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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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denn er entstammt der Brust eines Mannes, der das Leben und die Schöpfung
als etwas herrlich Schönes und Gutes erkannte und daher seinem Schöpfer
mit kindlich reinem und dankbarem Gemüthe anhing. Er habe die Gottheit
immer durch Liebe und Güte ausgedrückt, hörte Dies ihn selbst ausdrücklich
sagen. Diese letzte Kraft des menschlichen Daseins ist denn auch die Mutter
der lieblichen Geschöpfe, die uns in den Melodieen dieser "Schöpfung" um-
tauzen, "jedem Ohre klingend, keiner Zunge fremd!" Ein Urtheil jener Zeit
über Haydn's Messen lautet, es herrsche in ihnen eine heitere ausgesöhnte An¬
dacht, ein beglückendes Sichbewußtwerden der himmlischen Güter. Im Grunde
paßt dies auf alle Haydn'sche Musik, am meisten aber auf die "Schöpfung".
Haydn war überzeugt, daß "ein unendlicher Gott sich doch gewiß seines end¬
lichen Geschöpfes erbarmen werde", und dieser Gedanke gab ihm seine zuver¬
sichtliche Freudigkeit. Händel sei groß in den Chören, aber mittelmäßig im
Gesang, sagte er selbst und bezeichnete damit sein tiefes Gefühl für das un¬
willkürliche Leben und dessen individuelle Physiognomie. Doch bleibt er andrer¬
seits in diesem rein lyrisch angelegten Werke vor allem Pathos bewahrt und
überläßt dieses mit Recht der Bühne. Gluck sei in seiner poetischen Intention
und seiner dramatischen Kraft andern überlegen, bemerkt er weiter in richtiger
Erkenntniß der verschiedenen Aufgaben und Absichten der Kunst. Mit feinem
künstlerischen Sinne skizzirte Haydn Jdealtypen des natürlichen Daseins, hauchte
ihnen seinen lebendigen Odem ein und gab ihnen den zuckenden Strahl seines
Auges und den tief innerlich anmuthenden Ton seiner eigenen treuen Mannes-
brust. Dies stellt ihn hoch über alle seine berühmten Vorgänger, Zeitgenossen
und Nachfolger, einen Graun, Hasse, PH. E. Bach, Salieri, Cherubini u. a.,
und erhebt ihn auch auf diesem Gebiete zur Höhe des Klassischen. Manche
dieser Melodieen werden denn auch gewiß so lange leben wie die deutsche
Empfindung selbst, namentlich für das Volk und die Jugend, aus denen sich
die Menschheit selbst ja stets ergänzt.

Dieser Meinung und Art des Werkes entsprach denn auch sogleich seine
Aufnahme. Es wurde zuerst "mit unglaublichem Beifall" im Schwarzenbergi-
schen Palais, dann am 19. März 1799 im Burgtheater aufgeführt und brachte
dem Komponisten hier nach Dies 9000, nach anderen 4088 si. ein. Ein Jahr
später wurde ebenfalls bei Schwarzenberg Beethoven's vielbilderiges Sextett
zuerst gespielt und sehr bewundert. "Das ist meine Schöpfung", foll Beethoven
damals gesagt haben. In der That ist hier Stil und Weise der Schöpfungs-
melodieen völlig vorhanden, aber daneben zugleich die Kunst gewonnen, sie zu
höheren Gebieten weiterzuführen. Und noch eine Art "Schöpfung" wurde,
vermuthlich durch den Erfolg von Haydn's Werk veranlaßt, in dieser Zeit
Beethoven zu komponiren gegeben: das Ballet "Die Geschöpfe des Prome-


denn er entstammt der Brust eines Mannes, der das Leben und die Schöpfung
als etwas herrlich Schönes und Gutes erkannte und daher seinem Schöpfer
mit kindlich reinem und dankbarem Gemüthe anhing. Er habe die Gottheit
immer durch Liebe und Güte ausgedrückt, hörte Dies ihn selbst ausdrücklich
sagen. Diese letzte Kraft des menschlichen Daseins ist denn auch die Mutter
der lieblichen Geschöpfe, die uns in den Melodieen dieser „Schöpfung" um-
tauzen, „jedem Ohre klingend, keiner Zunge fremd!" Ein Urtheil jener Zeit
über Haydn's Messen lautet, es herrsche in ihnen eine heitere ausgesöhnte An¬
dacht, ein beglückendes Sichbewußtwerden der himmlischen Güter. Im Grunde
paßt dies auf alle Haydn'sche Musik, am meisten aber auf die „Schöpfung".
Haydn war überzeugt, daß „ein unendlicher Gott sich doch gewiß seines end¬
lichen Geschöpfes erbarmen werde", und dieser Gedanke gab ihm seine zuver¬
sichtliche Freudigkeit. Händel sei groß in den Chören, aber mittelmäßig im
Gesang, sagte er selbst und bezeichnete damit sein tiefes Gefühl für das un¬
willkürliche Leben und dessen individuelle Physiognomie. Doch bleibt er andrer¬
seits in diesem rein lyrisch angelegten Werke vor allem Pathos bewahrt und
überläßt dieses mit Recht der Bühne. Gluck sei in seiner poetischen Intention
und seiner dramatischen Kraft andern überlegen, bemerkt er weiter in richtiger
Erkenntniß der verschiedenen Aufgaben und Absichten der Kunst. Mit feinem
künstlerischen Sinne skizzirte Haydn Jdealtypen des natürlichen Daseins, hauchte
ihnen seinen lebendigen Odem ein und gab ihnen den zuckenden Strahl seines
Auges und den tief innerlich anmuthenden Ton seiner eigenen treuen Mannes-
brust. Dies stellt ihn hoch über alle seine berühmten Vorgänger, Zeitgenossen
und Nachfolger, einen Graun, Hasse, PH. E. Bach, Salieri, Cherubini u. a.,
und erhebt ihn auch auf diesem Gebiete zur Höhe des Klassischen. Manche
dieser Melodieen werden denn auch gewiß so lange leben wie die deutsche
Empfindung selbst, namentlich für das Volk und die Jugend, aus denen sich
die Menschheit selbst ja stets ergänzt.

Dieser Meinung und Art des Werkes entsprach denn auch sogleich seine
Aufnahme. Es wurde zuerst „mit unglaublichem Beifall" im Schwarzenbergi-
schen Palais, dann am 19. März 1799 im Burgtheater aufgeführt und brachte
dem Komponisten hier nach Dies 9000, nach anderen 4088 si. ein. Ein Jahr
später wurde ebenfalls bei Schwarzenberg Beethoven's vielbilderiges Sextett
zuerst gespielt und sehr bewundert. „Das ist meine Schöpfung", foll Beethoven
damals gesagt haben. In der That ist hier Stil und Weise der Schöpfungs-
melodieen völlig vorhanden, aber daneben zugleich die Kunst gewonnen, sie zu
höheren Gebieten weiterzuführen. Und noch eine Art „Schöpfung" wurde,
vermuthlich durch den Erfolg von Haydn's Werk veranlaßt, in dieser Zeit
Beethoven zu komponiren gegeben: das Ballet „Die Geschöpfe des Prome-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/454>, abgerufen am 01.09.2024.