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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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lich, als daß er sich zu derselben entschließen könne", und rieth, vorläufig nach¬
zugeben, "um, wenn günstigerer Wind wehe, desto wirksamer gegen das Dogma
aufzutreten".

Schwester Augustinens ehrliche Lasaulx-Natur bäumte sich auf gegen die
vatikanischen Dekrete. "Lieber -- den Staub von meinen Füßen schütteln, als
auch nur ein Wort des neuen Credo nachbeten. Nicht wahr, wir wollen in
der alten Kirche bleiben, damit uns Gott helfe und sein seliges Evangelium"
-- schrieb sie an Frau Cornelius. Die Wahrheit in der Kirche stand ihr höher
als die mechanische Einheit derselben.

Bald kam die Zeit des Bekenners und Leidens für Schwester Augustine.
Sie traf eine körperlich gebrochene Frau -- schon seit Jahren litt sie an Athem¬
noth, Husten und Beklemmungen, die ihr nur sitzend zu schlafen gestatteten --,
aber einen ungebrochenen Geist. Eine im Hause eingemiethete Person, die an
den Besuchen suspendirter Geistlicher Anstoß nahm, war es, von der die De¬
nunziation ausging. Ende Oktober erschien die Novizenmeisterin aus Trier im
Auftrag der General-Oberin aus Nancy und inqnirirte. Die an sie gestellten
Fragen beantwortete Schwester Angustine mit einem entschieden Nein, weder das
Dogma der päpstlichen Unfehlbarkeit, noch das Dogma von der unbefleckten
Empfängniß Mariä könne sie annehmen, sie bleibe bei dem alten katholischen
Glauben.

Im November erschienen die Oberinnen aus Trier und Nancy und unter¬
warfen die schwer kranke Amalie rücksichtslos einem neuen Jnquisitionsver-
sahren. Es endete mit der Absetzung der Ketzerin. Die Mittheilung dieses
Urtheilsspruchs erregte unter den Bewohnern des Hospitals Bestürzung und
tiefe Betrübniß. Der Hausarzt, Geheimrath Venen, der gleichzeitig mit Schwester
Augustine sein Amt übernommen hatte, legte es gleichzeitig mit ihr nieder.
Ihrem Transport nach Nancy, den die General-Oberin wünschte, widersetzte er
sich mit aller Entschiedenheit. Amalie wurde von Freunden gebeten, in ihrem
Hause eine Zufluchtstätte zu suchen. Aber sie lehnte diese Aufforderungen ab,
sie wolle, sagte sie, im Orden bleiben; nur wenn sie ausgestoßen würde, ge¬
dachte sie die Anerbietungen der Freunde anzunehmen. Sie hatte das Gelübde
abgelegt, niemals freiwillig das Kloster zu verlassen, und diesem wollte sie tren
bleiben. Dagegen sprach sie den Wunsch aus, in das Hospital zu Vallendar,
einer kleinen Stadt bei Coblenz, gebracht zu werden, dessen Oberin sie schätzte
und liebte. Die Genehmigung wurde ertheilt, und am 14. November fand die
Uebersiedelung statt. Die Liebe der Freunde folgte ihr und bethätigte sich auf
alle Weise. Sie durfte jeden Besuch empfangen, nur nicht von suspendirten
Priestern. Wer kommen konnte, blieb gewiß nicht aus. Auch die Gräfin Hacke
kam nach Vallendar, mit Grüßen der Kaiserin. Eine besondere Freude war


Grenzboten III. 1379. 57

lich, als daß er sich zu derselben entschließen könne", und rieth, vorläufig nach¬
zugeben, „um, wenn günstigerer Wind wehe, desto wirksamer gegen das Dogma
aufzutreten".

Schwester Augustinens ehrliche Lasaulx-Natur bäumte sich auf gegen die
vatikanischen Dekrete. „Lieber — den Staub von meinen Füßen schütteln, als
auch nur ein Wort des neuen Credo nachbeten. Nicht wahr, wir wollen in
der alten Kirche bleiben, damit uns Gott helfe und sein seliges Evangelium"
— schrieb sie an Frau Cornelius. Die Wahrheit in der Kirche stand ihr höher
als die mechanische Einheit derselben.

Bald kam die Zeit des Bekenners und Leidens für Schwester Augustine.
Sie traf eine körperlich gebrochene Frau — schon seit Jahren litt sie an Athem¬
noth, Husten und Beklemmungen, die ihr nur sitzend zu schlafen gestatteten —,
aber einen ungebrochenen Geist. Eine im Hause eingemiethete Person, die an
den Besuchen suspendirter Geistlicher Anstoß nahm, war es, von der die De¬
nunziation ausging. Ende Oktober erschien die Novizenmeisterin aus Trier im
Auftrag der General-Oberin aus Nancy und inqnirirte. Die an sie gestellten
Fragen beantwortete Schwester Angustine mit einem entschieden Nein, weder das
Dogma der päpstlichen Unfehlbarkeit, noch das Dogma von der unbefleckten
Empfängniß Mariä könne sie annehmen, sie bleibe bei dem alten katholischen
Glauben.

Im November erschienen die Oberinnen aus Trier und Nancy und unter¬
warfen die schwer kranke Amalie rücksichtslos einem neuen Jnquisitionsver-
sahren. Es endete mit der Absetzung der Ketzerin. Die Mittheilung dieses
Urtheilsspruchs erregte unter den Bewohnern des Hospitals Bestürzung und
tiefe Betrübniß. Der Hausarzt, Geheimrath Venen, der gleichzeitig mit Schwester
Augustine sein Amt übernommen hatte, legte es gleichzeitig mit ihr nieder.
Ihrem Transport nach Nancy, den die General-Oberin wünschte, widersetzte er
sich mit aller Entschiedenheit. Amalie wurde von Freunden gebeten, in ihrem
Hause eine Zufluchtstätte zu suchen. Aber sie lehnte diese Aufforderungen ab,
sie wolle, sagte sie, im Orden bleiben; nur wenn sie ausgestoßen würde, ge¬
dachte sie die Anerbietungen der Freunde anzunehmen. Sie hatte das Gelübde
abgelegt, niemals freiwillig das Kloster zu verlassen, und diesem wollte sie tren
bleiben. Dagegen sprach sie den Wunsch aus, in das Hospital zu Vallendar,
einer kleinen Stadt bei Coblenz, gebracht zu werden, dessen Oberin sie schätzte
und liebte. Die Genehmigung wurde ertheilt, und am 14. November fand die
Uebersiedelung statt. Die Liebe der Freunde folgte ihr und bethätigte sich auf
alle Weise. Sie durfte jeden Besuch empfangen, nur nicht von suspendirten
Priestern. Wer kommen konnte, blieb gewiß nicht aus. Auch die Gräfin Hacke
kam nach Vallendar, mit Grüßen der Kaiserin. Eine besondere Freude war


Grenzboten III. 1379. 57
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[0447] lich, als daß er sich zu derselben entschließen könne", und rieth, vorläufig nach¬ zugeben, „um, wenn günstigerer Wind wehe, desto wirksamer gegen das Dogma aufzutreten". Schwester Augustinens ehrliche Lasaulx-Natur bäumte sich auf gegen die vatikanischen Dekrete. „Lieber — den Staub von meinen Füßen schütteln, als auch nur ein Wort des neuen Credo nachbeten. Nicht wahr, wir wollen in der alten Kirche bleiben, damit uns Gott helfe und sein seliges Evangelium" — schrieb sie an Frau Cornelius. Die Wahrheit in der Kirche stand ihr höher als die mechanische Einheit derselben. Bald kam die Zeit des Bekenners und Leidens für Schwester Augustine. Sie traf eine körperlich gebrochene Frau — schon seit Jahren litt sie an Athem¬ noth, Husten und Beklemmungen, die ihr nur sitzend zu schlafen gestatteten —, aber einen ungebrochenen Geist. Eine im Hause eingemiethete Person, die an den Besuchen suspendirter Geistlicher Anstoß nahm, war es, von der die De¬ nunziation ausging. Ende Oktober erschien die Novizenmeisterin aus Trier im Auftrag der General-Oberin aus Nancy und inqnirirte. Die an sie gestellten Fragen beantwortete Schwester Angustine mit einem entschieden Nein, weder das Dogma der päpstlichen Unfehlbarkeit, noch das Dogma von der unbefleckten Empfängniß Mariä könne sie annehmen, sie bleibe bei dem alten katholischen Glauben. Im November erschienen die Oberinnen aus Trier und Nancy und unter¬ warfen die schwer kranke Amalie rücksichtslos einem neuen Jnquisitionsver- sahren. Es endete mit der Absetzung der Ketzerin. Die Mittheilung dieses Urtheilsspruchs erregte unter den Bewohnern des Hospitals Bestürzung und tiefe Betrübniß. Der Hausarzt, Geheimrath Venen, der gleichzeitig mit Schwester Augustine sein Amt übernommen hatte, legte es gleichzeitig mit ihr nieder. Ihrem Transport nach Nancy, den die General-Oberin wünschte, widersetzte er sich mit aller Entschiedenheit. Amalie wurde von Freunden gebeten, in ihrem Hause eine Zufluchtstätte zu suchen. Aber sie lehnte diese Aufforderungen ab, sie wolle, sagte sie, im Orden bleiben; nur wenn sie ausgestoßen würde, ge¬ dachte sie die Anerbietungen der Freunde anzunehmen. Sie hatte das Gelübde abgelegt, niemals freiwillig das Kloster zu verlassen, und diesem wollte sie tren bleiben. Dagegen sprach sie den Wunsch aus, in das Hospital zu Vallendar, einer kleinen Stadt bei Coblenz, gebracht zu werden, dessen Oberin sie schätzte und liebte. Die Genehmigung wurde ertheilt, und am 14. November fand die Uebersiedelung statt. Die Liebe der Freunde folgte ihr und bethätigte sich auf alle Weise. Sie durfte jeden Besuch empfangen, nur nicht von suspendirten Priestern. Wer kommen konnte, blieb gewiß nicht aus. Auch die Gräfin Hacke kam nach Vallendar, mit Grüßen der Kaiserin. Eine besondere Freude war Grenzboten III. 1379. 57

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/447>, abgerufen am 01.09.2024.