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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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gepfiffen? Aber ich bestehe darauf, daß es, wie ich's gesagt habe, hinein¬
kommt." *)

Der Fürst gilt als ein eiserner Charakter, als ein selbstbewußter und seiner
sicherer Geist. Ich werde das nicht bestreiten. Aber er hat auch weiche
Momente, Augenblicke scheinbarer oder wirklicher Unzufriedenheit mit seinen
Leistungen und seinem Schicksal, wehmüthige, oder sagen wir lieber schwer-
müthige Stimmungen, die sich wie Weltschmerz aussprechen. Zuweilen erinnert
das an gewisse Züge Achill's im Zelte vor Ilion, zuweilen an den Ausruf des
Predigers Salomo: "Da ich aber ansah alle meine Werke, die meine Hand
gethan hatte, und Mühe, die ich gehabt hatte, siehe, da war alles eitel und
Jammer und nichts mehr unter der Sonne." Vielleicht ist es ein mystischer
Vorgang in seiner Seele, möglicherweise aber auch die Folge körperlicher Prozesse,
Ermüdung, eine Dissonanz seines nervösen Wesens.

So klagte er eines Abends an der Stelle, von der ich hier rede, nachdem
er eine Weile vor sich hingesonnen hatte, gegen uns, daß er von seiner poli¬
tischen Thätigkeit wenig Freude und Befriedigung gehabt. Er habe damit
niemand glücklich gemacht, sagte er, sich selbst nicht, seine Familie nicht, auch
andere nicht. Wir protestirten. Er aber fuhr fort: "Wohl aber viele un¬
glücklich. Ohne mich hätte es drei große Kriege nicht gegeben, wären achtzig¬
tausend Menschen nicht umgekommen, und Eltern, Brüder, Schwestern, Wittwen
trauerten nicht. Das habe ich indeß mit Gott abgemacht. Aber Freude habe
ich wenig oder gar keine gehabt von allem, was ich gethan habe, dagegen viel
Verdruß, Sorge und Mühe", was er dann noch eine Zeit lang weiter aus¬
führte. Wir schwiegen befremdet, aber ich hörte später, daß er in den letzten
Jahren schon wiederholt sich in ähnlicher Weise geäußert habe.

Gehen wir nun in das Entree hinter der Hausthüre zurück, und öffnen
wir die Flügelthür gegenüber dem Speisesaale, so kommen wir in ein Gemach
von gleicher Größe mit diesem. Es ist grau tapezirt und mit Möbeln von
dunkelbraunem Eichenholze ausgestattet. Die Eingangsthür verhüllt ein Vor¬
hang, der auf weißem Grunde eingewirkt das schwarze Bild Kaiser Heinrich's IV.
vor dem Burgthore von Canossa zeigt -- kein Memento, denke ich, sondern
als der Ausdruck fester Zuversicht von dem Verfertiger, dem Fabrikanten
Schalter im sächsischen Städtchen Ernstthal, dem Fürsten gewidmet. Die Bilder
an den Wänden des Zimmers, durchgehends Photographieen, stellen meist
Preußische Fürsten in historischen Momenten ihres Lebens dar. Wir bemerken



*) Man vergleiche damit mein Buch: "Graf Bismarck und seine Leute", Bd. I, S. 160,
wo der Kanzler sich über die Angelegenheit in ganz ähnlicher Weise schon im September
1870 ausspricht.
Grenzboten III. 1379. 64

gepfiffen? Aber ich bestehe darauf, daß es, wie ich's gesagt habe, hinein¬
kommt." *)

Der Fürst gilt als ein eiserner Charakter, als ein selbstbewußter und seiner
sicherer Geist. Ich werde das nicht bestreiten. Aber er hat auch weiche
Momente, Augenblicke scheinbarer oder wirklicher Unzufriedenheit mit seinen
Leistungen und seinem Schicksal, wehmüthige, oder sagen wir lieber schwer-
müthige Stimmungen, die sich wie Weltschmerz aussprechen. Zuweilen erinnert
das an gewisse Züge Achill's im Zelte vor Ilion, zuweilen an den Ausruf des
Predigers Salomo: „Da ich aber ansah alle meine Werke, die meine Hand
gethan hatte, und Mühe, die ich gehabt hatte, siehe, da war alles eitel und
Jammer und nichts mehr unter der Sonne." Vielleicht ist es ein mystischer
Vorgang in seiner Seele, möglicherweise aber auch die Folge körperlicher Prozesse,
Ermüdung, eine Dissonanz seines nervösen Wesens.

So klagte er eines Abends an der Stelle, von der ich hier rede, nachdem
er eine Weile vor sich hingesonnen hatte, gegen uns, daß er von seiner poli¬
tischen Thätigkeit wenig Freude und Befriedigung gehabt. Er habe damit
niemand glücklich gemacht, sagte er, sich selbst nicht, seine Familie nicht, auch
andere nicht. Wir protestirten. Er aber fuhr fort: „Wohl aber viele un¬
glücklich. Ohne mich hätte es drei große Kriege nicht gegeben, wären achtzig¬
tausend Menschen nicht umgekommen, und Eltern, Brüder, Schwestern, Wittwen
trauerten nicht. Das habe ich indeß mit Gott abgemacht. Aber Freude habe
ich wenig oder gar keine gehabt von allem, was ich gethan habe, dagegen viel
Verdruß, Sorge und Mühe", was er dann noch eine Zeit lang weiter aus¬
führte. Wir schwiegen befremdet, aber ich hörte später, daß er in den letzten
Jahren schon wiederholt sich in ähnlicher Weise geäußert habe.

Gehen wir nun in das Entree hinter der Hausthüre zurück, und öffnen
wir die Flügelthür gegenüber dem Speisesaale, so kommen wir in ein Gemach
von gleicher Größe mit diesem. Es ist grau tapezirt und mit Möbeln von
dunkelbraunem Eichenholze ausgestattet. Die Eingangsthür verhüllt ein Vor¬
hang, der auf weißem Grunde eingewirkt das schwarze Bild Kaiser Heinrich's IV.
vor dem Burgthore von Canossa zeigt — kein Memento, denke ich, sondern
als der Ausdruck fester Zuversicht von dem Verfertiger, dem Fabrikanten
Schalter im sächsischen Städtchen Ernstthal, dem Fürsten gewidmet. Die Bilder
an den Wänden des Zimmers, durchgehends Photographieen, stellen meist
Preußische Fürsten in historischen Momenten ihres Lebens dar. Wir bemerken



*) Man vergleiche damit mein Buch: „Graf Bismarck und seine Leute", Bd. I, S. 160,
wo der Kanzler sich über die Angelegenheit in ganz ähnlicher Weise schon im September
1870 ausspricht.
Grenzboten III. 1379. 64
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[0503] gepfiffen? Aber ich bestehe darauf, daß es, wie ich's gesagt habe, hinein¬ kommt." *) Der Fürst gilt als ein eiserner Charakter, als ein selbstbewußter und seiner sicherer Geist. Ich werde das nicht bestreiten. Aber er hat auch weiche Momente, Augenblicke scheinbarer oder wirklicher Unzufriedenheit mit seinen Leistungen und seinem Schicksal, wehmüthige, oder sagen wir lieber schwer- müthige Stimmungen, die sich wie Weltschmerz aussprechen. Zuweilen erinnert das an gewisse Züge Achill's im Zelte vor Ilion, zuweilen an den Ausruf des Predigers Salomo: „Da ich aber ansah alle meine Werke, die meine Hand gethan hatte, und Mühe, die ich gehabt hatte, siehe, da war alles eitel und Jammer und nichts mehr unter der Sonne." Vielleicht ist es ein mystischer Vorgang in seiner Seele, möglicherweise aber auch die Folge körperlicher Prozesse, Ermüdung, eine Dissonanz seines nervösen Wesens. So klagte er eines Abends an der Stelle, von der ich hier rede, nachdem er eine Weile vor sich hingesonnen hatte, gegen uns, daß er von seiner poli¬ tischen Thätigkeit wenig Freude und Befriedigung gehabt. Er habe damit niemand glücklich gemacht, sagte er, sich selbst nicht, seine Familie nicht, auch andere nicht. Wir protestirten. Er aber fuhr fort: „Wohl aber viele un¬ glücklich. Ohne mich hätte es drei große Kriege nicht gegeben, wären achtzig¬ tausend Menschen nicht umgekommen, und Eltern, Brüder, Schwestern, Wittwen trauerten nicht. Das habe ich indeß mit Gott abgemacht. Aber Freude habe ich wenig oder gar keine gehabt von allem, was ich gethan habe, dagegen viel Verdruß, Sorge und Mühe", was er dann noch eine Zeit lang weiter aus¬ führte. Wir schwiegen befremdet, aber ich hörte später, daß er in den letzten Jahren schon wiederholt sich in ähnlicher Weise geäußert habe. Gehen wir nun in das Entree hinter der Hausthüre zurück, und öffnen wir die Flügelthür gegenüber dem Speisesaale, so kommen wir in ein Gemach von gleicher Größe mit diesem. Es ist grau tapezirt und mit Möbeln von dunkelbraunem Eichenholze ausgestattet. Die Eingangsthür verhüllt ein Vor¬ hang, der auf weißem Grunde eingewirkt das schwarze Bild Kaiser Heinrich's IV. vor dem Burgthore von Canossa zeigt — kein Memento, denke ich, sondern als der Ausdruck fester Zuversicht von dem Verfertiger, dem Fabrikanten Schalter im sächsischen Städtchen Ernstthal, dem Fürsten gewidmet. Die Bilder an den Wänden des Zimmers, durchgehends Photographieen, stellen meist Preußische Fürsten in historischen Momenten ihres Lebens dar. Wir bemerken *) Man vergleiche damit mein Buch: „Graf Bismarck und seine Leute", Bd. I, S. 160, wo der Kanzler sich über die Angelegenheit in ganz ähnlicher Weise schon im September 1870 ausspricht. Grenzboten III. 1379. 64

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/503>, abgerufen am 01.09.2024.