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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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Melodie ist ein Meisterstück ersten Ranges. Nie ist in der Musik mit einfacheren
Mitteln größere und sichrere Wirkung erzielt worden. "Gott erhalte Franz den
Kaiser" steht wie eine Art weltlicher Choral neben "Eine feste Burg". Es
spricht in der einfachst volksthümlichen, aber zugleich in der ergreifendsten Weise
aus, was nur irgend der innere Gemüthsbestand unseres Volkes ist, und hat
denselben auf die kleinste Enge des Raumes zusammengedrängt. Hätte Haydn
nichts geschrieben als dieses Lied, alle Jahrhunderte deutschen Volkslebens
würden seinen Namen kennen und nennen. Wir werden noch hören, wie hoch
er aber auch selbst das Lied hielt. Den in ihm liegenden musikalischen "Segen"
hat er nicht lange darauf selbst in einem seiner schönsten Quartette, dem soge¬
nannten "Kaiserquartett", als Variationen entfaltet.

"1797 28. Januar erhielt Haydn's Volkshymne das Imprimatur vom
Grafen Saurau", sagt eine Chronologie seines Lebens. Das wahre Siegel
der Allgemeingiltigkeit aber setzte das Volk selbst auf das Lied, indem es das¬
selbe sofort als sein eigenstes Gut liebend und begeistert aufnahm. "12. Februar,
als dem Geburtstage des Kaisers Franz, wurde Haydn's Volkshymne in allen
Theatern Wien's feierlich abgesungen. Haydn erhielt ein ansehnliches Ge¬
schenk zur Belohnung," erzählt dieselbe Quelle. Den Meister selbst aber in seiner
ganzen Bescheidenheit vernehmen wir aus dem kurzen Billet an den Grafen
Saurau: "Excellenz! Eine solche Ueberraschung und soviel Gnade besonders
über das Bild meines guten Monarchen habe ich in Betracht meines kleinen
Talents uoch nie erlebt. Ich danke Ew> Excellenz von Herzen und bin er¬
bietig in allen Fällen Eurer Excellenz zu dienen."

Heute gibt es in ganz Deutschland kein patriotisches Fest, an dem nicht
Haydn's Melodie, gesungen oder gespielt, als Ausdruck echt deutscher Gesammt-
empfindung erklänge. "Gott erhalte Franz den Kaiser" ist ein Stück unserer
Geschichte, wie es ein Stück unseres Wesens ist, es ist der Ausdruck unserer
echtesten und eigensten nationalen Empfindung.

Und diese Empfindung galt es nun zuletzt noch in einer größeren Kompo¬
sition auszusprechen und sie dadurch, sowie es bereits Mozart in der "Zauber¬
flöte" gethan, in ein krystallenes Gefäß gefaßt, für immer der Kunst zu ge¬
winnen. Dies ist die geschichtliche Bedeutung von Haydn's "Schöpfung";
zusammen mit Mozart's Zauberflöte bezeichnet dies Werk den endgiltigen Sieg
deutscher Musik, und es hat allmählich auch für die Tiefe der vorausgegangenen
Epoche der norddeutschen Organistenschule, vor allem Sebastian Bach's, den
Sinn erschließen helfen.

"Haydn componirte die Schöpfung im 65. Jahre seines Lebens mit einem
Feuer, welches sonst nur die Brust eines Jünglings zu beleben pflegt," sagt
Griesinger. "Ich hatte das Glück Zeuge der tiefen Rührung und des lebhaf-


Melodie ist ein Meisterstück ersten Ranges. Nie ist in der Musik mit einfacheren
Mitteln größere und sichrere Wirkung erzielt worden. „Gott erhalte Franz den
Kaiser" steht wie eine Art weltlicher Choral neben „Eine feste Burg". Es
spricht in der einfachst volksthümlichen, aber zugleich in der ergreifendsten Weise
aus, was nur irgend der innere Gemüthsbestand unseres Volkes ist, und hat
denselben auf die kleinste Enge des Raumes zusammengedrängt. Hätte Haydn
nichts geschrieben als dieses Lied, alle Jahrhunderte deutschen Volkslebens
würden seinen Namen kennen und nennen. Wir werden noch hören, wie hoch
er aber auch selbst das Lied hielt. Den in ihm liegenden musikalischen „Segen"
hat er nicht lange darauf selbst in einem seiner schönsten Quartette, dem soge¬
nannten „Kaiserquartett", als Variationen entfaltet.

„1797 28. Januar erhielt Haydn's Volkshymne das Imprimatur vom
Grafen Saurau", sagt eine Chronologie seines Lebens. Das wahre Siegel
der Allgemeingiltigkeit aber setzte das Volk selbst auf das Lied, indem es das¬
selbe sofort als sein eigenstes Gut liebend und begeistert aufnahm. „12. Februar,
als dem Geburtstage des Kaisers Franz, wurde Haydn's Volkshymne in allen
Theatern Wien's feierlich abgesungen. Haydn erhielt ein ansehnliches Ge¬
schenk zur Belohnung," erzählt dieselbe Quelle. Den Meister selbst aber in seiner
ganzen Bescheidenheit vernehmen wir aus dem kurzen Billet an den Grafen
Saurau: „Excellenz! Eine solche Ueberraschung und soviel Gnade besonders
über das Bild meines guten Monarchen habe ich in Betracht meines kleinen
Talents uoch nie erlebt. Ich danke Ew> Excellenz von Herzen und bin er¬
bietig in allen Fällen Eurer Excellenz zu dienen."

Heute gibt es in ganz Deutschland kein patriotisches Fest, an dem nicht
Haydn's Melodie, gesungen oder gespielt, als Ausdruck echt deutscher Gesammt-
empfindung erklänge. „Gott erhalte Franz den Kaiser" ist ein Stück unserer
Geschichte, wie es ein Stück unseres Wesens ist, es ist der Ausdruck unserer
echtesten und eigensten nationalen Empfindung.

Und diese Empfindung galt es nun zuletzt noch in einer größeren Kompo¬
sition auszusprechen und sie dadurch, sowie es bereits Mozart in der „Zauber¬
flöte" gethan, in ein krystallenes Gefäß gefaßt, für immer der Kunst zu ge¬
winnen. Dies ist die geschichtliche Bedeutung von Haydn's „Schöpfung";
zusammen mit Mozart's Zauberflöte bezeichnet dies Werk den endgiltigen Sieg
deutscher Musik, und es hat allmählich auch für die Tiefe der vorausgegangenen
Epoche der norddeutschen Organistenschule, vor allem Sebastian Bach's, den
Sinn erschließen helfen.

„Haydn componirte die Schöpfung im 65. Jahre seines Lebens mit einem
Feuer, welches sonst nur die Brust eines Jünglings zu beleben pflegt," sagt
Griesinger. „Ich hatte das Glück Zeuge der tiefen Rührung und des lebhaf-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/452>, abgerufen am 27.11.2024.