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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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sie dient in edelster Weise nur dem Zwecke, ein klar und rein in sich ruhendes
Menschenbild im unvergänglichen Lichte der Kunst verklärt zu zeigen."

Es ist begreiflich, daß neben einer so vollendeten Schöpfung kaum noch
ein anderes Werk, geschweige denn ein anderes Bildniß, Stich halten kann.
Graef, Paulsen und Biermann, nächst Richter unsere fashionabelsten
Damenmaler, haben deshalb gut gethan, daß sie nicht etwa durch ausgestellte
Damenbildnisse zu nachtheiligen Vergleichen auffordern. Oder sollte die Fama
Recht haben, sollte wirklich das entzückende Weib, das in echt antiker Unbe¬
fangenheit die "Götterpracht des nackten Leibes" auf schwellendem Lager zeigt,
ein Porträt sein, und zwar ein Porträt vom Kopf bis zu den Füßen? In
einer Ecke liest man G. Graef Paris 1878 -- Berlin 1879, und die Fama
erzählt, daß der legitime Besitzer dieser unbeschreiblichen Reize, eingedenk der
Vergänglichkeit alles Irdischen, von dem Wunsche beseelt worden sei, ein Meister¬
werk der Schöpfung durch die Kunst dem endlichen Verfall zu entrücken. Nur
vor einem Künstler, dem das Alter auch die nöthige Würde verleiht, durfte
der Schleier dieses Heiligthums fallen, und so wanderte Gustav Graef nach
Paris -- dort lebt das Original und sein hochherziger, kunstbegeisterter Ver¬
ehrer --, um auf der Leinwand das Vergängliche für alle Zeiten festzuhalten.
Eine außergewöhnliche Aufgabe treibt zu außergewöhnlichen Thaten. Mit
diesem um seines Vorwurfes willen in unserer Zeit geradezu einzigen Werke
hat Graef zugleich auch ein Meisterwerk geschaffen, dem keine seiner früheren
Schöpfungen gleichkommt.

Durch das Arrangement wird man flüchtig an Tizian's Danae oder an
eine seiner ruhenden Venusgestalten erinnert. Aber diese Erinnerung ist rein
äußerlicher Art. Auf dem kindlich unschuldigen Antlitz entdeckt man keine Spur
eines sinnlichen Gedankens oder auch nur die Passivität sinnlichen Behagens:
die reinste Unbefangenheit, ein holdes Selbstvergessen spiegelt sich in diesen
offenen, heiteren Zügen, in diesen klaren Augen, die träumerisch unter dem
erhobenen Arme in die Weite blicken. In der rechten Hand hält "Felicie"
-- so nennt der Maler fein Bildniß -- eine purpurne Rose, die leicht
den Scheitel berührt, von welchem aschblondes, leicht geringeltes Haar zu beiden
Seiten in aufgelösten Flechten herabwallt, während die Linke einen leichten
Flor über Schooß und Hüften zieht. Eine tiefrothe Gardine mit grünlichen
Streifen bildet den Hintergrund des Lagers. An der rechten Seite etwas
emporgerafft, gewährt sie einen Ausblick auf das tiefblaue Meer. Wie anders
wirkt doch dieser blutwarme, weichgerundete, rosige Körper, in dessen Adern
das Leben auf und nieder zu steigen scheint, als die eleganten, faden Abstrak¬
tionen, mit denen die gerade auf dem Gebiet der Nuditäten am meisten be¬
wunderten Franzosen ein so großes Unwesen treiben! -- Graef besitzt nicht


sie dient in edelster Weise nur dem Zwecke, ein klar und rein in sich ruhendes
Menschenbild im unvergänglichen Lichte der Kunst verklärt zu zeigen."

Es ist begreiflich, daß neben einer so vollendeten Schöpfung kaum noch
ein anderes Werk, geschweige denn ein anderes Bildniß, Stich halten kann.
Graef, Paulsen und Biermann, nächst Richter unsere fashionabelsten
Damenmaler, haben deshalb gut gethan, daß sie nicht etwa durch ausgestellte
Damenbildnisse zu nachtheiligen Vergleichen auffordern. Oder sollte die Fama
Recht haben, sollte wirklich das entzückende Weib, das in echt antiker Unbe¬
fangenheit die „Götterpracht des nackten Leibes" auf schwellendem Lager zeigt,
ein Porträt sein, und zwar ein Porträt vom Kopf bis zu den Füßen? In
einer Ecke liest man G. Graef Paris 1878 — Berlin 1879, und die Fama
erzählt, daß der legitime Besitzer dieser unbeschreiblichen Reize, eingedenk der
Vergänglichkeit alles Irdischen, von dem Wunsche beseelt worden sei, ein Meister¬
werk der Schöpfung durch die Kunst dem endlichen Verfall zu entrücken. Nur
vor einem Künstler, dem das Alter auch die nöthige Würde verleiht, durfte
der Schleier dieses Heiligthums fallen, und so wanderte Gustav Graef nach
Paris — dort lebt das Original und sein hochherziger, kunstbegeisterter Ver¬
ehrer —, um auf der Leinwand das Vergängliche für alle Zeiten festzuhalten.
Eine außergewöhnliche Aufgabe treibt zu außergewöhnlichen Thaten. Mit
diesem um seines Vorwurfes willen in unserer Zeit geradezu einzigen Werke
hat Graef zugleich auch ein Meisterwerk geschaffen, dem keine seiner früheren
Schöpfungen gleichkommt.

Durch das Arrangement wird man flüchtig an Tizian's Danae oder an
eine seiner ruhenden Venusgestalten erinnert. Aber diese Erinnerung ist rein
äußerlicher Art. Auf dem kindlich unschuldigen Antlitz entdeckt man keine Spur
eines sinnlichen Gedankens oder auch nur die Passivität sinnlichen Behagens:
die reinste Unbefangenheit, ein holdes Selbstvergessen spiegelt sich in diesen
offenen, heiteren Zügen, in diesen klaren Augen, die träumerisch unter dem
erhobenen Arme in die Weite blicken. In der rechten Hand hält „Felicie"
— so nennt der Maler fein Bildniß — eine purpurne Rose, die leicht
den Scheitel berührt, von welchem aschblondes, leicht geringeltes Haar zu beiden
Seiten in aufgelösten Flechten herabwallt, während die Linke einen leichten
Flor über Schooß und Hüften zieht. Eine tiefrothe Gardine mit grünlichen
Streifen bildet den Hintergrund des Lagers. An der rechten Seite etwas
emporgerafft, gewährt sie einen Ausblick auf das tiefblaue Meer. Wie anders
wirkt doch dieser blutwarme, weichgerundete, rosige Körper, in dessen Adern
das Leben auf und nieder zu steigen scheint, als die eleganten, faden Abstrak¬
tionen, mit denen die gerade auf dem Gebiet der Nuditäten am meisten be¬
wunderten Franzosen ein so großes Unwesen treiben! — Graef besitzt nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/466>, abgerufen am 27.11.2024.