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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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eines Künstlers, der sich fast ausschließlich ans lyrisch-epischem und kontempla¬
tivem Gebiete bewegt hat, hinsichtlich ihres dramatischen Gehalts seine volle
Anerkennung nicht versagen können. Die energische Charakteristik der Köpfe,
das Feuer, die Furia der Bewegungen und die Gewalt der erregten Leiden¬
schaften sind meisterhaft zum Ausdruck gebracht worden. Leider hält das Bild
in seinen Einzelheiten einer näheren Prüfung nicht Stand. Feuerbach hat sich
allzu sklavisch an seine Modelle, besonders an die weiblichen, gehalten und die
Natur mit allen ihren Zufälligkeiten und Bildungsfehlern mit ängstlicher Treue
wiedergegeben. Schwächliche Oberkörper sitzen auf hünenhaften Unterkörpern,
und hie und da begegnet man sogar gewissen Anomalieen, die nur eine Folge
der modernen Kleidung sind. Man bemerkt u. a. deutlich unterhalb der Kniee
die Einschnitte und Marken, welche das Tragen von Strumpfbändern zu hinter¬
lassen Pflegt, obwohl doch anzunehmen ist, daß die Amazonen diesen Nothbehelf
der modernen Damentoilette noch nicht gekannt haben. Abgesehen von diesen
Ausstellungen wird man gegen die formale Durchbildung der Körper nichts
einzuwenden haben, mehr wiederum gegen die Pferde, die merkwürdig steif,
hölzern und vernachlässigt sind.

Die großen Hoffnungen, welche man an die Lehrthätigkeit Feuerbach's in
Wien knüpfte, sollten nicht in Erfüllung gehen. Schon nach drei Jahren suchte
der Künstler einen längeren Urlaub nach, dem später das Gesuch um Entbin¬
dung von seinen amtlichen Obliegenheiten folgte, welches auch bewilligt wurde.
Feuerbach ging nach Venedig, und hier vollendete er inmitten der von ihm so
hochverehrten alten Meister ein Deckengemälde für die Aula der neuen Akademie
der bildenden Künste in Wien, welches den Titanenkampf darstellt. Das Bild
ist erst vor wenigen Wochen in Wien zur Ausstellung gekommen. Nach über¬
einstimmenden Berichten scheint der Maler noch hinter der Amazonenschlacht
zurückgeblieben zu sein. Ein kompetenter Beurtheiler nennt das Bild einen
"Gernegroß, eine mehr genial thuende als wirklich geniale Schöpfung". "Die
Komposition," sagt derselbe, "ist weder dramatisch, noch reich, noch klar; sie ist so
kurz und untersetzt gerathen, daß der hohe Olymp, der über den Pelion gethürmte
Ossa und die flache Erde sich unmöglich gehörig sondern können, zumal auch
noch die Figuren in der Höhe und in der Tiefe wesentlich einerlei Schlages
und von demselben Wuchs und Maß sind. Der felsenaufthürmenden Titanen
sind nur drei mit ebensoviel grollenden Titanenweibern zur Seite. Der strei¬
tenden Götter in der Höhe sind auch nur drei: Zeus auf der Quadriga,
Pallas Athene, die mit dem Speer tändelt, und Apollo, der in's Biene zielt.
Dagegen stürzen sechs Himmelsstürmer von einem räthselhaften Oben nieder¬
wärts und gefallen sich in michelangelesker Verkürzungen und Ueberpurzelungen.
Zu ebener Erde zieht Venus, vou Delphinen gezogen, als Siegerin und Frie-


eines Künstlers, der sich fast ausschließlich ans lyrisch-epischem und kontempla¬
tivem Gebiete bewegt hat, hinsichtlich ihres dramatischen Gehalts seine volle
Anerkennung nicht versagen können. Die energische Charakteristik der Köpfe,
das Feuer, die Furia der Bewegungen und die Gewalt der erregten Leiden¬
schaften sind meisterhaft zum Ausdruck gebracht worden. Leider hält das Bild
in seinen Einzelheiten einer näheren Prüfung nicht Stand. Feuerbach hat sich
allzu sklavisch an seine Modelle, besonders an die weiblichen, gehalten und die
Natur mit allen ihren Zufälligkeiten und Bildungsfehlern mit ängstlicher Treue
wiedergegeben. Schwächliche Oberkörper sitzen auf hünenhaften Unterkörpern,
und hie und da begegnet man sogar gewissen Anomalieen, die nur eine Folge
der modernen Kleidung sind. Man bemerkt u. a. deutlich unterhalb der Kniee
die Einschnitte und Marken, welche das Tragen von Strumpfbändern zu hinter¬
lassen Pflegt, obwohl doch anzunehmen ist, daß die Amazonen diesen Nothbehelf
der modernen Damentoilette noch nicht gekannt haben. Abgesehen von diesen
Ausstellungen wird man gegen die formale Durchbildung der Körper nichts
einzuwenden haben, mehr wiederum gegen die Pferde, die merkwürdig steif,
hölzern und vernachlässigt sind.

Die großen Hoffnungen, welche man an die Lehrthätigkeit Feuerbach's in
Wien knüpfte, sollten nicht in Erfüllung gehen. Schon nach drei Jahren suchte
der Künstler einen längeren Urlaub nach, dem später das Gesuch um Entbin¬
dung von seinen amtlichen Obliegenheiten folgte, welches auch bewilligt wurde.
Feuerbach ging nach Venedig, und hier vollendete er inmitten der von ihm so
hochverehrten alten Meister ein Deckengemälde für die Aula der neuen Akademie
der bildenden Künste in Wien, welches den Titanenkampf darstellt. Das Bild
ist erst vor wenigen Wochen in Wien zur Ausstellung gekommen. Nach über¬
einstimmenden Berichten scheint der Maler noch hinter der Amazonenschlacht
zurückgeblieben zu sein. Ein kompetenter Beurtheiler nennt das Bild einen
„Gernegroß, eine mehr genial thuende als wirklich geniale Schöpfung". „Die
Komposition," sagt derselbe, „ist weder dramatisch, noch reich, noch klar; sie ist so
kurz und untersetzt gerathen, daß der hohe Olymp, der über den Pelion gethürmte
Ossa und die flache Erde sich unmöglich gehörig sondern können, zumal auch
noch die Figuren in der Höhe und in der Tiefe wesentlich einerlei Schlages
und von demselben Wuchs und Maß sind. Der felsenaufthürmenden Titanen
sind nur drei mit ebensoviel grollenden Titanenweibern zur Seite. Der strei¬
tenden Götter in der Höhe sind auch nur drei: Zeus auf der Quadriga,
Pallas Athene, die mit dem Speer tändelt, und Apollo, der in's Biene zielt.
Dagegen stürzen sechs Himmelsstürmer von einem räthselhaften Oben nieder¬
wärts und gefallen sich in michelangelesker Verkürzungen und Ueberpurzelungen.
Zu ebener Erde zieht Venus, vou Delphinen gezogen, als Siegerin und Frie-


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[0049] eines Künstlers, der sich fast ausschließlich ans lyrisch-epischem und kontempla¬ tivem Gebiete bewegt hat, hinsichtlich ihres dramatischen Gehalts seine volle Anerkennung nicht versagen können. Die energische Charakteristik der Köpfe, das Feuer, die Furia der Bewegungen und die Gewalt der erregten Leiden¬ schaften sind meisterhaft zum Ausdruck gebracht worden. Leider hält das Bild in seinen Einzelheiten einer näheren Prüfung nicht Stand. Feuerbach hat sich allzu sklavisch an seine Modelle, besonders an die weiblichen, gehalten und die Natur mit allen ihren Zufälligkeiten und Bildungsfehlern mit ängstlicher Treue wiedergegeben. Schwächliche Oberkörper sitzen auf hünenhaften Unterkörpern, und hie und da begegnet man sogar gewissen Anomalieen, die nur eine Folge der modernen Kleidung sind. Man bemerkt u. a. deutlich unterhalb der Kniee die Einschnitte und Marken, welche das Tragen von Strumpfbändern zu hinter¬ lassen Pflegt, obwohl doch anzunehmen ist, daß die Amazonen diesen Nothbehelf der modernen Damentoilette noch nicht gekannt haben. Abgesehen von diesen Ausstellungen wird man gegen die formale Durchbildung der Körper nichts einzuwenden haben, mehr wiederum gegen die Pferde, die merkwürdig steif, hölzern und vernachlässigt sind. Die großen Hoffnungen, welche man an die Lehrthätigkeit Feuerbach's in Wien knüpfte, sollten nicht in Erfüllung gehen. Schon nach drei Jahren suchte der Künstler einen längeren Urlaub nach, dem später das Gesuch um Entbin¬ dung von seinen amtlichen Obliegenheiten folgte, welches auch bewilligt wurde. Feuerbach ging nach Venedig, und hier vollendete er inmitten der von ihm so hochverehrten alten Meister ein Deckengemälde für die Aula der neuen Akademie der bildenden Künste in Wien, welches den Titanenkampf darstellt. Das Bild ist erst vor wenigen Wochen in Wien zur Ausstellung gekommen. Nach über¬ einstimmenden Berichten scheint der Maler noch hinter der Amazonenschlacht zurückgeblieben zu sein. Ein kompetenter Beurtheiler nennt das Bild einen „Gernegroß, eine mehr genial thuende als wirklich geniale Schöpfung". „Die Komposition," sagt derselbe, „ist weder dramatisch, noch reich, noch klar; sie ist so kurz und untersetzt gerathen, daß der hohe Olymp, der über den Pelion gethürmte Ossa und die flache Erde sich unmöglich gehörig sondern können, zumal auch noch die Figuren in der Höhe und in der Tiefe wesentlich einerlei Schlages und von demselben Wuchs und Maß sind. Der felsenaufthürmenden Titanen sind nur drei mit ebensoviel grollenden Titanenweibern zur Seite. Der strei¬ tenden Götter in der Höhe sind auch nur drei: Zeus auf der Quadriga, Pallas Athene, die mit dem Speer tändelt, und Apollo, der in's Biene zielt. Dagegen stürzen sechs Himmelsstürmer von einem räthselhaften Oben nieder¬ wärts und gefallen sich in michelangelesker Verkürzungen und Ueberpurzelungen. Zu ebener Erde zieht Venus, vou Delphinen gezogen, als Siegerin und Frie-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/49>, abgerufen am 23.11.2024.