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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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fichtige und mit glücklicher Hand reorganisirt. Nicht minder glücklich war aber
seine Thätigkeit nach außen. Wie für das ganze deutsche Reich, so war auch
für die Kleinstaaten mit den Jahren 1866 und mehr noch 1871 eine neue
Epoche eingetreten, die noch lange nicht abgeschlossen ist. Die großen Reformen
auf dem Gebiete der Rechtspflege und Verwaltung, des Handels und Verkehrs,
der Kirche und des Unterrichts, wie sie seit jenen Jahren im Werden
begriffen sind, setzen viel größere Zentren voraus, als die kleinen Staaten jeder
für sich zu bilden vermögen, und sind nur unter der Voraussetzung durchführ¬
bar, daß dieselben Opfer und zum Theil große Opfer in Bezug auf ihre
Selbständigkeit bringen. Gerstenberg war der Ansicht, daß man um des Ganzen
willen vor diesen Opfern nicht zurückschrecken dürfe, und so hat denn die wenn
auch kleine altenburgische Regierung gewetteifert mit den übrigen beim Ausbau
der Reichsverfassung und ohne Uebereilung, aber auch ohne Zögern, dem Reiche
gegeben, was es verlangte.

Welche Wege nach seiner Ansicht die herzogliche Regierung einschlagen
müsse, um der Forderung nach größeren Mittelpunkten gerecht zu werden, das
zeigte er in zwei Fällen. In Bezug auf das höhere Unterrichtswesen, für
welches nach der Vermehrung der Lehranstalten ein gemeinsamer sachverstän¬
diger Beamter im Lande fehlte, schloß er sich an Preußen an, dessen Unter¬
richtsverwaltung ihm bewährt genug zu sein schien. Welche Gesinnungen
in einem Theile wenigstens des Herzogthums gegenüber diesem Anschlusse
herrschte, trat in unerquicklicher Weise bei dem ersten Eintreffen des als Fach¬
mann für das höhere Unterrichtswesen ins Auge genommenen preußischen
Schulraths Todt in Halle zu Tage. Während aber anfangs in gewissen Kreisen
die kindliche Idee auftauchte, daß dieser Anschluß an Preußen zum Sturze des
Ministers führen werde, wurde es doch bald wieder still; man fand sich in die
neue Ordnung, und es sind keine Klagen wieder laut geworden. Ungleich wich¬
tiger war die Entscheidung, welchen Anschluß das Herzogthum bei Einführung
der neuen Justizreform suchen solle, ob Thüringen oder einen größeren Nach¬
barstaat; gemeint war Preußen. Die Regierung hatte diese Frage schon vor¬
bereitet und sich für einen gewissen Zeitraum für den Anschluß an die thüringi¬
schen Staaten ausgesprochen; in der Landschaft aber war die Majorität in der
Kommission für den Anschluß an Preußen. Einer der verdienstvollsten Männer
des Landes sagte damals: "Eines mangelt unsern Juristen im Allgemeinen
doch! Es ist dies der unbefangene freie Blick, der weite Horizont, welcher den
Juristen der größern Staaten eigen ist.' Freilich kann die Schuld an diesem
Mangel nicht unseren Juristen aufgebürdet werden. Er hängt eben noth¬
wendig zusammen mit dem ganzen Bildungsgang derselben.. Unsere Juristen
kommen nicht aus den engen, kleinen Verhältnissen des Landes heraus. Zu-


fichtige und mit glücklicher Hand reorganisirt. Nicht minder glücklich war aber
seine Thätigkeit nach außen. Wie für das ganze deutsche Reich, so war auch
für die Kleinstaaten mit den Jahren 1866 und mehr noch 1871 eine neue
Epoche eingetreten, die noch lange nicht abgeschlossen ist. Die großen Reformen
auf dem Gebiete der Rechtspflege und Verwaltung, des Handels und Verkehrs,
der Kirche und des Unterrichts, wie sie seit jenen Jahren im Werden
begriffen sind, setzen viel größere Zentren voraus, als die kleinen Staaten jeder
für sich zu bilden vermögen, und sind nur unter der Voraussetzung durchführ¬
bar, daß dieselben Opfer und zum Theil große Opfer in Bezug auf ihre
Selbständigkeit bringen. Gerstenberg war der Ansicht, daß man um des Ganzen
willen vor diesen Opfern nicht zurückschrecken dürfe, und so hat denn die wenn
auch kleine altenburgische Regierung gewetteifert mit den übrigen beim Ausbau
der Reichsverfassung und ohne Uebereilung, aber auch ohne Zögern, dem Reiche
gegeben, was es verlangte.

Welche Wege nach seiner Ansicht die herzogliche Regierung einschlagen
müsse, um der Forderung nach größeren Mittelpunkten gerecht zu werden, das
zeigte er in zwei Fällen. In Bezug auf das höhere Unterrichtswesen, für
welches nach der Vermehrung der Lehranstalten ein gemeinsamer sachverstän¬
diger Beamter im Lande fehlte, schloß er sich an Preußen an, dessen Unter¬
richtsverwaltung ihm bewährt genug zu sein schien. Welche Gesinnungen
in einem Theile wenigstens des Herzogthums gegenüber diesem Anschlusse
herrschte, trat in unerquicklicher Weise bei dem ersten Eintreffen des als Fach¬
mann für das höhere Unterrichtswesen ins Auge genommenen preußischen
Schulraths Todt in Halle zu Tage. Während aber anfangs in gewissen Kreisen
die kindliche Idee auftauchte, daß dieser Anschluß an Preußen zum Sturze des
Ministers führen werde, wurde es doch bald wieder still; man fand sich in die
neue Ordnung, und es sind keine Klagen wieder laut geworden. Ungleich wich¬
tiger war die Entscheidung, welchen Anschluß das Herzogthum bei Einführung
der neuen Justizreform suchen solle, ob Thüringen oder einen größeren Nach¬
barstaat; gemeint war Preußen. Die Regierung hatte diese Frage schon vor¬
bereitet und sich für einen gewissen Zeitraum für den Anschluß an die thüringi¬
schen Staaten ausgesprochen; in der Landschaft aber war die Majorität in der
Kommission für den Anschluß an Preußen. Einer der verdienstvollsten Männer
des Landes sagte damals: „Eines mangelt unsern Juristen im Allgemeinen
doch! Es ist dies der unbefangene freie Blick, der weite Horizont, welcher den
Juristen der größern Staaten eigen ist.' Freilich kann die Schuld an diesem
Mangel nicht unseren Juristen aufgebürdet werden. Er hängt eben noth¬
wendig zusammen mit dem ganzen Bildungsgang derselben.. Unsere Juristen
kommen nicht aus den engen, kleinen Verhältnissen des Landes heraus. Zu-


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[0484] fichtige und mit glücklicher Hand reorganisirt. Nicht minder glücklich war aber seine Thätigkeit nach außen. Wie für das ganze deutsche Reich, so war auch für die Kleinstaaten mit den Jahren 1866 und mehr noch 1871 eine neue Epoche eingetreten, die noch lange nicht abgeschlossen ist. Die großen Reformen auf dem Gebiete der Rechtspflege und Verwaltung, des Handels und Verkehrs, der Kirche und des Unterrichts, wie sie seit jenen Jahren im Werden begriffen sind, setzen viel größere Zentren voraus, als die kleinen Staaten jeder für sich zu bilden vermögen, und sind nur unter der Voraussetzung durchführ¬ bar, daß dieselben Opfer und zum Theil große Opfer in Bezug auf ihre Selbständigkeit bringen. Gerstenberg war der Ansicht, daß man um des Ganzen willen vor diesen Opfern nicht zurückschrecken dürfe, und so hat denn die wenn auch kleine altenburgische Regierung gewetteifert mit den übrigen beim Ausbau der Reichsverfassung und ohne Uebereilung, aber auch ohne Zögern, dem Reiche gegeben, was es verlangte. Welche Wege nach seiner Ansicht die herzogliche Regierung einschlagen müsse, um der Forderung nach größeren Mittelpunkten gerecht zu werden, das zeigte er in zwei Fällen. In Bezug auf das höhere Unterrichtswesen, für welches nach der Vermehrung der Lehranstalten ein gemeinsamer sachverstän¬ diger Beamter im Lande fehlte, schloß er sich an Preußen an, dessen Unter¬ richtsverwaltung ihm bewährt genug zu sein schien. Welche Gesinnungen in einem Theile wenigstens des Herzogthums gegenüber diesem Anschlusse herrschte, trat in unerquicklicher Weise bei dem ersten Eintreffen des als Fach¬ mann für das höhere Unterrichtswesen ins Auge genommenen preußischen Schulraths Todt in Halle zu Tage. Während aber anfangs in gewissen Kreisen die kindliche Idee auftauchte, daß dieser Anschluß an Preußen zum Sturze des Ministers führen werde, wurde es doch bald wieder still; man fand sich in die neue Ordnung, und es sind keine Klagen wieder laut geworden. Ungleich wich¬ tiger war die Entscheidung, welchen Anschluß das Herzogthum bei Einführung der neuen Justizreform suchen solle, ob Thüringen oder einen größeren Nach¬ barstaat; gemeint war Preußen. Die Regierung hatte diese Frage schon vor¬ bereitet und sich für einen gewissen Zeitraum für den Anschluß an die thüringi¬ schen Staaten ausgesprochen; in der Landschaft aber war die Majorität in der Kommission für den Anschluß an Preußen. Einer der verdienstvollsten Männer des Landes sagte damals: „Eines mangelt unsern Juristen im Allgemeinen doch! Es ist dies der unbefangene freie Blick, der weite Horizont, welcher den Juristen der größern Staaten eigen ist.' Freilich kann die Schuld an diesem Mangel nicht unseren Juristen aufgebürdet werden. Er hängt eben noth¬ wendig zusammen mit dem ganzen Bildungsgang derselben.. Unsere Juristen kommen nicht aus den engen, kleinen Verhältnissen des Landes heraus. Zu-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/484>, abgerufen am 27.11.2024.