida in Wien ist wohl als in Folge dieser Ver¬
änderung der Lage beschlossen aufzufassen. Er war ein Symptom des neuen
Verhältnisses, in welches das vergrößerte Montenegro, das früher zu Rußland


verhältnißmäßig geringem Aufwand an Geld und sonstigen Opfern erreicht
worden. Möglich, daß es hie und da noch zu einem kleinen Putsche der
halb wilden Gebirgsleute des Lia-Gebiets kommt, aber auch dies würde die
ungeheure Aufregung nicht rechtfertigen, welche die Novibazar-Frage in Oester¬
reich-Ungarn hervorgerufen hat.

Das Hauptverdienst bei der ungestörten Ausführung der Okkupation ge¬
bührt unstreitig der Pforte, welche diesmal in der That ohne Zweideutigkeit
gehandelt hat. Man erklärt dies dadurch, daß durch eine geheime Konvention
der Türkei von Seiten Oesterreichs ihr europäischer Besitzstand in ähnlicher
Weise gewährleistet worden sei wie von Seiten Englands derjenige ihrer asia¬
tischen Provinzen. Wir glauben daran nicht, sind vielmehr überzeugt, daß
Bosnien und die Herzegowina endgiltig in deu Besitz Oesterreich-Ungarns über¬
gegangen sind. Man hat der Pforte in Betreff dieser Provinzen gewisse Zuge¬
ständnisse gemacht, die das wahre Verhältniß verhüllen, und sie hat darauf zur
friedlichen Durchführung der Okkupation des Lia-Gebiets die Hand geboten,
da dieselbe anch in ihrem Interesse war. Da jene Konzessionen nur eine
moralische oder, wie die Diplomatensprache die Sache bezeichnet, eine platonische
Bedeutung haben und die Oesterreicher in der Verwaltung des eroberten Landes
nicht im mindesten hemmen und beschränken, so hat Graf Andrassy weise, ge¬
handelt, als er, um Geld und Blut zu sparen, jene Scheinzugeständnisse be¬
willigte. Dieselben hatten die Voraussetzung, es werde der Pforte gelingen,
dem Zersetzungsprozeß der Türkei für immer ein Ende zu machen, und diese
Voraussetzung wird sich aller Wahrscheinlichkeit nach nicht erfüllen.

Die Bedeutung der Stellung Oesterreichs in dem jetzt von ihm okkupirten
Theil Altserbiens ist leicht zu erkennen. Die Besetzung des Dreiecks am Lia
schließt die Position der österreichisch-ungarischen Truppen in Bosnien strate¬
gisch ab. Diese Stellung beherrscht ferner die Handelswege, die von der save
nach Süden führen, man hat sich mit ihr die große, für die Doppelinonarchie
an der mittleren Donau hochwichtige Welthandelsstraße ucich Salonik gesichert.
Man hat endlich mit ihr einen Damm gegen die Bestrebungen des Panslavis-
mus errichtet, welcher Ungarn und mittelbar auch Oesterreich von Süden her
bedrohte. Indem man seinen Machtbezirk bis in die schmale Gasse hinein er¬
weiterte, welche der Türkei nach dem Frieden zwischen Serbien und Monte¬
negro verblieben war, trennte man in wirksamster Weise diese slavischen Klein¬
staaten, die bisher immer vorgeschobene Posten Rußlands waren, und gewann
eine Verstärkung des österreichischen Einflusses auf dieselben. Der vor kurzem
erfolgte Besuch des Fürsten nitida in Wien ist wohl als in Folge dieser Ver¬
änderung der Lage beschlossen aufzufassen. Er war ein Symptom des neuen
Verhältnisses, in welches das vergrößerte Montenegro, das früher zu Rußland


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0521" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/143018"/>
          <p xml:id="ID_1561" prev="#ID_1560"> verhältnißmäßig geringem Aufwand an Geld und sonstigen Opfern erreicht<lb/>
worden. Möglich, daß es hie und da noch zu einem kleinen Putsche der<lb/>
halb wilden Gebirgsleute des Lia-Gebiets kommt, aber auch dies würde die<lb/>
ungeheure Aufregung nicht rechtfertigen, welche die Novibazar-Frage in Oester¬<lb/>
reich-Ungarn hervorgerufen hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1562"> Das Hauptverdienst bei der ungestörten Ausführung der Okkupation ge¬<lb/>
bührt unstreitig der Pforte, welche diesmal in der That ohne Zweideutigkeit<lb/>
gehandelt hat. Man erklärt dies dadurch, daß durch eine geheime Konvention<lb/>
der Türkei von Seiten Oesterreichs ihr europäischer Besitzstand in ähnlicher<lb/>
Weise gewährleistet worden sei wie von Seiten Englands derjenige ihrer asia¬<lb/>
tischen Provinzen. Wir glauben daran nicht, sind vielmehr überzeugt, daß<lb/>
Bosnien und die Herzegowina endgiltig in deu Besitz Oesterreich-Ungarns über¬<lb/>
gegangen sind. Man hat der Pforte in Betreff dieser Provinzen gewisse Zuge¬<lb/>
ständnisse gemacht, die das wahre Verhältniß verhüllen, und sie hat darauf zur<lb/>
friedlichen Durchführung der Okkupation des Lia-Gebiets die Hand geboten,<lb/>
da dieselbe anch in ihrem Interesse war. Da jene Konzessionen nur eine<lb/>
moralische oder, wie die Diplomatensprache die Sache bezeichnet, eine platonische<lb/>
Bedeutung haben und die Oesterreicher in der Verwaltung des eroberten Landes<lb/>
nicht im mindesten hemmen und beschränken, so hat Graf Andrassy weise, ge¬<lb/>
handelt, als er, um Geld und Blut zu sparen, jene Scheinzugeständnisse be¬<lb/>
willigte. Dieselben hatten die Voraussetzung, es werde der Pforte gelingen,<lb/>
dem Zersetzungsprozeß der Türkei für immer ein Ende zu machen, und diese<lb/>
Voraussetzung wird sich aller Wahrscheinlichkeit nach nicht erfüllen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1563" next="#ID_1564"> Die Bedeutung der Stellung Oesterreichs in dem jetzt von ihm okkupirten<lb/>
Theil Altserbiens ist leicht zu erkennen. Die Besetzung des Dreiecks am Lia<lb/>
schließt die Position der österreichisch-ungarischen Truppen in Bosnien strate¬<lb/>
gisch ab. Diese Stellung beherrscht ferner die Handelswege, die von der save<lb/>
nach Süden führen, man hat sich mit ihr die große, für die Doppelinonarchie<lb/>
an der mittleren Donau hochwichtige Welthandelsstraße ucich Salonik gesichert.<lb/>
Man hat endlich mit ihr einen Damm gegen die Bestrebungen des Panslavis-<lb/>
mus errichtet, welcher Ungarn und mittelbar auch Oesterreich von Süden her<lb/>
bedrohte. Indem man seinen Machtbezirk bis in die schmale Gasse hinein er¬<lb/>
weiterte, welche der Türkei nach dem Frieden zwischen Serbien und Monte¬<lb/>
negro verblieben war, trennte man in wirksamster Weise diese slavischen Klein¬<lb/>
staaten, die bisher immer vorgeschobene Posten Rußlands waren, und gewann<lb/>
eine Verstärkung des österreichischen Einflusses auf dieselben. Der vor kurzem<lb/>
erfolgte Besuch des Fürsten nitida in Wien ist wohl als in Folge dieser Ver¬<lb/>
änderung der Lage beschlossen aufzufassen. Er war ein Symptom des neuen<lb/>
Verhältnisses, in welches das vergrößerte Montenegro, das früher zu Rußland</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0521] verhältnißmäßig geringem Aufwand an Geld und sonstigen Opfern erreicht worden. Möglich, daß es hie und da noch zu einem kleinen Putsche der halb wilden Gebirgsleute des Lia-Gebiets kommt, aber auch dies würde die ungeheure Aufregung nicht rechtfertigen, welche die Novibazar-Frage in Oester¬ reich-Ungarn hervorgerufen hat. Das Hauptverdienst bei der ungestörten Ausführung der Okkupation ge¬ bührt unstreitig der Pforte, welche diesmal in der That ohne Zweideutigkeit gehandelt hat. Man erklärt dies dadurch, daß durch eine geheime Konvention der Türkei von Seiten Oesterreichs ihr europäischer Besitzstand in ähnlicher Weise gewährleistet worden sei wie von Seiten Englands derjenige ihrer asia¬ tischen Provinzen. Wir glauben daran nicht, sind vielmehr überzeugt, daß Bosnien und die Herzegowina endgiltig in deu Besitz Oesterreich-Ungarns über¬ gegangen sind. Man hat der Pforte in Betreff dieser Provinzen gewisse Zuge¬ ständnisse gemacht, die das wahre Verhältniß verhüllen, und sie hat darauf zur friedlichen Durchführung der Okkupation des Lia-Gebiets die Hand geboten, da dieselbe anch in ihrem Interesse war. Da jene Konzessionen nur eine moralische oder, wie die Diplomatensprache die Sache bezeichnet, eine platonische Bedeutung haben und die Oesterreicher in der Verwaltung des eroberten Landes nicht im mindesten hemmen und beschränken, so hat Graf Andrassy weise, ge¬ handelt, als er, um Geld und Blut zu sparen, jene Scheinzugeständnisse be¬ willigte. Dieselben hatten die Voraussetzung, es werde der Pforte gelingen, dem Zersetzungsprozeß der Türkei für immer ein Ende zu machen, und diese Voraussetzung wird sich aller Wahrscheinlichkeit nach nicht erfüllen. Die Bedeutung der Stellung Oesterreichs in dem jetzt von ihm okkupirten Theil Altserbiens ist leicht zu erkennen. Die Besetzung des Dreiecks am Lia schließt die Position der österreichisch-ungarischen Truppen in Bosnien strate¬ gisch ab. Diese Stellung beherrscht ferner die Handelswege, die von der save nach Süden führen, man hat sich mit ihr die große, für die Doppelinonarchie an der mittleren Donau hochwichtige Welthandelsstraße ucich Salonik gesichert. Man hat endlich mit ihr einen Damm gegen die Bestrebungen des Panslavis- mus errichtet, welcher Ungarn und mittelbar auch Oesterreich von Süden her bedrohte. Indem man seinen Machtbezirk bis in die schmale Gasse hinein er¬ weiterte, welche der Türkei nach dem Frieden zwischen Serbien und Monte¬ negro verblieben war, trennte man in wirksamster Weise diese slavischen Klein¬ staaten, die bisher immer vorgeschobene Posten Rußlands waren, und gewann eine Verstärkung des österreichischen Einflusses auf dieselben. Der vor kurzem erfolgte Besuch des Fürsten nitida in Wien ist wohl als in Folge dieser Ver¬ änderung der Lage beschlossen aufzufassen. Er war ein Symptom des neuen Verhältnisses, in welches das vergrößerte Montenegro, das früher zu Rußland

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/521
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/521>, abgerufen am 27.07.2024.