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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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Die Aefferreicher in Uovibazar.

Wovon seit Monaten schon gesprochen und was bis vor kurzem noch be¬
zweifelt wurde, das ist in den letzten beiden Wochen begonnen und vollendet
worden: Die österreichisch-ungarischen Truppen sind von Bosnien aus weiter
nach Siistosteu vorgerückt, sie haben gewisse Punkte im Sandschak Novibazar
besetzt und damit die sogenannte Lia-Linie gewonnen. Die Rücksichten auf
Rußlands Wunsch haben das Wiener Kabinet nicht bewogen, vom Gebrauch
der ihm durch den Berliner Vertrag und die Konvention mit der Pforte ein¬
geräumten Befugniß abzusehen, und die Befürchtung, die Einwohner jener
Landschaft Altserbiens würden Widerstand leisten wie seinerzeit die Bosnier,
hat sich nicht erfüllt. Das bedeutungsvolle Ereigniß hat sich ohne andere
Hindernisse, als die, welche in der Natur des Landes lagen, vollzogen.

Das Lia-Gebiet bildet den nordwestlichen Theil des Sandschaks von
Novibazar, welches sich auf der Karte wie eine schmale Gasse zwischen Serbien
und Montenegro hinzieht. Es wird durch den Bihor, eine von den nordalba¬
nischen Alpen sich nach Norden wendende Bergkette, in zwei Hälften zerschnitten,
deren westliche das Flußgebiet des Lia umfaßt, während die östliche dasjenige
des Jbar bildet, der sich zuletzt in die Morawa ergießt. Der Bihor ist aber
nicht nur, wie eben gezeigt, eine Wasserscheide, sondern auch eine ethnographische
Scheidewand, und er ist in militärischer Beziehung von großer Bedeutung.
Jm Westen von ihm wiegt in der Bevölkerung das slavische, im Osten das
albanesische Element vor. Nach dem 25. Artikel des Berliner Vertrags sowie
nach der Aprilkonvention sollte von Oesterreich die Linie Serajewo-Mitrowitza
besetzt und festgehalten werden. Allein dieselbe wird von drei Wasserscheiden
unterbrochen, und so wurde die "veniger gerade Lia-Linie vorgezogen, indem
der Uebergang von hier nach der Ebene des Amselfeldes und dem Morawa-
thale nur eine einzige Wasserscheide, die zwischen Berane und Roschaj, vor sich
hat und so hier weit bequemer erfolgen kann als auf der räumlich kürzeren
Linie Serajewo-Sjenitza-Mitrowitza. Ferner waren anfangs für die Okkupation


Grenzboten III. 187S. 66
Die Aefferreicher in Uovibazar.

Wovon seit Monaten schon gesprochen und was bis vor kurzem noch be¬
zweifelt wurde, das ist in den letzten beiden Wochen begonnen und vollendet
worden: Die österreichisch-ungarischen Truppen sind von Bosnien aus weiter
nach Siistosteu vorgerückt, sie haben gewisse Punkte im Sandschak Novibazar
besetzt und damit die sogenannte Lia-Linie gewonnen. Die Rücksichten auf
Rußlands Wunsch haben das Wiener Kabinet nicht bewogen, vom Gebrauch
der ihm durch den Berliner Vertrag und die Konvention mit der Pforte ein¬
geräumten Befugniß abzusehen, und die Befürchtung, die Einwohner jener
Landschaft Altserbiens würden Widerstand leisten wie seinerzeit die Bosnier,
hat sich nicht erfüllt. Das bedeutungsvolle Ereigniß hat sich ohne andere
Hindernisse, als die, welche in der Natur des Landes lagen, vollzogen.

Das Lia-Gebiet bildet den nordwestlichen Theil des Sandschaks von
Novibazar, welches sich auf der Karte wie eine schmale Gasse zwischen Serbien
und Montenegro hinzieht. Es wird durch den Bihor, eine von den nordalba¬
nischen Alpen sich nach Norden wendende Bergkette, in zwei Hälften zerschnitten,
deren westliche das Flußgebiet des Lia umfaßt, während die östliche dasjenige
des Jbar bildet, der sich zuletzt in die Morawa ergießt. Der Bihor ist aber
nicht nur, wie eben gezeigt, eine Wasserscheide, sondern auch eine ethnographische
Scheidewand, und er ist in militärischer Beziehung von großer Bedeutung.
Jm Westen von ihm wiegt in der Bevölkerung das slavische, im Osten das
albanesische Element vor. Nach dem 25. Artikel des Berliner Vertrags sowie
nach der Aprilkonvention sollte von Oesterreich die Linie Serajewo-Mitrowitza
besetzt und festgehalten werden. Allein dieselbe wird von drei Wasserscheiden
unterbrochen, und so wurde die »veniger gerade Lia-Linie vorgezogen, indem
der Uebergang von hier nach der Ebene des Amselfeldes und dem Morawa-
thale nur eine einzige Wasserscheide, die zwischen Berane und Roschaj, vor sich
hat und so hier weit bequemer erfolgen kann als auf der räumlich kürzeren
Linie Serajewo-Sjenitza-Mitrowitza. Ferner waren anfangs für die Okkupation


Grenzboten III. 187S. 66
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[0519] Die Aefferreicher in Uovibazar. Wovon seit Monaten schon gesprochen und was bis vor kurzem noch be¬ zweifelt wurde, das ist in den letzten beiden Wochen begonnen und vollendet worden: Die österreichisch-ungarischen Truppen sind von Bosnien aus weiter nach Siistosteu vorgerückt, sie haben gewisse Punkte im Sandschak Novibazar besetzt und damit die sogenannte Lia-Linie gewonnen. Die Rücksichten auf Rußlands Wunsch haben das Wiener Kabinet nicht bewogen, vom Gebrauch der ihm durch den Berliner Vertrag und die Konvention mit der Pforte ein¬ geräumten Befugniß abzusehen, und die Befürchtung, die Einwohner jener Landschaft Altserbiens würden Widerstand leisten wie seinerzeit die Bosnier, hat sich nicht erfüllt. Das bedeutungsvolle Ereigniß hat sich ohne andere Hindernisse, als die, welche in der Natur des Landes lagen, vollzogen. Das Lia-Gebiet bildet den nordwestlichen Theil des Sandschaks von Novibazar, welches sich auf der Karte wie eine schmale Gasse zwischen Serbien und Montenegro hinzieht. Es wird durch den Bihor, eine von den nordalba¬ nischen Alpen sich nach Norden wendende Bergkette, in zwei Hälften zerschnitten, deren westliche das Flußgebiet des Lia umfaßt, während die östliche dasjenige des Jbar bildet, der sich zuletzt in die Morawa ergießt. Der Bihor ist aber nicht nur, wie eben gezeigt, eine Wasserscheide, sondern auch eine ethnographische Scheidewand, und er ist in militärischer Beziehung von großer Bedeutung. Jm Westen von ihm wiegt in der Bevölkerung das slavische, im Osten das albanesische Element vor. Nach dem 25. Artikel des Berliner Vertrags sowie nach der Aprilkonvention sollte von Oesterreich die Linie Serajewo-Mitrowitza besetzt und festgehalten werden. Allein dieselbe wird von drei Wasserscheiden unterbrochen, und so wurde die »veniger gerade Lia-Linie vorgezogen, indem der Uebergang von hier nach der Ebene des Amselfeldes und dem Morawa- thale nur eine einzige Wasserscheide, die zwischen Berane und Roschaj, vor sich hat und so hier weit bequemer erfolgen kann als auf der räumlich kürzeren Linie Serajewo-Sjenitza-Mitrowitza. Ferner waren anfangs für die Okkupation Grenzboten III. 187S. 66

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/519>, abgerufen am 27.11.2024.